Transfers im Fußball:Der verzwickte 30. Juni

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Philippe Coutinho: Aktuell Leihspieler beim FC Bayern (Foto: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)
  • Im Profifußball kommt eine Debatte über den berühmtesten Stichtag ins Rollen: Was passiert mit den Fußballer-Verträgen, die zum 30. Juni 2020 auslaufen?
  • Aufgrund der Corona-Krise stehen die größten Ligen in Europa still, womöglich sind bis Ende Juni noch nicht alle Spiele absolviert.
  • Spaniens Verbandschef Luis Rubiales sagt, dieses Datum "darf keine unüberwindbare Mauer sein". Erste Vereine sollen die Fifa schon aufgefordert haben, Transfers zu verbieten.

Von Javier Cáceres, Berlin

Man könnte den Eindruck haben, dass die Verantwortlichen des Fußballs im Zuge der Corona-Krise längst alle potenziellen Szenarien durchgespielt haben. Und dann kommt ein Thema auf, bei dem sie doch erstaunlich überrascht wirken. Am Dienstagabend war das der Fall. Da stellte sich Spaniens Verbandschef Luis Rubiales in der Zentrale der RFEF in Las Rozas einer Videopressekonferenz, es erging an ihn eine Erkundigung, die ihn stutzen ließ. "Eine interessante und intelligente Frage ...", entgegnete er und wirkte dabei, als wolle er erst mal Zeit gewinnen. Ohne Erfolg, übrigens; er ließ die Frage im Grunde unbeantwortet. Sie lautete: Was passiert mit den Profifußballer-Verträgen, die zum 30. Juni 2020 auslaufen? Unter normalen Umständen hätte die Antwort gelautet: Sie laufen halt aus. Aber die Umstände sind alles, nur nicht normal.

Dass diese Debatte um den berühmtesten Stichtag der Fußballvertragswelt auf die Profiklubs zurollt, liegt auch daran, dass alle europäischen Spitzenligen, darunter die deutsche DFL, vor dem gleichen Problem stehen - Corona - und die gleiche Lösung anvisieren: Sie wollen die laufende Saison zu Ende spielen.

Durch die Verschiebung der Europameisterschaft, die von der europäischen Fußballunion (Uefa) am Dienstag beschlossen wurde, ist auch dafür Zeit gewonnen worden. Der Sommer ist frei, um Spieltage, die jetzt gerade ausfallen, nachzuholen; die Europameisterschaft sollte bekanntlich am 12. Juli 2020 in London enden und wird nun nicht vor Juni 2021 beginnen. Auch die Uefa erkannte letztlich die Notwendigkeit an, erst mal das Brot-und-Butter-Geschäft der Klubs zu retten, ehe an die Nationalmannschaften gedacht wird. Im Notprogramm der Uefa heißt es, dass "die maximale Anstrengung unternommen wird, alle nationalen und europäischen Klubwettbewerbe zum Ende der Saison zu beenden, das heißt: zum 30. Juni 2020". So weit, so gut. Doch solange niemand weiß, wann der Spielbetrieb wieder aufgenommen werden kann, ist es auch unmöglich zu sagen, wann er beendet werden könnte.

Auch die Umstände, unter denen die Saison fortgesetzt werden könnte, sind unklar. Eine Reihe von Mannschaften könnte unter Quarantäne gestellt werden. Spaniens Verbandschef Rubiales war am Dienstag nur in einer Frage deutlich: Man wird die Saison zu Ende spielen. "Möglichst" bis zum 30.06.2020. Aber: Dieses Datum "darf keine unüberwindbare Mauer sein", betonte er. Was nicht infrage komme, sei ein Saisonabbruch mit der aktuellen Tabelle, denn das "wäre eine gigantische Ungerechtigkeit" gegenüber allen Mannschaften, die Optionen haben auf Rettung, Europa-Qualifikation, Meisterschaft.

Eine Annullierung der Saison komme auch nicht infrage, erst recht nicht ein nachträglich erklärtes Saisonende per Hinrundenschluss, was ja immerhin den Charme gehabt hätte, dass jeder ein Mal gegen jeden gespielt hätte. Eine Aufstockung der Liga 2020/21 komme auch nicht infrage. Die Argumentation von Rubiales besagt, dass alle Alternativmodelle zum Versuch, die Saison zu Ende zu spielen, "die "sportliche Integrität infrage" stellen. Was zurück zum Stichtag führt, zum 30. Juni. Denn mit Blick auf die Vertragssituation ginge es wohl erst recht um Fragen der sportlichen Integrität.

Manche Vereine müssen aus Finanznöten verkaufen

Laut Branchendienst Transfermarkt.de sitzen 72 von rund 600 Lizenzspielern der Fußballbundesliga auf Verträgen, die im Juni enden; der Spiegel berichtet, die echte Zahl liege in der ersten und zweiten Liga bei jeweils 200. Die Differenz kann auch daher rühren, dass einige Vereine per Option Verträge verlängern können beziehungsweise eine Reihe von Leihspielern wie Philippe Coutinho (eigentlich FC Barcelona, derzeit FC Bayern) nicht berücksichtigt sind.

Es sind eine Reihe von Leistungsträgern wie Charles Aránguiz (Bayer 04 Leverkusen), aber auch viele Mitläufer darunter. Die Vereine mit den meisten auslaufenden Verträgen in ihren Reihen sind laut Transfermarkt.de Fortuna Düsseldorf mit zehn und der 1. FC Union Berlin mit elf Spielern. Wie stünde es um die sportliche Integrität, wenn eine Saison ohne die Spieler beendet werden müsste, mit der sie begonnen hatte? Rechtlich scheint die Lage klar zu sein: Wenn ein Spieler nach dem 30.06. weg will, kann man ihm das kaum verwehren. Und manch ein Klub wird von sich aus gezwungen sein, Spieler zu verkaufen, um nach dem Corona-Schock liquide zu bleiben.

Mutmaßlich zu fallenden Preisen. Und womöglich nach zumindest vorläufigen Regeländerungen. Nachdem diverse Verbände mit der Idee eines einstweiligen Transferverbots um die Ecke kamen, teilte der Weltverband Fifa am Mittwochnachmittag mit, dass Änderungen oder vorübergehende Ausnahmen der geltenden Transferbestimmungen geprüft werden. Oliver Mintzlaff, Geschäftsführer des Bundesligaspitzenklubs RB Leipzig, ist sich jetzt schon sicher: "Es wird im Sommer kein Transferfenster wie in der Vergangenheit geben."

© SZ vom 19.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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