Kultursoziologie:Sie halten nicht um jeden Preis durch

Banksy's Peckham Rock installation at British Museum

Steckt im modernen Helden der archaische Jäger oder der Sammler? Dann könnte er aussehen wie die Figur auf dem „Peckham Rock“.

(Foto: picture alliance / empics)

Ulrich Bröckling erklärt, warum der Heldenkult auch in postheroischen Gesellschaften eine Herrschaftstechnologie ist.

Von Andreas Reckwitz

Im letzten Herbst erschien das Buch "Warum Demokratien Helden brauchen" des St. Gallener Philosophen Dieter Thomä. Thomä kritisierte mit Verve die gängige Rede von der Spätmoderne als einem postheroischen Zeitalter. Die liberale Demokratie sei gerade angesichts ihrer grassierenden Verachtung auf mutige Verteidiger angewiesen. Das aktuelle Buch des Freiburger Kultursoziologen Ulrich Bröckling "Postheroische Helden. Ein Zeitbild" liest sich nun wie eine skeptische Antwort auf Thomäs Plädoyer.

Bröcklings Buch hat dem eigenen Anspruch nach die Gestalt eines "Essays" mit zeitdiagnostischer Perspektive. Es ist im Kontext des interdisziplinären Sonderforschungsbereichs "Helden - Heroisierungen - Heroismen" der Universität Freiburg entstanden. Auf das Phänomen des Helden blickt Bröckling aus einer kultursoziologischen Metaperspektive, das heißt, er seziert die philosophischen, soziologischen, psychologischen und ökonomischen Diskurse, in denen im 19. und 20. Jahrhundert die Relevanz von Helden, der Wunsch nach Heroisierung und Tendenzen zur Entheroisierung zum Thema geworden sind.

Für die Gegenwartsgesellschaft geht Bröckling von einem grundsätzlich doppeldeutigen Befund aus. Einerseits kann kein Zweifel darüber bestehen, dass sich die Gesellschaft nach dem Ende der 1945 in Schutt und Asche versunkenen "heroischen Moderne" (Heinz Dieter Kittsteiner) ins Postheroische gewandelt hat. Der Held, der sich opfert, ist in vielerlei Hinsicht zu einer antiquierten Figur geworden. Andererseits lässt sich aber gerade in diesem dezidiert postheroischen Rahmen eine neue Faszination für das Heldentum - von den Helden des Alltags bis zu den populistischen Führern - beobachten.

Der Ausgangspunkt in Bröcklings bündig verfasstem, pointiert formulierten und facettenreichen Essay ist, das Heroische als eine narrative Figur zu begreifen. Es gibt keine objektiven Helden, und es reicht nicht, sich selbst zu einem zu erklären. Das Heroische bildet sich immer erst in gesellschaftlichen Heldenerzählungen aus. Der Held affiziert dabei, er spricht emotional an. Helden zeichnen sich durch zugeschriebene Außergewöhnlichkeit aus, häufig auch durch den Kampf gegen eine Übermacht, schließlich durch die Bereitschaft zum Opfer. Der Held ist selbst das Gegenteil eines Opfers (victim), aber er opfert (sacrifice) etwas oder gar sich selbst einer höheren Sache.

Versteht man den Helden in dieser Weise, dann stellt sich rasch heraus, dass er für die Moderne eigentlich ein Fremdkörper ist - und gerade deshalb so faszinierend wirkt. Schon bei Hegel wird diese Ambivalenz deutlich. Die von bürgerlicher Gesellschaft und Staat dominierte Moderne hat in ihren anonymen Mechanismen keinen Raum mehr für jene Helden, von denen die Mythen der traditionalen Gesellschaften geprägt waren. Aber der Begeisterung für einen "welthistorischen Menschen" wie etwa Napoleon konnte sich auch Hegel nicht entziehen. Begründet hat er sie dadurch, dass der Heros nur der individuelle Ausdruck des geschichtlichen Fortschritts sei. Jedoch: Sobald der geschichtsphilosophische Optimismus abgestreift ist, steht der Held der Moderne nackt da. Und bemäntelt wird er in der "heroischen Moderne" der Zeit von 1880 bis 1945 mit dem Narrativ des Nationalismus und Militarismus. Tatsächlich ist in Bröcklings Darstellung der Krieger der Prototyp der heroischen Erzählungen, und Ernst Jüngers Texte zur totalen Mobilmachung und Opferbereitschaft scheinen damit den Kern des Heroismus des zwanzigsten Jahrhunderts zu beschreiben.

Der Heroismus der Weltkriege ist tot. Am plastischsten und interessantesten wird Bröcklings Essay daher, wenn er die Diskurse des Postheroischen in den drei Bereichen der Psychologie, der Ökonomie und des Militärischen seit den Achtzigerjahren untersucht. Mit dem Frankfurter Sozialpsychologen Martin Dornes macht Bröckling die Konturen der postheroischen Subjektform der Spätmoderne aus: eine Persönlichkeit mit ausgeprägter Fähigkeit zur flexiblen Selbststeuerung, zum "Coping", aber auch mit gesteigerter Verletzlichkeit. Solche Menschen "halten nicht um jeden Preis durch, aber sie halten doch einiges aus". Und selbst die Heldenmetaphern, die manche psychologischen Ratgeber etwa für den Unternehmensbereich pflegen, beziehen sich zwar auf Personen mit hoher Risikoaffinität, erwarten von ihnen aber doch einen partizipativen Führungsstil. Dazu passt das "postheroische Management", wie es in den 1990er-Jahren Dirk Baecker beschrieben hat.

Die eigentliche Arbeit erledigten nicht die Jäger, sondern die unspektakulären Sammlerinnen

Die Probleme, welche die Kultur des Postheroismus für das Militär mit sich bringt, arbeitet Bröckling mit großer Klarheit heraus. Nicht zuletzt angesichts der reduzierten Opferbereitschaft der Berufssoldaten und ihrer Familien verlegt sich der Westen auf die asymmetrische Kriegsführung durch Drohnen - was augenscheinlich mit der Selbstopferungsbereitschaft von Selbstmordattentätern kontrastiert. Dem spätmodernen Subjekt ist das Heroische grundsätzlich fremd geworden.

Vor diesem Hintergrund bildet sich die paradoxe Struktur postheroischer Helden heraus, das Heroische wird gewissermaßen in kleiner Münze gezahlt. Alltagshelden wie Retter- und Helfergestalten, die Sieger des Sports, die Superhelden der Comics rücken ins Zentrum, aber mittlerweile auch dezidiert weibliche Politikheldinnen wie Greta Thunberg.

Was ist das Fazit dieser kleinen Geschichte der modernen Heldendiskurse? Bröckling bleibt - ganz Kultursoziologe - größtenteils distanzierter Beobachter. Auf den letzten Seiten wagt er sich jedoch aus der Deckung. Je mehr er sich mit den Helden beschäftigte, umso größer sei sein Unbehagen geworden. Jene, die der postheroischen Spätmoderne anempfehlen, sie bräuchten Helden, haben natürlich ihre Argumente: Der Held sei nicht egoistisch, er handele für das Kollektiv, der Held sei jener, der Innovation in die behäbige Gesellschaft bringe.

Ulrich Bröckling wollen diese Argumente nicht einleuchten. Die Figur des Helden setzt in seinen Augen auf die individuelle Tat statt auf das gemeinsame Handeln. Sie stelle eine "Identifizierungsfalle", in der nur das Außergewöhnliche bewundert werde. Letztlich sei die Heroisierung eine Herrschaftstechnologie. Man müsse sie "kaputtdenken".

Das negative Urteil über das moderne Heldentum ist bei Bröckling offensichtlich stark dadurch geprägt, dass der Kriegsheld in seiner Analyse letztlich den Prototyp der modernen Heldenfigur darstellt. Der Held erscheint so im Kern als eine Figur des militärischen Ausnahmezustandes. Natürlich kann man sich fragen, ob man dies notwendig so sehen muss. Der freundlichere Blick auf das Heldentum bei Autoren wie Thomä rührt ja auch daher, dass man den Prototyp des Helden anderswo verorten kann: bei den Widerstandskämpfern, den Revolutionären und Reformatoren, denjenigen, die dem Gemeinwesen durch ihre exzeptionellen Akte dienen.

Bröckling hingegen verweist auf den letzten Seiten seines Buches auf die Science-Fiction-Autorin Ursula Le Guin. In einem Schritt zurück in die Vorzeit der Jäger- und Sammlergesellschaften vermutet diese, dass die modernen Heldengeschichten letztlich in der archaischen Figur des Jägers wurzeln: Der Clan versammelte sich, wenn der (männliche) Jäger seine Heldengeschichte erzählte. Jedoch: Die eigentliche Arbeit haben immer schon die anderen gemacht, nicht die Jäger, sondern die unspektakulären Sammlerinnen der Nahrungsmittel. Über sie, die "infamen Menschen", wie Foucault gesagt hätte, müsste man eigentlich die Geschichten erzählen.

Das wären dann Geschichten nicht vom "Kämpfen und Sich-Opfern, sondern vom Sammeln und Versammeln". Das klingt ausgesprochen sympathisch. Aber ob das Gewöhnliche, Unspektakuläre die nach Geschichten hungrigen, medial vernetzten Subjekte auf Dauer zu befriedigen und die Faszination für das vermeintlich Außergewöhnliche in den Hintergrund zu drängen vermag? Da wird man wohl skeptisch sein müssen.

Ulrich Bröckling: Postheroische Helden. Ein Zeitbild. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 277 Seiten, 25 Euro.

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