Bundesliga:Der Fußball ist die letzte Konstante

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BVB-Fans zeigen Banner mit den Gesichtern von Dietmar Hopp, Fritz Keller und Karl-Heinz Rummenigge mit roten Clownsnasen. (Foto: dpa)

Fan-Proteste, Coronavirus, Hamsterkäufe: Ging es im Fußball jemals um Leben und Tod? Es geht bekanntlich um viel mehr.

Kommentar von Ralf Wiegand

Schon erstaunlich, was alles nicht passiert ist an diesem Fußball-Wochenende. Erling Haaland hat kein Tor geschossen (aber Dortmund trotzdem gewonnen), Werder Bremen hat nicht verloren (aber trotzdem irgendwie schon), Fußballer haben sich nicht die Hand gegeben (aber trotzdem energisch auf den Rasen gerotzt statt in die Armbeuge), und kein Spiel ist abgebrochen worden (aber trotzdem hingen fast überall Spruchbänder). Im liebsten Sport der Deutschen stehen sich der Wunsch nach einer entpolitisierten Zone und die auch an Stadiongrenzen nicht halt machende Wirklichkeit ratlos gegenüber. Niemand weiß, was passiert: Werden wir morgen alle sterben - oder sollen wir lieber lustig weiterkicken?

Die Bundesliga zwischen Corona und Choreo hat die Show nicht abgeblasen und einen Spieltag in angespannter Ruhe absolviert. Das Virus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf, wussten schon die Altvorderen, also was soll's. Der ganze Wahnsinn um den potenziell tödlichen Er- und Aufreger ist vom Fußball hübsch karikiert worden. Da horten Menschen so viele Vorräte, als müssten sie sich ein Jahr lang in Klopapier einwickeln und in Mehl wälzen, um gesund zu bleiben - nur um samstags mit der überfüllten S-Bahn in ein volles Stadion zu fahren.

MeinungProtest im Fußball
:Es geht auch mit Humor

Eine Woche nach dem Eklat um Hopp-Schmähungen fahren die Fans mit ihrer Kritik am Verband fort - aber in einer Weise, die zeigt, welch wichtige Rolle sie einnehmen können.

Kommentar von Sebastian Fischer

Man könnte nun wieder von der Macht des Fußballs schreiben, wenn der Minister für Gesundheit zwar von "unnötigen Reisen nach Nordrhein-Westfalen" abrät, also etwa von Wanderungen durch die neue deutsche Lombardei, aber keines der vier Erstligaspiele dort eingeschränkt wurde (anders als in der echten Lombardei, wo die Stadien leer bleiben müssen). Mehr als 157 000 Zuschauer setzten sich in Paderborn, Mönchengladbach, Gelsenkirchen und Leverkusen dem Risiko einer Ansteckung durch mögliche fußballverrückte Virusträger aus. Deren Aussprache gerade bei gebrüllten Verfluchungen von Milliardären (z. B. Dietmar Hopp) oder Verbänden (z. B. DFB) wird ja gerne mal etwas feuchter. Die wenigsten werden Klopapier oder Mehl zum Schutz dabei gehabt haben, aber mal ehrlich: Ging es im Fußball jemals um Leben und Tod? Eben, es geht bekanntlich um viel mehr.

Vielleicht pflegt der Fußball also nur seinen gesunden Realismus - ja, wir werden alle sterben! - während die echten Verrückten in Wahrheit im Gesundheitsministerium sitzen und lieber den coronaverdächtigen Kreis Heinsberg abriegeln als ein Fußballstadion in NRW zu schließen. Zuschauer aus Heinsberg "durften" übrigens ihre Karten für die Partie im nahen Mönchengladbach gegen Dortmund zurückgeben. Das klingt netter als vergangene Woche in Leipzig, wo eine Gruppe japanischer Gäste eher nicht die Wahl hatte: Die Menschen vom Mutterkontinent des Virus flogen nach altsächsischer Manier einfach aus dem Stadion. Als Entschädigung lud RB Leipzig die Opfer seines Racial Profilings übrigens zum nächsten Auswärtsspiel nach Wolfsburg ein.

Wie bitte, was?

Doch. Die Japaner weilten offenbar beim zähen, torlosen Spiel VfL Wolfsburg - RB Leipzig. Wo hingen eigentlich die Protestplakate gegen diese Art von Kollektivstrafe? In Heinsberg? Wie glaubwürdig sind Ultras, die zwar die Anwesenheit eines Firmen- und Fußball-Kapitalgesellschaftsgründers (Hopp, SAP, Hoffenheim) in einem von ihm selbst gebauten, nach ihm selbst benannten Stadion kaum aushalten können, woran der DFB schuld ist, aber die Landverschickung von Ausländern in die VW-Konzernarena zum Spiel gegen, boah ey, Leipzig!, nicht erwähnen? How dare you, Ultras!

Fußnoten und Querverweise auf Spruchbändern sollten zur Pflicht werden

Irgendwie sind bei dieser ganzen Protestiererei die Maßstäbe vollkommen verrutscht. Die Regeln werden auf beiden Seiten nach Stimmungslage gemacht. Also mit Fingerspitzengefühl. Situativ. Je nachdem. Mal so, mal so. Man könnte auch sagen: Wie üblich, im Fußball. Was bedeutet jetzt "Sieg oder Fadenkreuz", wie es in Berlin plakatiert wurde, auf dem nach oben bis drei begrenzten Stufenplan? Man kann das als Drohung auffassen, ein Fadenkreuzplakat aufzuhängen und so bei ungnädigem Verlauf einen Spielabbruch zu provozieren. Oder einfach als Drohung.

Vielleicht regelt sich aber auch alles bald von selbst. Schon jetzt haben sich beide Seiten in einer Wenn-dies-dann-das-Spirale hochgerüstet, jedes Wort ist wichtig. Das kann schnell sehr kompliziert werden. Im offenbar von Akademikern der Humboldt-Universität unterwanderten Berliner Block der Hertha-Frösche hing am Samstag jedenfalls dieses Banner: "Wenn ein Milliardär losheult, ist der Aufschrei groß. Aber eine Unterbrechung wegen Rassismus? 'Kontextlos'." Fußnoten und Querverweise auf Spruchbändern sollten zur Pflicht werden. Bis sich dann jemand darüber aufregen kann, was gemeint ist, ist das Spiel schon vorbei. Und sterben werden wir sowieso alle.

© SZ vom 09.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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