Kolumne "Überlebenskunst":Schön ist es trotzdem

coronavirus edward hopper

Leeres Draußen und ein Innen, das alles sein muss: Edward Hoppers Gemälde "Nighthawks", 1942.

(Foto: Edward Hopper/The Art Institute of Chicago, Friends of American Art Collection)

Einsamkeit, innen wie außen: Warum in diesen Tagen so viele Menschen die Werke von Edward Hopper anschauen.

Von Nicolas Freund

Die sonst durchlässigen Grenzen zwischen Innen und Außen sind in den letzten Tagen neu ins Bewusstsein gerückt. Vielleicht finden sich in den sozialen Netzwerken deshalb gerade so viele Gemälde von Edward Hopper, mit dem wir diese Kolumne im Feuilleton beginnen.

Die Fondation Beyeler in Basel zum Beispiel hat ihre eigentlich gerade laufende, wegen der Corona-Maßnahmen aber ausgesetzte Ausstellung kurzerhand auf Instagram verlegt und postet regelmäßig Bilder aus der Schau mit teils langen Erläuterungen. Bei Twitter werden Bearbeitungen von "Nighthawks" geteilt, auf denen in dem Diner an der Ecke kein einsamer Mann an der Theke auf sein Glas starrt und kein Pärchen mit dem Barkeeper plaudert. Das Diner ist komplett leer, und die gedimmte Beleuchtung lässt die scharfen Kontraste den Raum zerschneiden.

Dabei, möchte man einwenden, bräuchten die Bilder Hoppers keine Bearbeitung. Sie treffen schon im Original sehr gut das derzeitige Lebensgefühl zwischen Quarantäne und Home-Office, schützender und zugleich einengender Isolierung, verwaistem öffentlichen Raum und einem Innen, das plötzlich alles sein muss. Hoppers Figuren teilen sich diese Räume der Cafés, Hotellobbys und Wohnungen, immer lockt und droht zugleich durch ein Fenster das menschenleere Draußen, während die Menschen in den Räumen, selbst wenn sie sich nahekommen, keine Bindungen aufzubauen scheinen. Auch die Hände des Paares in "Nighthawks" berühren sich eben nicht. Gerade die räumliche Nähe betont die individuelle Isolierung.

Wenn die Figuren in den Bildern nicht sowieso alleine sind und in die Ferne starren wie die Frau in "Morning Sun", die im Nachthemd in der Sonne auf ihrem Bett sitzt und nicht zu wissen scheint, wie ihr geschehen ist und was sie mit dem Tag anfangen soll. Oder die Dame, die in "Cape Cod" aus einem Erker sehnsüchtig und besorgt auf strahlendes Dünengras und düstere Baumreihen blickt. Die Fondation Beyeler schrieb auf Instagram, das Bild zeige beispielhaft die Prämisse, an der sich die Ausstellung orientiert: Was man nicht sieht, ist genauso wichtig wie das, was man sieht. Denn draußen, das scheinen die Figuren alle zu wissen, da ist das Virus. Schön ist es trotzdem.

Die späte Moderne Hoppers erscheint auch plötzlich so gegenwärtig, weil sich in diesen Bildern nicht nur die häuslichen Situationen so stilvoll widerspiegeln, sondern weil mit den Figuren in den Gemälden auch eine vergangen geglaubte Geisteshaltung zurückkehrt. Denn näher als das oft zitierte Biedermeier ist uns die Moderne, wenn es um den Rückzug ins eigene Heim geht. Nicht politische, sondern gesellschaftliche Verhältnisse drängen das Individuum zu diesem Rückzug. Der heimische Innenraum hat in der Moderne immer auch etwas Neurotisches, und man merkt Hoppers Figuren die Spannung an, die auch uns gerade wieder erfasst. Der Soziologe Georg Simmel formulierte das Grundproblem der Moderne, das jetzt in leicht veränderter Form wiedererscheint, so: "Die tiefsten Probleme des modernen Lebens quellen aus dem Anspruch des Individuums, die Selbstständigkeit und Eigenart seines Daseins gegen die Übermächte der Gesellschaft, des geschichtlich Erlebten, der äußerlichen Kultur und Technik des Lebens zu bewahren."

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Auseinandersetzen muss sich der Einzelne weniger mit der Natur des Virus als mit allen anderen, die auch isoliert sind, die krank sein könnten oder die man selbst anstecken könnte. Die Gegenwart der anderen treibt in die Isolation. Diese nahe Ferne treffen die Gemälde Hoppers. Sie zeigen uns, dass man mit diesen Gefühlen nicht allein ist.

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