Segeln:Der Mann mit dem Laser

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Philipp Buhl ist am Fuße der Allgäuer Alpen aufgewachsen und wurde trotzdem zum besten Segler der Republik. Er ist die größte Medaillenhoffnung für die Olympischen Spiele, wann auch immer diese stattfinden werden.

Von Ralf Tögel

Fährt man auf der Bundesstraße 19 in Richtung Sonthofen, steuert man etwa ab Höhe Immenstadt direkt auf die Allgäuer Alpen zu. Das Panorama mit den majestätischen Bergen ist atemberaubend, links der Grünten, Wächter des Allgäus, rechts die Hörner-Gruppe, dahinter die Oberstdorfer Bergwelt, viele Zweitausender, alle weiß überzuckert. Dass dem Allgäu viele berühmte Wintersportler entsprungen sind, ist bei diesem Anblick nicht schwer zu erraten. Der Oberstdorfer Ski-Weltmeister Hansjörg Tauscher, der derzeit beste deutsche Skispringer Karl Geiger, aus Sonthofen stammen der frühere Slalom-Weltmeister Frank Wörndl oder die aktuelle Snowboard-Weltmeisterin Selina Jörg. Den besten Segler der Republik würde man dagegen eher in Richtung Meer verorten, in Kiel oder Hamburg vielleicht, doch der kommt ebenfalls aus dem Voralpen-Städtchen Sonthofen: Laser-Weltmeister Philipp Buhl.

Mit einem Laptop unter dem Arm schlendert er zum Treffpunkt, ein Café nahe der beschaulichen Fußgängerzone. Nur der Adler auf der Brust seiner Daunenjacke verrät, dass es sich um einen Sportler von nationaler Bedeutung handeln muss, erkannt wird der 30-Jährige nicht. Vormittags war er noch beim Skifahren, erzählt er - bester Laune, wie das so ist, wenn man in den Bergen aufgewachsen ist. Und wie das so vor nicht einmal zwei Wochen war, als die Corona-Einschränkungen noch moderater waren. "Ich bin immer noch begeisterter Skifahrer", sagt er, allein die Zeit dafür fehle meist. Und ja, als er in den Segel-Bundeskader aufgenommen wurde, habe man ihn an die Verletzungsgefahr beim Skifahren erinnert, er selbst denkt auch ab und zu darüber nach. Egal. Buhl ist ganz in der Nähe groß geworden, in dem Weiler Sterklis am Fuß des Grünten, mit Blick auf den Skilift. Bis er 16 war, ist er auch Skirennen gefahren, "aber Segeln konnte ich schon immer besser". Sein Vater nahm ihn schon als kleinen Bub mit zum nahen Alpsee. "Ich war früher ein ziemlicher Pummel", erzählt Buhl, das sei ihm in den kleinen Booten zunächst zugute gekommen. Schwer vorzustellen, wenn der 1,87 Meter große und durchtrainierte Athlet vor einem sitzt, von Übergewicht jedenfalls ist nichts mehr zu sehen.

Mit einem Verschieben der Olympischen Spiele könnte Philipp Buhl gut leben, wie er sagt. Die Absage indes wäre ein riesige Enttäuschung. (Foto: Lars Wehrmann)

Irgendwann musste er sich entscheiden, er blieb beim Segeln, mit 13 wurde Buhl erstmals deutscher Jugendmeister. Drei Jahre später wechselte er in die Bootsklasse Laser Standard, in der er heute noch segelt. Als 17-Jähriger gewann er die Europameisterschaften in der U19 und U21, zudem Bronze bei der Junioren-Weltmeisterschaft. "Das war der Durchbruch", erinnert sich Buhl. Der frühe Wechsel in den Erwachsenenbereich kam ihm zugute, fortan wurde er zum Medaillen- und Titelsammler.

Sein Ziel sei immer gewesen, das Lasersegeln in Deutschland auf ein neues Level zu heben, dafür ist er der Bootsklasse bis heute treu geblieben, die seit 1996 olympisch ist: "Aber 2000, 2004 und 2008 gab es keinen deutschen Laser-Segler bei den Spielen", erzählt Buhl. Er wollte das ändern, es ist ihm bald gelungen: 2012 verpasste er noch die Qualifikation, 2016 landete er auf Platz 14, wenig zufriedenstellend für seine Ansprüche. Denn längst ist er das Aushängeschild des Deutschen Segler-Verbands (DSV). Es folgten zahlreiche Siege bei deutschen Meisterschaften, der Kieler Woche, Buhl gewann Weltcups, war Europameister, Vize-Weltmeister - und vor drei Wochen hat er vor Melbourne eine schmachvolle Zeit der deutschen Segler beendet: Der Sonthofener ist der erste deutsche Weltmeister seit 20 Jahren in einer olympischen Klasse, gleichzeitig sein bisher größter Erfolg in seiner Karriere.

Wie geht es weiter? Die Vorbereitungen auf Olympia sind unterbrochen, ob die Spiele stattfinden, ist ungewiss. (Foto: Lars Wehrmann)

Gleichwohl kann er im Café völlig unbeachtet einen doppelten Espresso ordern, was ihn nicht weiter stört: "Ich vermute, es würde mir auf den Sack gehen, wenn ich ein Schweinsteiger wäre. Superstar zu sein, ist nicht unbedingt ein Segen." Einen monetären Vorteil hätte es, das schon, würde Buhl nicht ausgerechnet im Segeln zur Weltelite zählen. "Es ist Randsport", erklärt er, aber es lasse sich vernünftig leben. Der Deutsche Seglerverband (DSV) übernehme den Großteil der Reisekosten, sofern man im Olympiakader segelt, die Sporthilfe und mehrere Individualpartner helfen, und natürlich sein Arbeitgeber, die Bundeswehr. Buhl hat einen Platz in der Sportfördergruppe, das Gehalt reicht für den Lebensunterhalt. Und dennoch ist er eine Art Einzelkämpfer, Sponsoren muss er selbst akquirieren, individuelle Maßnahmen aus eigener Tasche bestreiten. "Um einen neuen Blickwinkel zu bekommen, habe ich mal einen erfahrenen Experten geholt", den externen Trainer musste er allerdings selbst bezahlen: "Da kommt schnell einiges zusammen."

Auch die Medienpräsenz der Segler ist überschaubar, vielleicht darf er ja vor den Olympischen Spielen von Tokio ins ZDF-Sportstudio, erzählt er. Zweimal war er bereits dort, "aber der Segler Philipp Buhl allein war nicht interessant genug". Zuletzt wurde er vor den Spielen in Rio eingeladen, übergeordnetes Thema war das vermüllte und verdreckte Segelrevier in der Bucht der Metropole. Einmal war er zu Gast, weil es einen Disput mit dem Verband gegeben hatte. Eine alte Geschichte, sagt er, wegen einer Kampagne für den Youth Americas Cup gab es seinerzeit Differenzen mit dem DSV. "Ein bisschen Sensation gehört offensichtlich dazu, vielleicht reicht ja jetzt der erste WM-Titel seit 20 Jahren."

Buhl ist ein Mensch, der seine Meinung äußert, das wird auch im Kollegenkreis geschätzt, er war die vergangenen sechs Jahre Aktivensprecher der deutschen Segler. Buhl ist auch einer, der sich selbst hinterfragt, der nachdenkt. Manchmal zu viel, wie in der vergangenen Saison. Die war schleppend angelaufen, gute Ergebnisse blieben zunächst aus, das nagt an einem Perfektionisten wie Buhl. Da waren auch die Probleme mit dem Knie, er ließ Weltcups aus, feilte an seiner Form, quälte sich gar mit dem Gedanken, dass "es von heute auf morgen vorbei sein kann". Der jahrelange Leistungssport hinterlässt Spuren im Körper eines Athleten. Und im Kopf.

"Ich wusste aber, dass ich das Segeln nicht verlernt habe", der Misserfolg nagte dennoch am Selbstverständnis des erfolgsverwöhnten Weltklasseathleten. Mit EM-Bronze Ende Mai wichen die Zweifel, die Leichtigkeit, die den Athleten vom Segelclub Alpsee-Immenstadt an die Weltspitze gebracht hatte, war zurück. Der WM-Triumph vom Februar nimmt nun "sehr viel Druck", sagt Buhl, er könne "sehr gelassen" nach Tokio reisen, sofern Olympia stattfindet. Zehn Athleten hätten Medaillenpotenzial, rechnet der Sonthofener vor, er zählt zu den Aussichtsreichsten. Das Revier in der Bucht von Miho kennt er von der Tokio-Generalprobe vergangenen August, "ein Allround-Revier", sagt er. Wie geschaffen für einen Allround-Sportler.

Zuletzt trainierte Buhl auf Wasser in Spanien, er war ein paar Tage auf Mallorca. Dort ist im Mai ein Weltcup geplant, von seinem Vorhaben, gleich auf der Insel zu bleiben, sah er allerdings ab, nachdem in Spanien eine Ausgangssperre verhängt wurde wegen des Coronavirus. Nach einer kleinen Odyssee ist er wieder zurück in Sonthofen, hält sich auf seinem Rudergerät, mit Joggen oder Fahrradfahren fit. Buhl könnte einer Verschiebung der Spiele von Tokio durchaus etwas abgewinnen, "das würde schon Sinn machen". Ausfallen sollten sie nicht, aber in diesen Zeiten könne man ohnehin nur abwarten, jeder Plan kann ein paar Stunden später obsolet sein. Nur eines ist sicher, zum Skifahren wird er demnächst nicht mehr kommen. Auch in den Allgäuer Alpen sind alle Skigebiete seit Anfang der Woche dicht.

© SZ vom 22.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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