Hörbuch-Tipps:Nicht ganz von dieser Welt 

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Jens Harzer liest Hölderlins "Hyperion". "Vom Winde verweht" wurde neu aufgenommen. Mit diesen Hörbüchern hält man die Quarantäne besser aus.

Von Florian Welle

Hölderlins 250. Geburtstag schlägt sich auch im Hörbuch nieder. Das lädt zum Vergleichen ein. Jens Harzer hat mit seiner "Hyperion"-Einlesung, bei der er von Doris Wolters in der Rolle der Diotima unterstützt wird, den Anfang gemacht und gleich unverrückbare Maßstäbe gesetzt. Harzer nimmt die Erzählsituation des Briefromans ernst (Der Audio Verlag, 5 CDs mit Booklet, 6 Stunden, 38 Minuten). Hyperion, der Eremit in Griechenland, blickt auf sein Leben zurück, und der Iffland-Ringträger trägt dem Rechnung, indem er jedes Wort an den Freund Bellarmin und das "seelenvolle Mädchen" Diotima mit Bedacht wiegt. Das Ergebnis ist eine in hohem Maße reflektierte Lesung. Gerade weil sie sich tastend vorwärts bewegt, entfaltet sie einen unwiderstehlichen Sog. Will man ihn in Worte fassen, wird man bei Navid Kermani fündig: "Aber in seinen Dichtungen ... hörte ich immer deutlicher eine Stimme heraus, die eben nicht ganz von dieser Welt schien, unergründlich, auf überirdische Weise gefühllos, und, ja, schön."

Die Hölderlin-Produktion "An die Schönheit", die Julia Nachtmann und Stephan Schad aufgenommen haben, geht andere Wege (Goya Lit, 1 CD, 88 Minuten). Sie liefert zum Jubiläum eine Art Hölderlin-Potpourri, versammelt Gedichte und Hymnen an die Liebe, den Genius Griechenlands und eben die titelgebende Schönheit; auch den Hyperion gibt es in Auszügen - zu wenig allerdings, um davon einen wirklichen Eindruck zu gewinnen. Es war eine gute Idee, die ein wenig beliebig wirkende Zusammenstellung zu rahmen. "Hälfte des Lebens" wird eingangs von Nachtmann und am Ende noch einmal von Schad gelesen, jeder von ihnen schlägt einen nüchternen Ton an und beglaubigt so den Übergang von einer sommerlich-trunkenen zu einer sprachlos-kalten Welt. Andere Vorträge indessen sind - "ach" - recht theatral geraten.

Auch im Leben des renommierten Philosophen Dieter Henrich, geboren 1927, spielt Hölderlin eine zentrale Rolle. Die Antwort des Dichters auf seine in den Briefen "Über Religion" gestellte Frage, warum der Mensch diese überhaupt habe, ließ Henrich einst "stutzen". Für Hölderlin befriedigt Religion das Bedürfnis des Menschen sich zu erinnern und dankbar zu sein und genau "das waren meine beiden Erfahrungen", berichtet der Philosoph in "Von sich selbst wissen. Dieter Henrich erzählt über Erinnerung und Dankbarkeit" (supposé, 2 CDs mit Booklet, 124 Minuten). Er verbrachte als Kleinkind mehrere Monate im Krankenhaus. Eine traumatische Erfahrung, die sich als "Brüchigkeit von allem und jedem" tief in ihn eingegraben hat. Die ihn aber auch die "unbedingte Liebeskraft" seiner Eltern als "Gegenkraft" zur Existenzangst hat erfahren lassen. Diese Infragestellung des eigenen Lebens brachte Henrich schließlich neben seiner frühen Begeisterung für "Straßenbahnsysteme" zur Philosophie, weshalb er diese auch als eine "architektonische Disziplin" begreift. Henrich, u.a. von 1981 bis 1994 Ordinarius für Philosophie an der Münchner LMU, nimmt mit seiner angenehm parlierenden Stimme für sich ein; Persönliches und Philosophisches reichen sich ungezwungen die Hand - ein weiteres Audio-Porträt des kleinen supposé-Verlages, das zu hören sich lohnt.

Einen existenziellen Schock, mit eigenen Worten einen "Knacks", erlitt auch Emmy Hennings. Die spätere Ehefrau von Hugo Ball saß zwischen Sommer 1914 und Frühjahr 1915 alles in allem etwa drei Monate in Münchner Gefängnissen. Grund war zunächst ein Diebstahl an einem Freier. Fortan arbeitete sich Hennings in ihren Schriften an dieser Erfahrung ab. Allen voran in dem 1919 erschienenen Roman "Gefängnis". Er ist nicht rein dokumentarisch, vielmehr die Interpretation des Satzes "In mir ist Schrei!", den Inka Löwendorf in ihrer gelungenen Hörbuch-Aufnahme so plastisch zu gestalten weiß (speak low, 1 MP3-CD, 275 Minuten). Es geht um den Verlust der Freiheit, das Gefühl, für ein Bagatelldelikt unverhältnismäßig bestraft worden zu sein.

Wer sich nach Flucht aus der gegenwärtigen Welt, nach etwas Eskapismus sehnt, kann auf Ulrich Noethens souveräne Lesung von Margaret Mitchells Südstaaten-Schmöker "Vom Winde verweht" mit seinem berühmten letzten Satz - "Morgen ist auch ein Tag" - zurückgreifen. Die jetzt wieder aufgelegte Aufnahme stammt aus dem Jahr 2008 (DAV, 4 MP3-CDs, 41 Stunden), basiert also noch nicht auf der kürzlich erschienenen Neuübersetzung.

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