Corona-Krise:Ökonomie der Furcht

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Weltweites Bestürznis: Ein Händler der Börse von Sao Paulo greift sich an den Kopf. (Foto: Andre Penner/dpa)

Ein Schock erschüttert die Weltwirtschaft. Um ihm zu begegnen, könnte bald eine Abkehr von der "schwarzen Null" nötig sein. Aber das darf nicht die einzige Konsequenz aus dieser Krise bleiben.

Kommentar von Nikolaus Piper

Es ist einer der meistzitierten Sätze der jüngeren Geschichte: "Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst", sagte der amerikanische Präsident Franklin Roosevelt bei seiner Amtseinführung am 4. März 1933. Das war am Tiefpunkt der Weltwirtschaftskrise, über ein Viertel der Arbeitskräfte war ohne Beschäftigung, Amerika in Hoffnungslosigkeit versunken. Wie man heute weiß, hat Roosevelt damals zwar viele Fehler gemacht, es gelang ihm aber, die Furcht zu besiegen, den Absturz zu stoppen und die USA so zu stärken, dass sie den Zweiten Weltkrieg gewinnen konnten.

Welch zerstörerische Kraft Furcht haben kann, zeigt sich in diesen Tagen. Bis vor Kurzem noch sah es so aus, als ob die Corona-Krise zwar zu einer Abkühlung der Weltkonjunktur führen würde, aber zu nichts Schlimmerem. Inzwischen jedoch hat sich die Stimmung so verdüstert, dass eine Rezession wahrscheinlich geworden ist. Die Weltbörsen waren zu Beginn dieser Woche nahe einer Panik. In New York verlor der Dow Jones fast acht Prozent, zwischenzeitlich musste der Handel sogar unterbrochen werden. In Frankfurt hatte der Dax zuvor schon acht Prozent verloren. Die Anleger flohen in Massen aus risikobehafteten Aktien und kauften Staatsanleihen, obwohl deren Rendite, zumindest in Deutschland, längst negativ ist. Sicherheit geht über alles. Zum Coronavirus kam am Montag als weiterer Angstfaktor der Kollaps des Ölpreises hinzu, Folge eines Machtkampfes zwischen den Ölmächten Russland und Saudi-Arabien. Das nährte die Angst vor dem Zusammenbruch großer Ölfirmen.

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Die Frage in diesen Tagen lautet: Was ist Vorsicht und Gesundheitsvorsorge und wo beginnt, wie Präsident Roosevelt einst sagte, jener "namenlose, unvernünftige, ungerechtfertigte Schrecken, der die Anstrengungen paralysiert, die notwendig sind, um den Rückschritt in Fortschritt zu verwandeln"? Die Absage von Großveranstaltungen halten Fachleute für vernünftig. Aber was ist, wenn es wegen Hamsterkäufen im Supermarkt plötzlich keine Nudeln mehr gibt oder in den Apotheken Desinfektionsmittel ausverkauft sind?

Eine der Ursachen der Furcht liegt darin, dass man immer noch zu wenig weiß über das Coronavirus. Anfangs wurden die Gefahren der Epidemie wohl unterschätzt, auch von Experten. Im Zeitalter des Smartphones verbreitet sich die Unsicherheit in Echtzeit um die ganze Welt.

Sicher ist, dass die Welt gerade einen Nachfrageschock erleidet, wie Ökonomen das nennen. Wenn Fluggesellschaften wie die Lufthansa mangels Nachfrage Tausende Flüge streichen, wenn Touristenregionen wie Südtirol faktisch geschlossen werden und die Leipziger Buchmesse ausfällt, dann kann das nicht ohne Folgen für die Gesamtwirtschaft bleiben. Allein die Absage und Verschiebung von Messen könnten nach heutigem Stand bis zu drei Milliarden Euro kosten.

Dazu kommt die besondere Rolle Chinas als Werkbank der Weltwirtschaft. Die Epidemie führt dort zu massiven Produktionsausfällen. Wertschöpfungsketten wurden unterbrochen, und zwar weltweit. Ein besonderes Risiko ist die hohe Verschuldung vieler chinesischer Unternehmen. Sie sind auf Wachstum angewiesen; bleibt dies aus, sind sie in ihrer Existenz gefährdet. Die Corona-Krise bringt daher auch einen Angebotsschock mit sich; die Wirtschaft leidet, weil wichtige Produzenten mindestens zeitweise ausfallen. Die kommende Krise werde sich daher nicht so sehr wie eine Wiederholung der Finanzkrise anfühlen, sondern eher an den Ölpreisschock der 1970er-Jahre, bei dem ein Produktionsfaktor auf einen Schlag knapp wurde, erinnern, glaubt der Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff.

Für die Politik kommt es jetzt darauf an, der drohenden Rezession entgegenzutreten und, sollte sie unabweisbar sein, die Schäden so gering wie möglich zu halten. Vier Dinge sind jetzt nötig. Erstens Transparenz, sodass harte Entscheidungen nachvollziehbar sind. Zweitens muss Unternehmen geholfen werden, die durch die Epidemie und ihre Folgen in die Krise geraten. Die Beschlüsse des Koalitionsausschusses in Berlin zu einem verbesserten Kurzarbeitergeld und zu Liquiditätshilfen sind richtig, reichen aber nicht. Denn drittens muss die Bundesregierung klarmachen, dass sie bereit ist, sehr viel Geld zu investieren, um dem Schock zu begegnen. Die Koalition hatte bisher recht, als sie an der "schwarzen Null" festhielt. Jetzt aber könnte die Corona-Krise sehr bald eine Abkehr vom alten Kurs nötig machen.

Die vierte Aufgabe schließlich ist längerfristiger Natur. Die Krise zeigt, welche Gefahren es birgt, dass die Wirtschaft vieler Länder so stark abhängig von China geworden ist. Die Konsequenz kann nur heißen, dass die internationale Arbeitsteilung neu justiert wird. Kein neuer Protektionismus ist nötig, aber eine gewisse Entkopplung der Produktionsprozesse mit dem Ziel, die Versorgungssicherheit zu erhöhen.

Am dringlichsten aber ist es, die grassierende, irrationale Furcht zu bekämpfen.

© SZ vom 10.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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