Picasso-Ausstellung in Düsseldorf:Metapher oder Mittagessen?

Eine Ausstellung in Düsseldorf gilt dem Schaffen Pablo Picassos während des Zweiten Weltkriegs. Der Maler, dem viele Länder Exil anboten, blieb in Frankreich. Doch in Paris entstand unter der deutschen Besatzung kein zweites "Guernica". Und die Motive sind vieldeutig.

Von Alexander Menden

Viele der amerikanischen Soldaten, die Paris im August 1944 von den deutschen Besatzern befreiten, hatten dort nur drei feste Programmpunkte: Eine Varieté-Vorstellung, den Eiffelturm, und einen Besuch in Pablo Picassos Atelier. Der Andrang in der Rue des Grands Augustins war dermaßen groß, dass Picasso bemerkte: "Die wirkliche Belagerung beginnt gerade erst!" Das war nicht nur Ausdruck seines unerschütterlichen Selbstbewusstseins, sondern spiegelte auch Picassos tatsächlichen Status als Weltstar der Moderne wieder. Die große Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art 1937 hatte ihn zwar in der Kunstszene bereits als eine Art Ersten unter Gleichen etabliert; spätestens die Befreiung von Paris aber katapultierte ihn in noch weit höhere Sphären. Picasso war während des Krieges zu einem Symbol künstlerischen Widerstands geworden. Dass er, ein von den Nazis als "entartet" eingestufter Künstler, in Paris ausgeharrt hatte, trug nun in ungeheurer Weise zum Mythos Picassos bei.

Wie Picasso die Zeit zwischen 1935 und 1945 verbrachte, wie er sie künstlerisch nutzte, damit befasst sich nun eine Ausstellung der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Die Schau, die bereits in Grenoble zu sehen war, umfasst im Düsseldorfer K20 nun rund 70 während der Kriegsjahre geschaffene Arbeiten. Wie groß die Versuchung ist, vordergründig häusliche oder an den klassischen Motivkanon anschließende Werke im Kriegskontext mit einer erweiterten Bedeutung aufzuladen, erweist sich gleich im ersten Raum: Im Oktober 1939 beginnt Picasso mit einer Reihe von Gemälden, die abgezogenen Schafschädel zeigen. Obwohl kubistisch in der Anmutung, ist die Darstellung der nackten Sehnen und Muskeln anatomisch genau. Das Rohe dieser Köpfe, einzeln oder in Stapeln, legt die Assoziation mit dem Kriegsbeginn nahe, mit der Vorwegnahme eines großen Schlachtens. Doch Picasso hatte schon vorher Tierschädel dargestellt; Schafsschädel waren zudem auf den Pariser Märkten gängige, preiswerte Ware, und der Hund des Künstlers brauchte etwas zu fressen. Die Bilder lassen folglich jede Interpretation zu, politische, private, rein am Gegenstand orientierte.

Picasso blieb in Paris - obwohl die USA, Brasilien und Mexiko ihm Asyl angeboten hatten

Picasso hatte sich nach der Besatzung zunächst in das Fischerdorf Royan an der Atlantikküste zurückgezogen. Als es 1941 ebenfalls von den Deutschen besetzt wurde, stand er vor der Frage, wohin er sich nun wenden sollte. Als Schöpfer von "Guernica" und als erklärter Republikaner konnte er nicht nach Spanien zurückkehren. In Vichy-Frankreich drohte mindestens ein Ausstellungsverbot. Dennoch entschied er sich, permanent in Paris zu leben, obwohl die Vereinigten Staaten, Brasilien und Mexiko ihm Asyl angeboten hatten. Seit Weltruhm schützte ihn dort zwar letztlich vor direkter Verfolgung, während viele Freunde, verhaftet wurden. Aber die erstickende Stimmung in der Stadt, die Allgegenwart der Besatzer, die Rationierungen, die Ausgangssperren und kalten Winter erlebte er wie jeder, der hier wohnte.

In dieser Atmosphäre entstehen die Arbeiten, die in Düsseldorf zu sehen sind. Und doch bleibt der Umgang des Künstlers mit dem Krieg und der speziellen Situation in Paris in seinem Werk weitgehend lateral: Wehrmachtssoldaten oder Gräueltaten sind - anders als in "Guernica" - nicht das Thema. Picasso malt Porträts, vor allem von seiner damaligen Geliebten Dora Maar. Die "Weinende Frau" aus dem Spanischen Bürgerkrieg bleib die Grundlage für viele Bilder, die Maar zur Vorlage hatten. Drei Frauenporträts im K20, darunter "Frau im Lehnstuhl" (1941) interpretiert der Katalog als "hieratische Gestalten der Kriegszeit" - gespalten, eingesperrt in enge Räume. Auch der zähnefletschende Kopf der "Frau in Grau und Weiß" aus dem gleichen Jahr wird als Essenz der Todesahnung und der Niederlage Frankreichs gedeutet. All diese Werke sind aber privat, und eine klare Fortführung von Arbeiten, die er lange vor dem Krieg schuf.

Picasso stellt immer wieder Interieurs dar - oft mit dem Blick aus dem Atelier hinaus auf die Straße. Und er malt weiterhin Stillleben, wie die "Meeraale", das noch vor seinem permanenten Umzug von Royan nach Paris entstand. Auch hier richtet sich das Maß, in dem man die Fische als Ausdruck der Entbehrung oder als monströse Symbole des Kriegs lesen will, ganz vom Betrachter selbst ab. Die Aale liefern in jedem Fall einen Beleg dafür, wie ungeheuer fruchtbar die Kriegsjahre für Picasso waren, wie rasch er arbeitete: Auf dem Keilrahmen des Stilllebens vermerkt er: "27.3.40, gemalt zwischen zwei und vier Uhr". Insgesamt entstehen zwischen 1937 und 1945 rund 2 200 Gemälde, dazu noch Skulpturen und Skizzen .

Er stelle die Dinge nicht wie ein Fotograf dar, hat Picasso im Blick auf diese Zeit einmal gesagt, aber natürlich hätten die Umstände seiner Entstehung immer Einfluss auf ein Kunstwerk. Diese sehr allgemeine Einlassung gibt wenig Anhaltspunkte für die Interpretation einzelner Arbeiten. Ist die Reihe von Zeichnungen gefesselter Lämmer aus dem Sommer 1942 als Opferlämmer, gar als Symbole der zu diesem Zeitpunkt massiv einsetzenden Judenverfolgung in Frankreich zu lesen? Ist der bronzene "Totenschädel" (1943) ein überzeitliches Memento Mori oder ein politischer Kommentar?

Tatsächlich bleibt die neben "Guernica" unmissverständlichste Auseinandersetzung mit den Schrecken des Krieges unvollendet: "Das Beinhaus", 1944 begonnen, und erst 1946 - nach Picassos Beitritt zur kommunistischen Partei erstmals ausgestellt - zeigt verdrehte, sterbende oder bereits tote Menschenknäuel. Die Arbeit aus der Sammlung des New Yorker Museum of Modern Art ist in Düsseldorf nur in einer kleinen Dokumentarkopie zu sehen, so dass die Ausstellung trotz der vergleichsweise begrenzten Anzahl ihrer Exponate insofern repräsentativ ist, als sie in der weit weniger expliziten Motivwahl Picassos in der Kriegszeit treu bleibt.

Anders als sein Landsmann Goya stellt Pablo Picasso das Leid in seiner Kunst nicht ostentativ aus. Doch die Feier des Malers als Symbol des Widerstandes, die ihm das große Interesse der amerikanischen Soldaten eintrug, war nach Ansicht seiner Freunde und Zeitgenossen mehr als gerechtfertigt. So sagte der franko-ungarische Fotograf Brassaï, er habe große Hochachtung vor Picasso empfunden, weil sich für Paris entschieden habe, obwohl er hätte gehen können: "Es fehlte ihm nicht an Geld, Gelegenheiten oder Einladungen", so Brassaï. "Aber er blieb. Seine Anwesenheit unter uns war ein Trost und ein Ansporn, nicht nur für diejenigen von uns, die seine Freunde waren, sondern auch für diejenigen, die ihn gar nicht persönlich kannten."

Pablo Picasso - Kriegsjahre 1939 - 1945. K20, Düsseldorf. Bis 14. Juli; Katalog 39 Euro.

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