Trainer des FC Wuhan im Interview:"Als wären wir Viren auf zwei Beinen"

Trainer des FC Wuhan im Interview: Seit Monaten unterwegs: An diesem Wochenende brach das Fußballteam von Wuhan Zall wieder nach China auf - ohne Kenntnis, wo es genau hingeht.

Seit Monaten unterwegs: An diesem Wochenende brach das Fußballteam von Wuhan Zall wieder nach China auf - ohne Kenntnis, wo es genau hingeht.

(Foto: Manu Fernandez/AP)

Ende Januar entkam der FC Wuhan dem Coronavirus durch eine Reise nach Spanien - jetzt kehrt das Team zurück nach China. Trainer José González spricht über eine Odyssee, die noch nicht beendet ist.

Interview von Javier Cáceres

Der frühere spanische Erstligaprofi José González, 53, ist seit Beginn des Jahres Trainer der chinesischen Erstligamannschaft FC Wuhan Zall. Land und Leute kennt er nicht richtig. "In Wuhan war ich einen Nachmittag", sagt er. Dann begann - kaum, dass er verpflichtet worden war - eine einzigartige, noch immer andauernde Odyssee. Der Grund: Die chinesische Elf-Millionen-Einwohner-Stadt Wuhan ist der Ursprung der Corona-Krise, die längst global geworden ist. Ende Januar war González mit seinem Team nach Spanien gereist und blieb dort länger als ursprünglich veranschlagt. Am Samstagmittag ging es zurück: Wenige Stunden bevor Spaniens sozialistischer Regierungschef Pedro Sánchez wegen Corona den Alarmzustand ausrief und das öffentliche Leben lahmgelegt wurde, trat der FC Wuhan via Frankfurt die Rückreise nach China an. Vor dem Boarding sprach die SZ mit González über die Auswirkungen der Krise auf seine Arbeit.

SZ: Herr González, kann es sein, dass Sie gerade ein Déjà-vu-Erlebnis verarbeiten müssen?

José González: Ein wenig schon, ja. Das kann man nicht von der Hand weisen. Was sollen wir machen? Es ist, wie es ist.

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Es wirkt vor allem wie ein Psychofilm. Als wir uns vor ein paar Wochen in Spanien trafen, sagten Sie, man habe Sie nach der Ankunft angeschaut ... ... als wären wir Viren auf zwei Beinen.

Das war so, absolut.

Das lag daran, dass Sie mit Ihrem Team die spanische Grenze passierten, als Wuhan zum Synonym für das damals noch fern wirkende Corona wurde. Jetzt ist die Lage in Spanien eskaliert, und Sie reisen zurück nach China. Geht es für Sie nun eigentlich direkt zurück nach Wuhan?

Nein, nein. Wuhan ist immer noch abgeriegelt. Wir fliegen mit der Mannschaft über Frankfurt nach Peking und bleiben dort erst einmal. Denn nach der Ankunft geht es für uns erst einmal in Quarantäne. Wie für jeden, der in Peking ankommt.

Wie sieht so eine Quarantäne für eine Profifußballmannschaft aus? Werden Sie in einem Hotel wohnen, in einer Sportschule mit Trainingsplatz, werden Sie mit der Mannschaft trainieren können?

Ich weiß es noch nicht. Das werden wir erst nach der Landung in Peking mit Gewissheit erfahren. Entscheidend ist: Es ist eine völlig richtige Maßnahme. So wie jede vorbeugende Maßnahme erst einmal positiv ist. Und logisch. Zumal die Chinesen gerade dabei sind, das Problem zu überwinden. Da würde es keinen Sinn ergeben, dass sie es wieder importieren.

Warum haben Sie die Entscheidung getroffen, jetzt nach China zurückzukehren? In manchen Medien ist von einer Flucht die Rede, von einer neuerlichen Flucht sozusagen.

Nein, so kann man das nicht nennen. Klar: Wir werden uns in China sicherer fühlen als in Spanien. Die Zahlen von Ende vergangener Woche sprechen nur von einem Dutzend Neuinfektionen, die meisten davon in Wuhan. Aber unsere Überlegungen waren terminlicher Natur. Die chinesische Super League soll Anfang Mai beginnen. Wenn wir jetzt zurückkehren und die zweiwöchige Quarantäne hinter uns lassen, werden wir einen Monat haben, um uns gezielt auf den Ligastart vorzubereiten.

Ursprünglich war der für den 22. Februar geplant. Wie waren die Prognosen, als der Saisonbeginn in China verschoben wurde? Setzte man die Fußball-Liga da auch für erst einmal zwei, drei Wochen aus, wie es jetzt in Spanien, England und Deutschland geschehen ist?

Nein. Die Maßgabe war: "bis auf Weiteres". Ohne konkretes Datum. Weil man sofort davon ausging, dass das alles sehr viel Zeit kosten würde. Aber wer ehrlich ist zu sich und anderen, der weiß, dass auch in Europa zwei Spieltage Pause nicht reichen werden. Man wird auch hier vier, sechs, acht Wochen brauchen. Und das auch nur unter der Voraussetzung, dass man ein gesellschaftliches Bewusstsein für das schafft, was getan werden muss.

Haben Sie den Eindruck, dass in Spanien dieses Bewusstsein vorherrscht? Sie sind Andalusier - Fußball und die Karwoche sind Teil der Wesensart der dortigen Bevölkerung. Und es gibt nicht wenige, vor allem klerikal angehauchte Lokalgrößen, die auf den Osterprozessionen bestehen, die immer Massen anziehen.

Entschuldigen Sie, ich halte diese Debatte für komplett absurd. Wir reden hier nicht über Prozessionen oder Volksfeste. Auch nicht über Fußball. Nicht einmal über die Frage, ob eine Mannschaft im kommenden Jahr in der ersten oder zweiten Liga spielt. Wir reden hier über Gesundheit, Viren. Über Fragen von Leben und Tod. Das ist die krude Realität, die Europa sich vor Augen führen muss - eine Karwoche gibt es nächstes Jahr auch.

Was haben Sie gedacht, als Sie hörten, dass Klubs in Deutschland, Spanien, Italien versuchten, den Betrieb aufrechtzuerhalten und hinter verschlossenen Türen zu spielen?

Dass wirtschaftliche Interessen der Gesundheit vorangestellt werden. Ich kann das nicht verstehen. Ich war selbst Profi ...

... unter anderem in Cádiz, Mallorca, Albacete, bei Rayo Vallecano und in China bei Tianjin ...

... und ich finde: Auch die Fußballer verdienen Respekt. Es geht auch um ihre Gesundheit. Dass am Ende alle Spiele abgesagt wurden, war absehbar. Und so richtig wie unabdingbar.

Hatten Sie in Ihrem Kreis beim FC Wuhan eigentlich je einen Infizierten?

Nein, Gott sei Dank nicht. Wir haben Wuhan ja schon am 3. Januar verlassen. So wie es geplant war. Die Mannschaften aus dem Norden fliehen vor dem harten Klima in den Süden. Da ist das Wetter angenehmer. Auch unser anschließendes Trainingslager in Sotogrande, etwa 60 Kilometer südlich von Marbella, war geplant und keine überstürzte Flucht. Mit einem wichtigen Effekt: Wir waren nie in Risikogebieten.

"Die Spieler waren unglaublich professionell"

Wurden Ihre Spieler regelmäßig auf Corona getestet?

In Spanien? Selbstverständlich. Morgens, nachmittags und abends. Wir hatten unseren Mannschaftsarzt dabei, das war seine Aufgabe. Die Fieberwerte wurden immer sofort an die chinesische Botschaft geschickt. Das war vorgeschrieben. Eine Vorsichtsmaßnahme.

Wie war Ihre Arbeit als Trainer mit der Mannschaft?

Das war für mich wirklich eine Überraschung. Die Spieler waren unglaublich professionell. Wir hatten Zeit, fußballerische Konzepte einzustudieren, die in den meisten Fällen neu für die Jungs waren.

Sie haben aber keine Spiele austragen können.

Im Grunde nicht. Ein paar Mannschaften haben Spiele abgesagt, die wir für unsere Zeit in Andalusien ausgemacht hatten.

Sie dürften in den vergangenen Monaten aber vor allem als Psychologe gefordert gewesen sein, nicht wahr?

Natürlich. Man muss sich das einmal vorstellen: Die Spieler waren wochenlang von ihren Familien, von ihren Frauen und Kindern, von ihren Eltern getrennt. Ohne dass jemand wusste, wann sie einander wiedersehen können. Sie skypten oder sprachen per Whatsapp mit ihren Lieben. Täglich. Und da gibt es natürlich herzzerreißende Momente. Da fällt der Fokus auf den Fußball nicht einfach.

Was haben Sie Ihren Spielern gesagt?

Ich habe versucht, ihnen zu vermitteln, dass der Fußball für sie die beste Therapie ist. Und dass sie Optimismus zeigen müssen, wenn sie mit ihren Familien sprechen. Ich habe ihnen auch klar gesagt, dass sie sich damit abfinden müssen, dass sie jetzt, in diesem Augenblick, als Gruppe absolut nichts für die Menschen in Wuhan und China machen können. Nichts. Aber ich habe ihnen auch immer wieder gesagt, dass sie auf dem Rasen darauf hinarbeiten müssen, den Menschen am Tag ihrer Rückkehr nach Wuhan eine Freude zu bereiten. Im Stadion. Das haben sie getan, in einer Weise, die mich wirklich gerührt hat. Es war wirklich so, dass sie auf dem Platz gelächelt haben, wenn der Ball rollte.

Sie wurden am 1. März mit Ihrer Mannschaft zum Clásico ins Estadio Santiago Bernabéu eingeladen, zum Spiel zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona, dem großen Duell im spanischen Fußball. Was bedeutete das für Ihre Mannschaft?

Das war für ihr Seelenleben ein Wendepunkt. Alles, was sie erlebt hatten, war letztlich bedrückend, und der Besuch im Bernabéu-Stadion hat sie die Probleme für den Zeitraum von ein paar Tagen zwar nicht vergessen lassen - aber etwas kleiner wirkten die Schwierigkeiten schon. Auch wenn es zu keiner Begegnung mit den Spielern von Real oder Barcelona kam, und auch nicht mit Cristiano Ronaldo, der bei dem Spiel auf der Tribüne saß.

Es gab keinen Lagerkoller?

Wirklich nicht. Und wenn es die Zeit erlaubte, haben wir ihnen auch ermöglicht, ein bisschen Tourismus zu machen und Spanien kennenzulernen. Das haben sie natürlich auch genossen.

Wie war die Reaktion Ihrer Spieler auf die Nachricht von der bevorstehenden Rückkehr nach China?

Das kann man sich kaum ausmalen. Die Freude war umgekehrt proportional zu der gedrückten Stimmung bei unserer Ausreise. Sogar jene, die aus Wuhan selbst stammen, sahen nach langer Zeit endlich wieder ein Licht am Ende des Tunnels. Auch wenn sie noch nicht wissen, wann sie in ihre Heimatstadt zurückkehren können. Aber es gibt natürlich die andere Seite, für meine Kollegen und mich. Denn nun sind wir es, die wir unsere Familien in einer ungewissen Lage zurücklassen.

Haben Sie eine Ahnung, wann Wuhan wieder zugänglich sein wird?

Nein. Und es ist auch besser, keine Vorhersagen zu tätigen. Das führt nur zu Enttäuschungen, wenn die Fristen nicht eingehalten werden. Das ist, was hier in Europa passieren wird. Von wegen zwei Wochen ...

Was wird diese Krise bewirken?

Diese Krise wird unsere Gesellschaft auf die Probe stellen. Die sozialen Netzwerke werden in dieser Hinsicht eine sehr wichtige Rolle spielen. Und damit meine ich nur in dritter oder vierter Linie die aus dem Internet. Sehr vielen Menschen werden hoffentlich die Augen geöffnet. Es geht alles nur mit Solidarität, das muss man spätestens jetzt gemerkt haben.

Was haben Sie persönlich gelernt?

Dass die Bevölkerung absolut geeint hinter einer gemeinsamen Causa stehen muss. Wie wir im Team, mit all den verschiedenen Nationalitäten. In China war das der Fall.

Es gibt aber auch Kritik an China, wegen der angeblichen Vertuschung des Ausbruchs, durch die viel Zeit verloren gegangen sein soll. Und China hat eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die in einem nicht demokratisch organisierten Land einfacher zu ergreifen sind.

Aber es geht um die Gesundheit. Man kann dich dafür kritisieren, wenn du nicht die adäquaten Maßnahmen ergreifst. In meinen Augen tun die Chinesen das jetzt.

Chinas Regierung hat nun ein Flugzeug mit Medizinern, Arzneien, Gerätschaften in europäische Krisenländer geschickt. Das mag interessengeleitet sein. Aber: Was schießt Ihnen durch den Kopf, wenn Sie das mit der Reaktion der Europäischen Union vergleichen, wo Länder den Export von Medizingütern gestoppt haben?

Man lernt, dass derjenige, der hart getroffen wurde, eine andere Sensibilität hat, dass er eher zu helfen versucht. Wir werden wirklich umdenken müssen. Wir werden als Gesellschaft eine Wende versuchen müssen. Aber ich vermute, dass wir das erst tun werden, wenn wir uns einer Grenzsituation ausgesetzt sehen.

Ihre Familie stammt aus Andalusien. Was sagen Sie denen, die Ihnen am nächsten stehen?

Dass ich ein wenig über diese Sache gelernt habe. Und dass die beste Entscheidung darin besteht, zu Hause zu bleiben. Je eher, desto besser.

Was werden Sie denken, wenn Sie, sagen wir: in einem Jahr auf diese Zeit zurückblicken?

Das sage ich Ihnen, wenn es vorbei ist. Ich fürchte, das Schlimmste kommt noch.

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