Coronavirus:Vorsicht vor falschen Warnungen

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Ibuprofen? Paracetamol? Erwerben kann man klassische Medikamente noch, wie hier in Mailand. Aber sind sie in Corona-Zeiten unbedenklich?

(Foto: Carlo Cozzoli/ddp)
  • Immer wieder gibt es derzeit angeblich seriöse Empfehlungen, dass bestimmte Medikamente die Verbreitung des Coronavirus fördern.
  • Dies stimmt jedoch in den meisten Fällen nicht, belastbare Studien zu den Wechselwirkungen fehlen.
  • Eines sollten Patienten jedoch auf keinen Fall tun: Aus eigenem Antrieb Medikamente absetzen.
  • Aktualisierung 19.03.: Die WHO hat ihre Warnung vor Ibuprofen mittlerweile zurückgezogen.

Von Werner Bartens

In Zeiten von Corona sind verlässliche medizinische Tipps mindestens so begehrt wie Toilettenpapier. Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln und Vitaminen preisen ihre Produkte an, die angeblich das Immunsystem für den Kampf gegen Sars-CoV-2 stärken. Hersteller von Saunakabinen raten zur Nutzung der Schwitzkammern, damit der grassierende Erreger keine Chance gegen den wechselwarm abgehärteten Organismus hat. Und wer regelmäßig Medikamente nehmen muss, kann sich kaum retten vor Empfehlungen, was jetzt zu tun sei - und welche Arzneimittel abzusetzen seien.

Gemeinsam ist all diesen Tipps und Empfehlungen, dass sie unseriös sind. Im besten Fall stecken gut gemeinte, aber nicht bewiesene Theorien dahinter, im schlimmsten Fall ist es dubiose Geschäftemacherei.

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Das erste Opfer des Krieges ist bekanntlich die Wahrheit, und der Kampf gegen das Virus wird nicht nur vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron mit dem Krieg gegen einen "unsichtbaren Feind" verglichen. In den vergangenen Tagen wurde vor einer angeblich untauglichen Waffe gegen den Erreger gewarnt: Im Netz und über Whatsapp kursierten Berichte, wonach es gefährlich sei, bei Verdacht auf eine Infektion mit Sars-CoV-2 das Schmerzmittel Ibuprofen zu nehmen. Eine tausendfach geteilte Sprachnachricht über den Messengerdienst verunsicherte die Menschen. Darin erzählte eine Dame von ihrer angeblichen Bekannten an der "Uniklinik Wien". In einem dortigen Labor sei entdeckt worden, dass Ibuprofen dazu führe, dass sich das neuartige Coronavirus schneller vermehrt.

Die Medizinische Universität Wien veröffentlichte umgehend ein Dementi

Die Medizinische Universität Wien veröffentlichte zwar umgehend ein Dementi und betonte, die Falschinformationen über Ibuprofen seien "Fake News" und stünden "in keinerlei Verbindung mit der Medizinischen Universität Wien" - doch das Gerücht war in der Welt. In der gegenwärtigen Zeit, in der Halbwissen noch mehr Konjunktur hat als sonst ("War da nicht ein Problem mit Ibuprofen?"), ist es schwer, Irrläufer wieder einzufangen, auch wenn in den sozialen Medien Nachrichten die Runde machten, die diese Art der Informationsverbreitung karikierten: "Der Schwager vom Heilpraktiker meines Paketlieferanten arbeitet in der Forschung und hat herausgefunden ..."

Wenig nützlich war es allerdings, dass bald darauf auch die Weltgesundheitsorganisation WHO dazu riet, bei Verdacht auf eine Corona-Infektion auf Ibuprofen zu verzichten - und stattdessen Paracetamol zu nehmen (eine Warnung, die mittlerweile wieder zurückgezogen wurde). Auch der französische Gesundheitsminister Olivier Véran warnte auf Twitter, dass entzündungshemmende Mittel wie Ibuprofen und Cortison "die Infektion verschlimmern" könnten. Im Zweifel, oder falls man bereits entzündungshemmende Medikamente nehme, solle man bitte "seinen Arzt um Rat fragen". Solche Botschaften verunsichern mehr, als dass sie hilfreich wären. Wer hat in diesen Tagen keine Zweifel, ob er sich angesichts der Bedrohung durch das Virus richtig verhält?

In der Folge meldeten sich diverse Ärzte und Wissenschaftler zu Wort, die auf mögliche Interaktionen der Antiphlogistika - so heißen Entzündungshemmer in der Fachsprache - hinwiesen. Schließlich könnten Medikamente aus dieser Gruppe, wie Ibuprofen, Aspirin und Diclofenac, die Blutgerinnung stören und Magenblutungen begünstigen. Zudem seien Nebenwirkungen an Herz und Nieren möglich. Und für eine Infektion mit Sars-CoV-2 sei es vielleicht relevant, dass diese Arzneimittel die Entzündungsreaktion beeinflussen. Eventuell würden auch die ACE-Rezeptoren auf der Oberfläche von Lungenzellen so verändert, dass Viren leichter eindringen können.

Es sind schlechte Zeiten für die evidenzbasierte Medizin

Die allgemeinen Hinweise darauf, dass populäre Medikamente Nebenwirkungen haben können, sind richtig. Sie fanden sich in den vergangenen Jahren auch immer wieder in der Süddeutschen Zeitung. Ärzte berücksichtigen mögliche Nebenwirkungen längst bei der Wahl der Schmerzmittel für Magen-, Nieren- oder Herzkranke. Diese Einschränkungen sagen allerdings pauschal nichts darüber aus, wie sich die Mittel bei einer Infektion mit Sars-CoV-2 auswirken. Entsprechende Studien dazu gibt es nicht, seriöse Belege darüber, was Covid-19 begünstigt, verstärkt oder verhindert, fehlen. Auch eine im Zusammenhang mit Ibuprofen zitierte Arbeit aus dem Fachmagazin Lancet Respiratory Medicine ist methodisch zu schwach, um die Hypothese vom in Corona-Zeiten gefährlichen Schmerzmittel zu stützen.

Soeben hat der renommierte Statistikexperte John Ioannidis öffentlich beklagt, dass in der aktuellen Pandemie zuverlässige Daten fehlen. Das gelte für die Angaben, wie viele Menschen in welchem Land infiziert und erkrankt sind. Die Schätzungen schwanken, ob die offiziellen Zahlen um den Faktor 3 oder um den Faktor 300 zu niedrig liegen. Auch die Letalität sei noch zu wenig gesichert, um Hochrechnungen anzustellen. Solche Unsicherheiten gelten genauso für viele Empfehlungen zur Therapie. Es sind schlechte Zeiten für die evidenzbasierte Medizin, also das diagnostische und therapeutische Vorgehen nach besten wissenschaftlichen Studien und Kriterien. Auch Virologen und andere Experten fahren derzeit nur auf Sicht. Sie können angesichts der neuartigen Herausforderung auch gar nicht anders.

Deshalb wäre es hilfreich, wenn momentan nicht jede Theorie hochgejazzt wird und jede biochemische Spekulation zur Empfehlung ausartet. Und nicht jeder, der den Zitronensäurezyklus mal auswendig konnte, sollte Mutmaßungen darüber anstellen, warum dieses oder jenes Mittel gefährlich oder eine großartige Therapie sein könnte. "Es wäre fatal, wenn Menschen mit ernsten Erkrankungen derzeit ihre Medikation ändern", sagt Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. "Das gilt für alle chronischen Patienten, egal ab sie kardiovaskuläre, onkologische, rheumatologische oder andere Erkrankungen haben, dazu gibt es angesichts der Corona-Pandemie definitiv keinen Grund." Diese Patienten hätten, wie oft erwähnt, ein erhöhtes Risiko, aber ein Zusammenhang mit ihrer Therapie sei nicht belegt.

Asthmapatienten sollten ihre Therapie während der Pandemie nicht ändern oder gar beenden

Ärzte und andere medizinische Fachleute kommen derzeit kaum hinterher, Patienten, die in Behandlung sind, davor zu warnen, Medikamente abzusetzen. Die Lungenspezialisten empfehlen beispielsweise in einer aktuellen Stellungnahme, dass Kinder und Erwachsene mit Asthma ihre Therapie während der Corona-Pandemie "nicht aus diesem Grund ändern oder gar beenden" sollen. Das gelte ausdrücklich auch für die Inhalation von Steroiden, also cortisonhaltigen Mitteln, auch wenn darüber spekuliert wurde, ob nicht andere Medikamente schonender für das Immunsystem sind.

"Diese Aussage verunsichert Patienten und Behandler", so Matthias Kopp, Präsident der Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie, der gemeinsam mit anderen Lungen- und Allergieexperten den Aufruf unterzeichnet hat. "Dass sich Asthma dadurch in bedrohlicher Weise verschlechtert, ist für Patienten wesentlich gefährlicher als ein mögliches, gleichwohl unbelegtes Risiko einer Förderung der Ansteckung mit dem Coronavirus." Deshalb soll eine erfolgreiche Inhalationstherapie bei Asthmatikern "auch und gerade in der aktuellen Coronavirus-Pandemie" unverändert fortgesetzt werden.

Auch in Internetforen von Rheumakranken zeigt sich die Verunsicherung, ob die Dauermedikation angesichts der Corona-Pandemie beibehalten werden soll. "Ich habe dies hier gefunden, war sehr alarmiert", schreibt eine Patientin, die diskutieren will, ob ihre Medikamente die Infektanfälligkeit erhöhen. Ein anderer Teilnehmer ist ebenfalls beunruhigt: "Was soll ich nun tun? Weiter das Mittel nehmen?"

Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie warnt deutlich davor, die Basistherapie "allein aus Furcht vor einer Infektion" abzusetzen und weist ausdrücklich darauf hin, "dass es zur Zeit keine belastbaren Daten zum Risiko einer Covid-19-Infektion unter laufender immunsuppressiver Therapie gibt". Deshalb könne es auch keine evidenzbasierten Empfehlungen dazu geben. Etliche Fachverbände raten, keinesfalls Medikamente ohne Rücksprache mit dem Arzt abzusetzen. Die Erkrankung selbst ist fast immer gefährlicher ist als die Therapie.

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