Infektionsschutzgesetz:Neues Gesetz soll Eingriffe in Grundrechte erlauben

Coronavirus - Bayern

Die neue Grenze zwischen Bayern und Österreich. Ein Mountainbiker steht auf der deutschen Seite vor dem abgesperrten Übergang zwischen dem Aschauer Ortsteil Sachrang auf bayerischer Seite und Niederndorferberg im Bundesland Tirol, das zum Quarantänegebiet erklärt wurde.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)
  • Kommenden Mittwoch will der Landtag ein fraktionsübergreifendes neues Infektionsschutzgesetz verabschieden.
  • Mit ihm sind Eingriffe in die Grundrechte möglich - wenn die Staatsregierung nach Anhörung des Landtags den "Gesundheitsnotstand" festgestellt hat.
  • Dazu gehören auch Dienst- und Produktionspflicht und Beschlagnahmungen.

Von Dietrich Mittler

Bayern bekommt ein neues Infektionsschutzgesetz. Bereits am Mittwoch will der Landtag einen fraktionsübergreifend überarbeiteten Entwurf verabschieden. Angesichts der massiven Ausbreitung des Coronavirus soll das Gesetz den bayerischen Behörden - befristet bis Ende dieses Jahres - ermöglichen, auch drastische Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung einzuleiten. Hat demnach die Staatsregierung nach Anhörung des Landtags den "Gesundheitsnotstand" festgestellt, sind auch Eingriffe in verfassungsmäßig garantierte Grundrechte möglich. Das ist dann gegeben, wenn "die Gesundheit oder das Leben einer Vielzahl von Menschen ernsthaft gefährdet erscheint".

So etwa dürfen die Behörden alle Bürgerinnen und Bürger des Freistaats im Notfall zu "Dienst-, Sach-, und Werkleistungen" in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen verpflichten - sofern sie dazu fachlich geeignet sind und sofern sichergestellt ist, dass die von der Anweisung betroffenen Personen hierdurch nicht "unverhältnismäßig" in ihrer Gesundheit oder körperlichen Unversehrtheit gefährdet sind.

Überdies dürfen die Behörden nun beim Kampf gegen die Corona-Pandemie auch zügig Material und medizinische Gerätschaften beschlagnahmen, "die für die Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung notwendig sind", also etwa Beatmungsgeräte, Schutzkleidung und Hygieneartikel. Entsprechende Artikel sind den Behörden zu melden. Stehen Beschlagnahmungen an, so können Behörden auch ohne Einverständnis der Inhaber Geschäftsräume betreten, um sich einen Überblick über die Materiallage zu verschaffen. Auf Drängen der Opposition wird der bislang vorliegende Entwurf dahingehend geändert, dass privater Wohnraum vor solchen Zugriffen geschützt bleibt.

Händler und Hersteller, die gezwungen werden, ihren Warenbestand dem Staat oder gesundheitsrelevanten Einrichtungen zu überlassen, werden mit jenem Preis entschädigt, der vor der Corona-Krise für die Ware angesetzt war. Der ist - wie auch der Handel einräumt - erheblich niedriger als momentan. Damit nicht genug: Hersteller müssen sich zudem darauf einrichten, benötigte Materialien auf Anforderung der Behörden produzieren zu müssen. Im zu beschließenden Gesetzestext soll nun aber in einem Passus klargestellt werden, dass dies nur möglich sein soll, "wenn der betroffene Betrieb hierfür sowohl technisch als auch wirtschaftlich in der Lage ist".

Im Kampf gegen den gefährlichen Erreger wird das neue Gesetz dem Staat auch Zugriff auf Daten der Ärzte ermöglichen, falls das Gesundheitssystem "auf sämtliche in Bayern tätigen Ärztinnen und Ärzte" angewiesen sein wird. Die Bayerische Landesärztekammer soll daher verpflichtet werden, detailliert über ihre Mitglieder Auskunft zu geben. Wenn nämlich in naher Zukunft zu viele Mediziner selbst erkrankten oder sich als Verdachtsfälle in Quarantäne begeben müssten, dann sei man auf die Mithilfe von Ruhestandsärzten angewiesen. Gleiches gelte für den Rettungsdienst und die Pflege. Hierbei werde man auf Ehrenamtliche angewiesen sein, die über "hinreichende medizinische oder pflegerische Kompetenz verfügen". In diesem Sinne sollen auch Rettungsorganisationen und Feuerwehren mitteilen, wer in Frage kommt.

In der Landesärztekammer hieß es dazu: "Unsere Verantwortlichen - Präsident Gerald Quitterer eingeschlossen - sind derzeit vollständig mit der Patientenberatung und -behandlung beschäftigt. Über die auf uns zukommenden Forderungen konnten wir uns daher noch gar keine Gedanken machen." Überdies gelte es zunächst über weitere gravierende Einschnitte zu beraten - etwa die ins Auge gefasste Beschlagnahmung von Beatmungsgeräten in Arztpraxen, um damit in Kliniken den Aufbau von mehr Intensivplätzen zu ermöglichen.

Ursprünglich wollte die CSU-Fraktion im Landtag das neue Infektionsschutzgesetz am Donnerstag verabschieden. Am Dienstag erst hatten die anderen Fraktionen den Entwurf bekommen. "So geht das nicht", hieß es prompt auf Seiten der Opposition, "zumal hier massive Eingriffe in die Grundrechte geplant sind." Ministerpräsident Söder (CSU) traf sich mit allen Fraktionsvorsitzenden. "Grundsätzlich sind wir ja alle für ein solches Gesetz, um der Gefahr begegnen zu können", sagte Ruth Waldmann, die gesundheitspolitische Sprecherin der Landtags-SPD. Demzufolge sei rasch ein Kompromiss gefunden worden, über den nun noch im Gesundheits- sowie im Innenausschuss beraten wird.

Dass das Gesetz jetzt eine Woche später kommt, als von der CSU ursprünglich geplant, sei im Interesse aller - zumal nun auch einige handwerkliche Fehler ausgebessert seien, betonte Waldmann. Und: In den neuen Entwurf werde jetzt aufgenommen, dass das Gesetz nur befristet gilt. Die Staatsregierung soll auch nur dann den Gesundheitsnotstand feststellen können, wenn sie zuvor den Landtag eingebunden hat. Erleichterung auch bei den Grünen. Ohnehin: "Bis zur Verabschiedung des neuen Gesetzes greift das Katastrophenschutzgesetz. Und das räumt auch der Staatsregierung bereits jetzt weitgehende Maßnahmen ein", sagte deren Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze.

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