Israel:Einer für sich

Das Land befindet sich wegen des Corona-Virus und der politischen Krise im Ausnahmezustand. Und Premierminister Benjamin Netanjahu nutzt das schamlos - für sich.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat vor knapp zwei Wochen rund 100 000 Landsleute in Quarantäne geschickt und Einreisesperren verhängt. Damals schienen diese Anordnungen überzogen zu sein. Auch deshalb, weil Netanjahu zwei Tage davor die Israelis zur Parlamentswahl gerufen hatte mit der Behauptung: "Das Corona-Ding ist unter Kontrolle, alle notwendigen Maßnahmen sind getroffen." Inzwischen ist klar, dass Israel mit seiner raschen Abschottung eine weltweite Vorreiterrolle eingenommen hat und als Vorbild gilt.

Israel befindet sich aber nicht nur wegen des Coronavirus im Ausnahmezustand, sondern auch wegen der politischen Lage. Nach der dritten Parlamentswahl binnen eines Jahres ist weiterhin keine Mehrheit für eine Regierung in Sicht. Zwar hat die rechtsnationale Likud-Partei am 2. März gewonnen, aber Netanjahu fehlen drei Sitze für eine Koalition aus rechten und religiösen Parteien. Netanjahu führt die Regierung seit der Bekanntgabe vorgezogener Wahlen im Dezember 2018 interimistisch. Er dürfte keine weitreichenden Entscheidungen treffen. Aber genau das macht er - und profitiert davon persönlich.

Der Angeklagte Netanjahu ist Nutznießer von Maßnahmen, die der Ministerpräsident Netanjahu anordnet. Der für Dienstag geplante Auftakt des Prozesses gegen Netanjahu wegen Bestechlichkeit, Betrug und Untreue wird wegen Notstands um zwei Monate vertagt. Wenige Tage zuvor hatte das Gericht den Antrag seiner Anwälte auf Verschiebung zurückgewiesen.

Obwohl sich Netanjahu auf keine Parlamentsmehrheit berufen kann, hat er sich nicht einmal die Mühe gemacht, vor seinen drastischen Schritten die Opposition einzubeziehen. Bei seinen täglichen Auftritten versucht er, sich als Krisenmanager zu profilieren und die Lage für sich auszunutzen. Sein Vorschlag, für ein halbes Jahr ein Notstandskabinett zu bilden, schien zunächst ein kluger Schachzug zu sein. Er wollte damit Zeit gewinnen für sein Ziel, sich Immunität zu verschaffen. Doch Sonntagabend kam ihm Präsident Reuven Rivlin dazwischen, indem er Netanjahus Herausforderer Benny Gantz beauftragte, eine neue Regierung zu bilden.

Obwohl er nur eine Übergangsregierung führt, nutzt Netanjahu seine Macht dazu, im Alleingang Maßnahmen zu verhängen, die die Überwachung jedes Bürgers ermöglichen und Grundsätze eines demokratischen Staates verletzen. Im "Krieg gegen einen unsichtbaren Gegner", wie er den Kampf gegen das Virus nennt, ist ihm alles recht. Er gibt zu, dass der Einsatz von Mitteln, die für Terrorbekämpfung genutzt werden, "bisher für die Zivilbevölkerung vermieden wurden". Nun werden Mobiltelefone überwacht sowie Bewegungsprofile aufgezeichnet - ohne richterliche Genehmigung. Netanjahu verwandelt Israel schlagartig in einen Überwachungsstaat.

Diese Maßnahmen stellen einen beispiellosen Eingriff in die Privatsphäre jedes Bürgers dar, Freiheitsrechte werden beschnitten. Weil die Knesset noch nicht zusammengetreten ist, gibt es nicht einmal eine parlamentarische Diskussion darüber. Demonstrationen sind auch nicht möglich, denn mehr als zehn Personen dürfen sich nicht versammeln. Es besteht die Gefahr, dass diese Überwachungsmöglichkeiten auch in Zeiten, in denen kein Notstand herrscht, weiter genutzt werden. Und dass dann Israel weltweit erneut als Vorreiter und Vorbild gilt.

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