Auswirkung des Coronavirus in München:"Der totale Horror"

Auswirkung des Coronavirus in München: Der Gastronom Stefan Grosse.

Der Gastronom Stefan Grosse.

(Foto: Robert Haas)

Immer mehr Veranstaltungen werden abgesagt, Unternehmer und Gastronomen bekommen die Folgen massiv zu spüren. Ausfälle in dieser Größenordnung sind kaum zu verkraften - ein Ende ist nicht in Sicht.

Von Franz Kotteder, Karin Kampwerth, Linus Freymark und Christian Rost

Der Gastronom

Bis zum 2. März war die Welt für Stefan Grosse noch ziemlich in Ordnung. Dann kamen immer neue Nachrichten über das Coronavirus, gefolgt von der Absage der Internationalen Handwerksmesse und der Abriegelung Norditaliens. "Da ist unsere Auslastung schlagartig auf 20 Prozent runtergerauscht", sagt er. Er hat dann ziemlich schnell mit der Bank telefoniert und mit seinem Rechtsanwalt. In so einer Situation kann es schnell mal eng werden.

Stefan Grosse ist Hotelier und Restaurantbetreiber. Den Blauen Bock am Sebastiansplatz, direkt bei der Schrannenhalle, gibt es laut Urkunden seit 1297, er ist eines der ältesten Anwesen der Stadt. Heute gehört er der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gewofag. Grosse hat den Blauen Bock zusammen mit dem Koch Hans-Jörg Bachmeier 2004 gepachtet, dort ein Restaurant eingerichtet und 2008 noch ein Hotel mit 70 Zimmern. Nun ist er damit beschäftigt, Anträge auf Kurzarbeit auszufüllen. "Das muss alles sehr detailliert sein, das ist jetzt meine Hauptaufgabe."

Der Blaue Bock beschäftigt im Restaurant zwölf festangestellte Mitarbeiter, im Hotel weitere elf. Dazu kommt eine Reihe von Aushilfen für Spitzenzeiten, insgesamt sind das dann schon um die 50 Beschäftigte. Zwei Mitarbeiter hat Grosse entlassen müssen: "Wenn ich viel zu wenig Hotelgäste habe, die frühstücken, kann ich da auch keine Kurzarbeit machen." Natürlich will er Kündigungen vermeiden, er brauche schließlich gute Leute. Aber niemand könne sagen, wie es weitergehe.

Nachdem die Messe und weitere große Veranstaltungen abgesagt wurden, waren die Storni fast im Minutentakt eingelaufen. Als Italien dann noch Venedig abriegelte, kam der amerikanische Reiseveranstalter Rick Steves ("Ten Best Days in Europe") und sagte sämtliche Reisen bis in den Mai hinein ab: "Das waren immer zweimal die Woche gut 40 Zimmer", sagt Grosse, "das haut richtig rein." Aber mit Venedig und jetzt Rom fielen eben zwei wichtige Stationen weg, was soll man machen?

Grosse schlief schlecht, sagt er, dann aber war klar, dass es sich auszahlt, "wenn man seit 30 Jahren bei der gleichen genossenschaftlichen Hausbank ist". Brenzlige Situationen kennt er, 2012 war ihm über Nacht die komplette Decke im Restaurant heruntergekracht, wohl wegen Bauarbeiten in der Nachbarschaft. Das Hotel wochenlang nicht benutzbar, kein Frühstück im Hotel: "Die Folgen spüren wir heute noch", sagt Grosse, "da haben wir viele Kunden verloren, die damals eben zur Konkurrenz gegangen sind."

Der Lieferant

Auswirkung des Coronavirus in München: Im Krisenmodus ist auch das große Catering-Unternehmen wie das in der Fröttmaninger Arena und am Münchner Flughafen.

Im Krisenmodus ist auch das große Catering-Unternehmen wie das in der Fröttmaninger Arena und am Münchner Flughafen.

(Foto: Egginger/Imago)

Ähnliches berichtet, in anderem Maßstab, der international tätige Caterer Do & Co, der unter anderem Standorte in Garching und Schwaig unterhält. Er beliefert Fluggesellschaften am Münchner Airport. Zu den Kunden zählen neben Lufthansa auch "große asiatische Carrier", wie der für die deutschen Niederlassungen zuständige Geschäftsführer Johannes Echeverria sagt, ohne Namen zu nennen.

Alleine die Lufthansa wickele 50 Prozent des Caterings nicht mehr ab. Do & Co ist daneben auch für die Kioske und Restaurants, VIP-Areas und Fanbereiche in der Fröttmaninger Arena verantwortlich - aber dieses Geschäft bricht ebenfalls ein. Die nächsten Fußballspiele werden ohne Zuschauer ausgetragen. "Die Lage ist herausfordernd", stellt Echeverria fest. Externe Dienstleister könne er im Moment nicht weiter beschäftigen, aber auch intern habe es einen Personalabbau gegeben.

Der Kulturveranstalter

Hans-Georg Stocker, 2015

Backstage-Betreiber Hans Georg Stocker.

(Foto: Stephan Rumpf)

Als existenzbedrohend schätzt die Situation Hans-Georg Stocker ein. Knapp 30 Jahre gibt es das Backstage am Hirschgarten, und der Geschäftsführer hat in dieser Zeit "mannigfaltige Krisen" erlebt. Aber die Corona-Krise, sagt Stocker, "die übersteigt alles". Vor allem die Unsicherheit macht ihm zu schaffen, das, was der Sprecher der Bundesregierung kürzlich als "dynamische Lage" bezeichnet hat: ständig neue Entwicklungen, ständig neue Vorgaben der Behörden. "Der totale Horror", sagt Stocker. Das Backstage trifft es besonders hart, 60 Konzerte im März und 54 im April waren geplant. Auch wenn bisher keines abgesagt werden musste, wer weiß, wie lange das noch so geht? Und was, wenn die Corona-Krise bis in den Herbst dauert?

Im Sommer sind mehrere Festivals geplant, während der Fußball-Europameisterschaft ein Public Viewing. Sollte alles ersatzlos ausfallen, stünde das Backstage vor dem Aus, sagt Stocker. Anders als staatliche Kulturbetriebe blieben private Veranstalter auf den Kosten sitzen. Am Mittwoch gab es ein Krisentreffen des Verbands der Münchner Kulturveranstalter. Ihre wichtigste Forderung: dass sich Politik und die von Corona-Maßnahmen Betroffenen zusammensetzen und miteinander sprechen, bevor weitere Schritte erfolgen. Für Stocker steht fest: "Wenn das so weitergeht, kann es passieren, dass die ganze nicht-öffentliche Kulturszene am Ende ist."

Dass die Besucher und das Personal des Backstage sich groß Gedanken um die Ansteckungsgefahr machen, erlebt Stocker indes nicht. Im Gegenteil: Immer wieder riefen Leute an, die darum baten, das gerade anstehende Konzert auf keinen Fall ausfallen zu lassen. Vor allem Metalfans wollten sich ihre Musik nicht von dem Virus kaputtmachen lassen.

Der Techniker

Auswirkung des Coronavirus in München: Veranstaltungstechniker Urs Gammel.

Veranstaltungstechniker Urs Gammel.

(Foto: Robert Haas)

"Bis Mai noch", sagt Urs Gammel, dann könnten die Lichter ausgehen. Der 43-Jährige meint das ganz konkret. Der Markt für den Verleih von Scheinwerfern, LED-Wänden und anderer Event-Technik sei tot. "Corona-Hysterie", sagt Gammel. Mit zwei Partnern führt er eine Firma für Veranstaltungstechnik, die MDS Patec in Obersendling. Mehr als 25 Leute sind dort fest beschäftigt. Aber an jedem Tag, an dem die Veranstaltungstechniker nicht mit ihrem Equipment auf irgendeiner der großen Messen in Deutschland präsent sein können, verlieren sie gewaltige Summen. 50 000 bis 100 000 Euro Umsatz fallen dann weg - pro Tag, wohlgemerkt.

Die Tourismusmesse in Berlin wurde abgesagt, die Internationale Handwerksmesse in München auch, die Hannover Messe wurde verschoben. Die Autotage auf der Freizeitmesse Free konnten sie noch mitnehmen, immerhin, ein Auftragsvolumen von 150 000 Euro. Jetzt warten Gammel und seine Mitarbeiter. Bis Ende der Woche, gibt es zu tun: aufräumen im Lager und Instandsetzungen. Für die Zeit danach gähnt im Terminbuch der Firma ein großes Loch. 90 Prozent der Aufträge sind weggefallen.

Gammel macht sich dabei weniger Sorgen um sich; er ist verheiratet, hat aber keine Kinder. Bei einigen Mitarbeitern sind aber ganze Familien davon abhängig, ob das Event-Geschäft läuft. Selbst wenn es in einigen Wochen wieder anziehen sollte, rechnet Gammel nicht damit, den Verlust je wieder ausgleichen zu können. "Das Geld ist weg", sagt der Chef der Firma, die jährlich bis zu drei Millionen Euro umsetzt. "Kein Unternehmen rechnet mit solch massiven Ausfällen." Natürlich habe man Rücklagen gebildet, doch die Mittel schwinden.

Jetzt muss Gammel schnell sein: Überstunden und Urlaubstage abbauen, ausstehende Zahlungen von Kunden eintreiben. Seine Firma bietet jetzt auch einen Streaming-Service für Unternehmen an, die Veranstaltungen ins Internet verlegen - damit sie nicht ganz ausfallen. "Wir müssen uns etwas einfallen lassen, und ich hoffe, dass wir gemeinsam durchkommen", sagt er und klingt trotzig. Nach der Finanzkrise 2008 ging es ja auch wieder aufwärts.

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