Interview:"Die Revolution feiere ich trotzdem"

Kommunalwahl 2020

Grün, weiblich, erfolgreich: Annette Heinloth (links) und Katharina Schulze gehören zu den verhältnismäßig wenigen Politikerinnen in herausgehobener Position.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Im Doppelinterview sprechen die beiden Grünen-Politikerinnen Annette Heinloth und Katharina Schulze über schräge Rollenbilder, den rauen Ton in Lokalparlamenten - und über ihre Hoffnung, dass die Rathäuser bald viel bunter sind

Von Marie Hesslinger, Konstantin Kaip und Florian Zick, Bad Tölz-Wolfratshausen

Die eine ist Bürgermeisterkandidatin in Wolfratshausen, die andere Fraktionschefin im Landtag: Annette Heinloth und Katharina Schulze (beide Grüne) gehören in der Politik zu den wenigen Frauen in herausgehobener Position. Ein Gespräch über Krokodilstränen nach Wahlen, schiefe Blicke und mögliche Ansätze für eine bessere Chancengleichheit in der Lokalpolitik.

SZ: Haben es Frauen in der Politik schwerer als Männer?

Katharina Schulze: Politik ist immer noch ein männerdominiertes Feld. Dort gibt es auch Sexismus, patriarchale Strukturen - und es gibt doppelte Standards. Ein klassisches Beispiel: Manchmal, wenn ich eine Rede halte, bekomme ich danach Komplimente für mein Kleid. Zu einem Mann würde man danach nicht sagen: Mensch, in dem Anzug schauen Sie aber fesch aus...

Annette Heinloth: Das erlebe ich auch so. Wenn etwa ein Mann eine Haushaltsrede im Kommunalparlament hält, ist es eine Selbstverständlichkeit. Und wenn das eine Frau macht, heißt es erstaunt: Oh, die versteht sogar etwas vom städtischen Haushalt. Man erwartet es selten. Deshalb muss die Frau in der Politik oft eine Schippe drauflegen und sich bemühen, zu zeigen, dass sie es auch kann.

Schulze: Politisch aktive Frauen werden oft auch nach Vereinbarkeit von Familie und Politik gefragt. Wenn aber ein Mann mal eine Woche Elternzeit macht und sich wie Sigmar Gabriel abfotografieren lässt, wie er mit Kind am Schreibtisch sitzt, applaudiert die gesamte Nation. Frauen und Männer werden eben anders wahrgenommen und bewertet, auch in der Politik.

Dass mit Frauen anders umgegangen wird als mit Männern, liegt das auch daran, dass Frauen in den Parlamenten nach wie vor in der Minderheit sind? Im Landtag ist die Frauenquote sogar noch niedriger als im Wolfratshauser Stadtrat.

Schulze: Absolut. Frauen sind in der Politik unterrepräsentiert, obwohl wir die Hälfte der Gesellschaft ausmachen. Ein Parlament sollte den Querschnitt der Bevölkerung abbilden. Aber wir kriegen's ja nicht mal hin, die Sitze "fifty-fifty" nach Geschlecht zu verteilen, geschweige denn nach Altersgruppen oder Herkunft.Im Bayerischen Landtag sitzen 27 Prozent Frauen. Im Bundestag 30 Prozent. Wie hoch ist der Anteil bei euch im Stadtrat?

Heinloth: 29 Prozent.

Schulze: Es gibt in Bayern noch Kommunalparlamente, da sitzen nur Männer drin - im Jahr 2020. Und 71 Landräten in Bayern stehen nur fünf Landrätinnen gegenüber. Da sieht man schon, dass die gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen nicht gegeben ist.

Den Frauenanteil zu erhöhen, kann in der Kommunalpolitik aber auch schwierig sein. Die Geretsrieder CSU etwa hätte gerne mehr Frauen aufgestellt, hat aber kaum jemanden gefunden, der kandidieren hätte wollen.

Schulze: Think about it, CSU! (lacht)

Müssen die Parteien also eine ganz andere Basisarbeit machen, bevor sie eine Quote einführen können?

Heinloth: Bei so vielen Männern ist es als Frau natürlich schwierig, sich an der Basis entsprechend in Stellung zu bringen. Alle Frauen sind unabhängig von ihrer Qualifikation mehr dazu sozialisiert, sich selbst in Frage zu stellen, auch mal an sich zu zweifeln. Von daher ergibt eine Quotierung schon Sinn. Nur dann kann sich substanziell etwas ändern - auch an dem Stil, der in der Politik gelebt wird.

Kommunalwahl 2020

Annette Heinloth tritt in Wolfratshausen für die Grünen als Bürgermeisterkandidatin an. Sie sagt: "Frauen geht es mehr um die Sache als um die Außenwirkung."

(Foto: Hartmut Pöstges)

Schulze: Die Zeiten der Freiwilligkeit sind einfach vorbei - das sage ich jetzt mal so knallhart. Ich mache seit über zehn Jahren Politik - und die Debatte über Frauenquoten ist ja noch viel älter. Nach jeder Wahl gibt es wegen der wenigen Frauen Krokodilstränen und es heißt: Beim nächsten Mal muss es besser werden. Und wird es besser? Nein - weil sich nichts von selbst ändert. Dass man aber durchaus Frauen finden könnte sieht man ja an uns Grünen, wir stellen quotierte Listen auf.

Kommunalpolitik ist eine ehrenamtliche Aufgabe. Wirkt sich da vielleicht auch die traditionelle Rollenverteilung auf die geringe Frauenquote aus? Meistens sind es ja doch noch die Frauen, die sich um die Kinder kümmern und dann weniger Zeit für Sitzungen haben.

Heinloth: Genau dieser Automatismus ist ja das Thema. Dieses Rollenverständnis könnte sich verändern, wenn man Frauen bestärkt, in die Politik zu gehen.

Schulze: Es gibt ja auch immer mehr Männer, die Lust haben, sich um die Kinder zu kümmern. Das ist eine positive Entwicklung, die die Politik unterstützen muss, etwa indem sie eine flexiblere Kinderbetreuung bereitstellt. Aber natürlich muss sich auch die Kommunalpolitik überlegen: Wie können wir familienfreundlicher werden? Endlossitzungen im Rathaus schrecken ja nicht nur alleinerziehende Mütter ab. Eine gute Moderation, eine gute Vorbereitung, ein planbares Ende der Tagesordnung: All das kann auch kommunale Politik entlasten - nicht nur für Frauen, sondern auch für Selbständige und Unternehmer, die Lust hätten, sich einzubringen.

Bessere Bedingungen für Angestellte, die sich politisch vor Ort engagieren wollen - wäre das auch ein Thema für die Landespolitik?

Schulze: Das so wichtige Ehrenamt ist ja generell bedroht, weil wir eine sehr verdichtete Lebenswelt haben. Der Zeitdruck ist sehr hoch. Bedenklich finde ich aber auch die zunehmenden Bedrohungen gegenüber Kommunalpolitikern. Unsere Gesellschaft ist inzwischen sehr aufgeheizt, der Druck auf die Demokratie steigt. Rassistische und rechtsextremistische Bedrohungen und Beleidigungen nehmen zu, das geht bis hinunter in die kommunalpolitische Ebene. Das liegt natürlich auch am Internet, aber auch da gibt es einen Gender-Aspekt.

Kommunalwahl 2020

Katharina Schulze ist Fraktionsvorsotzende der Grünen im Landtag. Sie glaubt: "Endlossitzungen im Rathaus schrecken nicht nur alleinerziehende Mütter ab."

(Foto: Hartmut Pöstges)

Da haben Sie selbst ja auch sehr einschlägige Erfahrungen gemacht.

Schulze: Mein erster richtiger Shitstorm war absurd. Ich habe da zusammen mit einem männlichen Kollegen am Thema Erinnerungskultur gearbeitet. Und wir haben auf eine Aktion ganz unterschiedliche Reaktionen bekommen. Er wurde auch schlimm beleidigt und bedroht, anders als er habe ich aber ganz viele sexualisierte Nachrichten über meinen Körper bekommen: zu hässlich, zu hübsch, zu dick, zu dünn.

Woran liegt das denn? Daran, dass Frauen immer noch als Fremdkörper in der Politik wahrgenommen werden?

Schulze: Die ganzen Rechtsextremisten und Rassisten haben ja ein ganz anderes Weltbild. Die haben keine Lust darauf, dass eine junge Frau in die Politik geht und ganz klar ihr Meinungsbild vertritt. Die probieren natürlich, einen einzuschüchtern und klein zu machen.

Sie zeigen die Internet-Hetzer inzwischen konsequent an.

Schulze: Am Anfang habe die Nachrichten noch gelöscht und die Leute blockiert. Aber dann habe ich irgendwann gemerkt: Ich muss nicht ausweichen, die Hetzer sind es, die aufhören müssen. Das Internet gehört denen nicht. Die haben nicht das Recht, mir eine Nachricht zu schreiben, in der steht, dass ich vergewaltigt gehöre. Mittlerweile zeige ich das konsequent an. Und das rate ich auch allen, die bedroht und beleidigt werden.

Heinloth: Das könnte auch erklären, warum der Frauenanteil in der Politik sogar gesunken ist. Es gab eine Studie unter 1000 Lokalpolitikerinnen. Viele sagten, sie empfänden den Ton in der Politik als unangenehm. Viele Frauen lassen von der Politik ab, weil sie sich dieser Diskussionsatmosphäre, diese Grabenkämpfe nicht mehr aussetzen wollen.

Was könnte man denn tun, um den Frauen die Angst zu nehmen?

Schulze: Zu mir sind schon einige gekommen, die überlegen, wegen Hass und Hetze mit der Politik aufzuhören. Ich sage dann immer: Es ist umso wichtiger, dass du dabei bleibst. Sonst sind die anderen viel lauter und machen unsere Demokratie weiter kaputt.

Heinloth: Es darf nicht sein, dass die Frauen den Männern das Feld überlassen.

Schulze: Wir Grüne wollen eine Beratungsstelle für die Opfer von Hatespeech im Netz. Wir brauchen auch eine Schwerpunktstaatsanwaltschaften zur digitalen Gewalt, damit die Verfahren gebündelt werden, sowie mehr IT-Spezialisten bei der Polizei. Und wir müssen auch noch stärker in die Forschung gehen. Es gibt immer mehr rechtsextreme Netzwerke. Im Landtagswahlkampf hat ein britisches Institut eine Untersuchung gemacht, ob es Einflussnahme auf die bayerische Landtagswahl gab.

Sie meinen die Studie "Battle für Bavaria".

Schulze: Genau. Am Anfang dachte ich: Naja, bei der Bundestagswahl gibt es sowas vielleicht. Aber die Studie hat herausgefunden: Es gab sehr wohl rechte Netzwerke, die die AfD gepusht und uns Grüne und mich als Spitzenkandidatin als Hauptgegner ausgemacht haben. Da gibt es Screenshots aus Foren, wo die Administratoren geschrieben haben: Lasst uns irgendwas Dreckiges über Katharina Schulze finden. Es gab Fake-Memes und Fake-Videos von mir.

Haben Sie sich schon einmal dafür rechtfertigen müssen, dass Sie in der Politik sind?

Heinloth: Da kriegt man schon mal einen schiefen Blick oder Sprüche wie: So ein Hobby muss sie sich nun auch noch zulegen. In einer Partei zu sein, ist für viele dabei schon noch in Ordnung - aber bitte nicht an der Spitze. Fraktionssprecher, Referent oder Bürgermeister - für viele sind das Posten, die immer noch eher ein Mann bekleiden sollte. Das zeitigt dann halt auch entsprechende Ergebnisse: Ich saß schon in Gremien allein mit 14 Männern. Oben wird die Luft schon dünner.

Reicht die Quote, um das Verhältnis in den Stadt- und Gemeinderäten anzupassen?

Schulze: Wir müssen an mehreren Stellschrauben drehen, angefangen bei der frühkindlichen Bildung. Finde bei den Kinderklamotten heute mal noch was, das nicht in Pink und Glitzer designed ist - oder in Blau und mit Baggern. Mein Traum ist es, dass wir irgendwann nicht mehr in einer Gesellschaft leben, in der wir in solche Schubladen gepresst werden. Jeder und jede sollte selbst entscheiden, ob er die Kinder betreuen möchte, egal, ob er Mann oder Frau ist, ob er Karriere macht oder nicht. Eine Quote alleine wird das nicht lösen. Man wird sie aber brauchen, um den Prozess erst einmal anzustoßen. Und wenn dann Gleichheit der Chancen hergestellt ist, können wir die Quote auch gerne wieder abschaffen.

Meinen Sie, dass Sie diesen Tag noch erleben werden?

Schulze: Das hoffe ich sehr - und wenn es vielleicht erst im Schaukelstuhl vor dem Kamin sitzend ist, feiere ich diese Revolution dann trotzdem.

Der Süden des Landkreises ist schon noch sehr traditionell geprägt. Tut sich da auch was?

Heinloth: Ich gucke da manchmal ganz neidvoll nach München. Da muss jedes städtische Referat Maßnahmen entwickeln für mehr Geschlechter-Gerechtigkeit. Ich glaube aber, dass solche Prozesse wellenartig auch in die ländlicheren Regionen kommen. Aber ich bin optimistisch, dass sich die Lage auch dort nachhaltig verändern wird.

Welche Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt es bei der Herangehensweise an politische Probleme?

Heinloth: Meiner Erfahrung nach geht es Frauen tendenziell weniger um die eigene Außenwirkung, sie wollen eher in der Sache was erreichen.

Schulze: Frauen bringen eben ihren eigenen Erfahrungshintergrund mit. Wenn man merkt: Okay, es geht ein Bus in der Früh und einer am Abend, dazwischen muss ich mein Kind die ganze Zeit selbst herumfahren - das ist etwas, darin sieht jemand, der den ganzen Tag im Büro sitzt und nachmittags nie daheim ist, vielleicht gar kein so großes Problem.

Heinloth: Ich bin da das beste Beispiel. Ich bin sehr viel in der Stadt unterwegs - mit Kindern in sehr unterschiedlichem Alter. Und wenn es dann heißt, wir sind eine fahrradfreundliche Kommune - naja. Bei vielen Kollegen im Stadtrat merkt man dann: Die setzen sich nur am Wochenende auf ihr Rennrad. Den innerstädtischen Alltag kennen die gar nicht. Wenn ein Gremium wirklich repräsentativ sein soll, dann muss es eben wirklich auch die Breite der Gesellschaft abbilden.

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