Leben mit Corona:Der Stillstand nach dem Virusalarm

Leere Supermarktregale, geschlossene Schulen und Kitas, Besuchsverbote an Kliniken: Das Leben macht vielerorts eine Pause. Mancher versucht derweil, den Notstand auch als Chance zu begreifen.

Von Viktoria Spinrad, Claudia Koestler und Felicitas Amler

Am Tag eins des bayernweiten Katastrophenfalls sitzt die 17-jährige Antonia Pavlas daheim in Geretsried und versucht, die digitale Lernplattform Bayerns ins Laufen zu bringen. Doch keine Chance: Mebis wurde gehackt. Also greift die Elftklässlerin auf das zurück, was Lehrer des Gymnasiums Geretsried ihr per E-Mail geschickt haben: Spanisch-Hausaufgaben, einen Text über Amerika - und einen über Corona. Wie Tausende Schüler im Landkreis soll sie fünf Wochen lang von daheim arbeiten. Was das mit ihr machen wird, weiß sie noch nicht. Jetzt sei es okay, sagt sie, aber wie es in fünf Woche sei, "das wird sich zeigen".

Die nächsten Wochen sind für die Landkreisbürger ein Blick in die Glaskugel. Fest steht nur, dass es gespenstisch ruhig werden dürfte, nachdem der Freistaat am Montagmorgen den Katastrophenfall ausgerufen hat. Von Dienstag an soll fast alles heruntergefahren werden: Kitas und Schulen sind nur noch für Kinder "systemrelevanter" Eltern geöffnet, die Krankenhäuser erlauben Besuche nur noch in Ausnahmefällen, der Öffentliche Personennahverkehr schaltet auf Ferienbetrieb um. Restaurants, Bars, Kinos, Theater, Fitnessstudios - von Dienstag an geschlossen.

Es ist eine Ausnahmesituation, mit der jeder anders umgeht. So machen sich drei junge Männer im Ickinger Rewe-Supermarkt einen Spaß aus der dramatischen Lage: "Ihr werdet alle sterben", rufen sie lautstark durch die Regale und husten demonstrativ laut. Einem älteren Herrn an der Kasse geht das zu weit: "Unverschämtheit, mit Menschenleben scherzt man nicht", ruft er und kassiert ein paar Husterer hinterher.

Es ist eine von vielen Szenen, die aktuell die angespannte Lage beim Einkaufen beschreiben. Auch in Icking wird gehamstert, weshalb Marktleiter Adrian Bryant Hinweise aushängt, um seine Mitarbeiter zu schützen. Darauf erklärt er, dass Ware nur in handelsüblichen Mengen abgegeben werde und die Angestellten respektvoll zu behandeln seien. Handgreiflich sei noch keiner geworden, wenn er kein Toilettenpapier mehr kaufen konnte, sagt Bryant, "aber man merkt, viele sind ungeduldig". Dabei gebe es keine Engpässe, versichert er, nur kämen die Mitarbeiter manchmal nicht mit dem Einräumen hinterher. Sein Appell: "Mehr miteinander statt gegeneinander."

Geduld ist nun auch von vielen Eltern gefragt. Für sie werden die nächsten Wochen eine Herausforderung. Zum Beispiel für Wolfgang Werner. Der unterlegene Geretsrieder SPD-Bürgermeisterkandidat hat einen achtjährigen Sohn. Seine Frau arbeitet zwar in der Pflege, er aber im Finanzamt, daher kommt für Yannik-Cäsar keine Notfallbetreuung in Betracht. Deswegen muss Werner nun flexibel sein. Je nachdem, ob seine Frau Früh- oder Spätschicht hat, springt er bei der Betreuung ein. "Ich bin dann halt jetzt der Lehrer", sagt er am Montag. Für seinen Sohn sei die Situation momentan ohnehin noch spannend, "er hat ein bisschen das Gefühl, es sind Ferien", sagt Werner.

Wie ihm ergeht es seit dieser Woche vielen Eltern im Landkreis. Denn die Voraussetzungen für eine Notbetreuung in Kitas und Schulen sind streng: Um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, müssen beide Eltern in Berufen der "kritischen Infrastruktur" wie der Medizin oder dem Transport arbeiten. Und so kommt es, dass am Montagvormittag nur ein einziger Schüler im Tölzer Gabriel-von-Seidl-Gymnasium notbetreut wird, während seine etwa 870 Mitschüler daheim sind.

Schulleiter Alexander Göbel sieht das Ganze dennoch als Chance. Denn nun gab es gar keine andere Wahl, als flächendeckend digitale Klassenräume einzurichten. Göbel weiß, dass das einzelne Lernen über das Internet nicht so effektiv sein kann, wie wenn ein Lehrer die Schüler im Klassenzimmer mitzieht. Gerade aber die angehenden Abiturienten seien sehr motiviert, sagt er: "Die wollen das Abitur schaffen."

Petra Burkhardt vom Tölzer Schulamt schätzt, dass bisher an etwa einem Drittel der Grund- und Mittelschulen Notbetreuungen eingerichtet wurden - eine Zahl, die sich freilich noch verändern kann. "Wir stehen Gewehr bei Fuß", sagt auch Petra Götzenberger vom Geretsrieder Kinderland Gartenberg. Ihre Betreuer nutzen die Zeit, um Eltern-Kind-Aufgaben für daheim vorzubereiten, Beobachtungsbögen auszufüllen oder den Garten für den Sommer herzurichten. Unmut über die strikten Vollzugsmeldungen ist auch von ihr nicht zu vernehmen: "Wir müssen jetzt solidarisch sein", sagt sie.

Ähnlich klingt Ingo Kühn, Geschäftsführer der Wolfratsauser Kreisklinik. Während die Tölzer Asklepios-Stadtklinik Besucher nur noch in Ausnahmefällen vorlassen will, soll in Wolfratshausen gemäß der Anordnung jeder Patient pro Tag nicht mehr als eine Stunde Besuch erhalten - und das auch nur von einer Person. Da sich daran aber offenbar nicht alle halten, appelliert Kühn: "Wir sind in ungewöhnlichen Zeiten und sollten Rücksicht aufeinander nehmen."

Weder in Wolfratshausen noch in der Tölzer Asklepios-Klinik waren am Montag infizierte Patienten. Beide Krankenhäuser haben sich aber entsprechend gerüstet und Quarantäne-Stationen eingerichtet, in denen Corona-Infizierte betreut werden könnten. Um Kapazitäten zu schaffen, werden derzeit auch nur noch dringliche Operationen vorgenommen.

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