French Open im Herbst:Mit der Planierraupe durch den Tennis-Kalender

French Open im Herbst: Wegen der Coronavirus-Pandemie sollen die French Open erst im Herbst stattfinden.

Wegen der Coronavirus-Pandemie sollen die French Open erst im Herbst stattfinden.

(Foto: AFP)
  • Roland Garros hat die Branche mit der Verlegung des Grand-Slam-Turniers in den Herbst überrumpelt. Eine Abstimmung mit anderen wichtigen Beteiligten aus dem Tennis blieb offenbar aus.
  • Spielerinnen und Spieler sind erzürnt wegen des Alleingangs, und der Veranstalter der US Open reagiert mit einem Seitenhieb.
  • Statt in einer fundamentalen gesellschaftlichen Krise zusammenzufinden, hat im Tennis der Verteilungskampf begonnen.

Von Gerald Kleffmann

Seit kurz vor 17 Uhr am Dienstag ist die Tenniswelt in Aufregung. Der französische Verband, die Fédération Française de Tennis (FFT), hatte da eine Nachricht verschickt, über Emails an Journalisten, über die sozialen Medien an Fans und Interessierte. In der Veröffentlichung hieß es: "Roland Garros wird vom 20. September bis 4. Oktober gespielt." In der Folge wurde knapp erklärt: Aufgrund der Corona-Pandemie sei es nicht möglich, das eigentliche Datum der Ausrichtung einzuhalten; die French Open, das zweite Grand-Slam-Turnier der Saison, sollten ursprünglich vom 24. Mai bis 7. Juni stattfinden.

Nun aber hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sogar eine Ausgangssperre für das Land verhängt. Die Nation ist wie so viele andere im Ausnahmezustand. An Sport im Mai ist wahrlich nicht zu denken. Aus Verantwortung gegenüber allen Beteiligten, so teilte die FFT daher mit, sei es "die einzige Option" gewesen, die French Open zu verlegen. Um die Veranstaltung 2020 zu retten. "Wir haben eine schwierige und doch mutige Entscheidung in dieser beispiellosen Situation getroffen", wurde Bernard Giudicelli zitiert, weiter sagte der FFT-Präsident: "Wir müssen zusammenarbeiten in diesem Kampf, um jedermanns Gesundheit und Sicherheit zu sichern."

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Das alles hätte vernünftig geklungen, wenn die FFT eine Kleinigkeit berücksichtigt hätte: irgendjemandem der beteiligten Partner, Fraktionen, Verbände von dieser Verschiebung zu erzählen und sie untereinander abzustimmen. Nach Lage der Dinge ist dies allerdings nicht geschehen. Ein Alleingang par excellence. Spielerinnen und Spieler wussten nichts, wie auch Profis der SZ bestätigten. Die Männertour ATP löschte einen Tweet, in dem auf das neue Datum verwiesen wurde. Ansonsten: kein Kommentar. Spürbarer Groll.

"Entschuldigung?", schrieb erzürnt Naomi Osaka

Der Chef der Frauentour, Steve Simon, versicherte in der New York Times, er sei völlig überrascht worden. Auch der Internationale Tennis-Verband (ITF), bei den Grand Slams als Dach-Organisation involviert, verkündete nichts, was für sich stand. René Stammbach, Präsident von Swiss Tennis und im ITF-Vorstand, verriet der Luzerner Zeitung immerhin: Vor zwei Wochen seien im Vorstand Szenarien besprochen worden: "Die Verschiebung der French Open war dabei aber kein Thema." Und so erhitzten sich die Gemüter aller und entwickelten sich zu einem Sturm der Entrüstung.

"Entschuldigung?", schrieb erzürnt die zweimalige Grand-Slam-Siegerin Naomi Osaka aus Japan, sonst lammfromm. "Wieder einmal haben es wir bei Twitter rausgefunden", giftete der Argentinier Diego Schwartzman. Am Schärfsten ging Vasek Pospisil, im ATP-Spielerrat engagiert, in die Offensive. "Das ist Wahnsinn", twitterte der Kanadier, er meinte auch: nur eine Woche nach den US Open die French Open zu platzieren. Das Finale in New York auf Hartplatz wäre an einem Sonntag, am folgenden Sonntag stünden in Paris Erstrundenmatches an, auf Sand. Dazu beklagte Pospisil, es habe "keine Kommunikation mit den Spielern der ATP" gegeben. "Wir haben NULL zu sagen in diesem Sport." Es sei daher Zeit, eine Spielerunion zu gründen, forderte er, mal wieder.

Zu einem Putschversuch rief der amerikanische Verband USTA nicht auf, aber der Veranstalter der US Open (ab Ende August) machte in einem Statement erstaunlich undiplomatisch klar: Solche Entscheidungen könnten "nicht einseitig" getroffen werden. Selbst prüfe man "all unsere Optionen, einschließlich der Möglichkeit, das Turnier auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen", dies würde aber "nur in vollständiger Beratung mit den anderen Grand-Slam-Turnieren, der WTA und ATP, der ITF und anderen Partnern, inklusive des Laver Cups" geschehen. Ein stattlicher Seitenhieb. Denn genau das, sich mit den anderen abzustimmen, hat Roland Garros nicht getan. Und dass die US Open eine Verschiebung nach hinten in den Raum stellen, ist auch als Signal zu verstehen: Wir lassen es, wenn ihr diese Spielregeln wollt, auf eine Kollision ankommen!

Die Taktik der FFT könnte Chancen haben aufzugehen

Wie eine Planierraupe ist die FFT wahrlich in das zweiwöchige Zeitfenster ab Ende September gebrettert. Ohne Rücksicht auf Turniere, die dort verankert sind: Metz, St. Petersburg, Chengdu, Sofia, Zhuhai (Männer), Guangzhou, Seoul, Tokio, Wuhan (Frauen). Der Laver Cup in Boston ist auch (17. bis 19. September). Federers Showkampf ist sportlich belanglos, doch die Strahlkraft des 20-maligen Grand-Slam-Siegers aus der Schweiz hat das Duell zwischen sechsköpfigen Teams aus Europa und dem Rest der Welt zu einem millionenschweren Business gemacht. In einer Erklärung machte die Agentur Team 8, die hinter Federer und dem Laver Cup steht, klar: Man will keinen Millimeter weichen.

Das Bizarre ist, dass alle Streitigkeiten vorerst um den hypothetischen Fall kreisen, dass die Pandemie eingedämmt und Tennis gespielt werden kann. Angesichts der dramatischen Entwicklungen gerade in Europa und den USA ist davon aber nur schwer auszugehen. Am Mittwochabend gaben ATP und WTA bekannt, dass die Turnierpause nun weltweit bis 7. Juni mindestens andauert. Trotzdem eint nicht mal diese düstere Aussicht den Tenniskosmos. Das Bild, das sich aufdrängt: Statt in einer fundamentalen gesellschaftlichen Krise zusammenzufinden, hat der Verteilungskampf um Pfründe begonnen. Nicht langsam. Sondern von null auf hundert.

Trotz der Kritik am Vorpreschen könnte aber die Taktik der FFT Chancen haben aufzugehen. Am Ende einer Saison, in der die Profis wohl kaum etwas verdienten, würden die French Open mit 45 Millionen Euro Preisgeld aufwarten, rund 50 000 Euro allein für Runde eins wäre garantiert. Fraglich ist ohnehin, ob die Turniere in China stattfinden und, selbst wenn, ob die Frauen etwa nach Wuhan reisen, dem Corona-Ursprungsort. Der Lockruf des Geldes wird letztlich zur Zerreißprobe.

Selbst Pospisil hat in der L'Equipe eingeräumt, dass ein Boykott kein zu erwartendes Szenario ist. Noch komplizierter könnte die Auseinandersetzung werden, wenn Wimbledon (erste Juli-Hälfte) eine Entscheidung fällt. Wie Rafael Nadal, zwölfmaliger Paris-Gewinner, die Verlegung findet, ist unklar. Es heißt, French-Open-Turnierdirektor Guy Forget habe ihn vor der Bekanntgabe angerufen. Der Mallorquiner hat gerade Wichtigeres zu tun. Auf der Insel muss er sich um jene Talente kümmern, die in seiner Akademie aufgrund Corona ausharren müssen.

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