Paralympics:Jetzt erst recht

Radprofi Michael Teuber, 52, wollte in Tokio Medaillen gewinnen. Trotz der Verschiebung und seines Alters denkt er nicht übers Karriereende nach.

Von Benjamin Emonts

Michael Teuber könnte jetzt in ein tiefes Loch fallen. Oder wegen seines Alters über das Karriereende nachdenken. Mit solchen Gedanken aber hält sich der 52-Jährige gar nicht erst auf. Er habe normal geschlafen, berichtet er am Morgen nach der Entscheidung, dass die Paralympics in Tokio um ein Jahr verschoben werden: "Sie hören es ja. Ich bin mental stark." Klar, die Verlegung der Spiele sei für seine jüngeren Konkurrenten ein Vorteil. "Aber ich werde auch 2021 gut drauf sein", verspricht der Radprofi. "Ich will eine Medaille in Tokio gewinnen."

Solche Kampfansagen kennt man von Michael Teuber, einem der erfolgreichsten deutschen Behindertensportler. Teuber ist keiner, der sich im Zweifeln oder Zurückhalten übt. Er hat bereits eine Autobiografie über sein Lebenswerk geschrieben. Trotz seiner Behinderung hat er zu Fuß den Kilimandscharo und den Chimborazo auf mehr als 6000 Metern Höhe erklommen. Den El Teide, den höchsten Berg Spaniens, bezwang er innerhalb eines Tages.

Zurückstecken oder Aufgeben ist nicht sein Ding. So war es schon im Jahr 1987, nach seinem Autounfall in Frankreich. Teuber brach sich zwei Lendenwirbel und erlitt eine inkomplette Querschnittslähmung im Bereich der Lendenwirbelsäule. Er ist seither unterhalb beider Kniegelenke gelähmt. Dennoch gewann Teuber auf dem Rennrad 20 Weltmeistertitel, sechs Gesamtweltcups und fünf Goldmedaillen bei Paralympics.

Sportler wie er sind es gewohnt, sich ihre Grenzen selbst zu setzen. Nichts außer der eigenen Form soll sie von Bestleistungen abhalten. Nun aber hat das Coronavirus die Welt fest im Griff, und ehrgeizige Profis wie Teuber müssen erfahren, dass sie nichts dagegen ausrichten können. Sein Traum, auf den Straßen Tokios an seinen sechsten Paralympics in Serie teilzunehmen, ist wegen des weltweit grassierenden Coronavirus vorerst geplatzt. Die Enttäuschung darüber will Teuber auch gar nicht verbergen. "Als 52-Jähriger wird man nicht mit jedem Jahr besser", sagt er. Ein paar Zweifel bleiben dann eben doch.

Der Aufwand, den Teuber für sein großes Ziel betrieben hat, war schließlich immens. Der Qualifikations-Zeitraum war bereits abgeschlossen, seine hart erarbeitete Nominierung für die Spiele in Tokio so gut wie sicher. Das Training hatte Teuber in den vergangenen Monaten deutlich intensiviert. Noch stärker als sonst achtete er auf seine Ernährung, verzichtete gänzlich auf Zucker und Alkohol. Bereits im Januar, als das Coronavirus in Norditalien noch kaum einer kannte, absolvierte er ein Trainingslager am Gardasee. Er saß pro Woche zwischen 25 und 30 Stunden auf dem Rad. Weitere Trainingslager auf Gran Canaria und Lanzarote folgten. Das Coronavirus nahm Europa in dieser Zeit immer mehr ein. Dennoch, sagt Teuber, habe er vor zwei Wochen mit einer Absage noch nicht gerechnet. Er sah sich bestens gewappnet für den großen Showdown in Tokio.

Womöglich hängt es auch damit zusammen, dass sich Teuber in den vergangenen Tagen auffallend ruhig verhalten hat. Andere namhafte Handicap-Sportler wie die Münchner Kugelstoßerin Birgit Kober oder die Olchinger Paracyclerin Denise Schindler hatten frühzeitig gefordert, die Paralympics wegen des Coronavirus abzusagen. Der deutsche Behindertensportverband (DBS) folgte am Montag. Teuber wiederum bezeichnete die Forderung einiger Kollegen nach einer sofortigen Absage am Mittwoch als "ein Stück weit irrational"; die Kritik am Zögern des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) sei überzogen. Teuber vermisste das Vertrauen in die Verbände und das Ausrichterland Japan. Er forderte, Geduld zu bewahren und den Ausrichtern Zeit für ihre weitreichende Entscheidung zu geben. Die generelle Verschiebung der Spiele wertet Teuber jetzt dennoch als "richtige Entscheidung". Er verweist zum Beispiel auf die lückenhaften Dopingkontrollen in der Coronavirus-Krise, suboptimale Trainingsbedingungen - und vor allem das gesundheitliche Risiko. Man dürfe besonders die Gefahr nicht unterschätzen, dass Paraathleten mit Behinderungen im Brust- und Halswirbelbereich und dadurch beeinträchtigten Atemfunktionen zur Corona-Risikogruppe gehörten.

Wie es für ihn nun weitergeht? Teuber, der von einer lokalen Bank gesponsert wird, hofft, dass er auch weiter auf die finanzielle Unterstützung von Bundeswehr und der Stiftung Deutsche Sporthilfe zählen kann - sie läuft Mitte September nämlich aus. So lange die Krise anhält, will sich der Odelzhausener weiter fit halten und seine Touren durch den Landkreis Dachau drehen, zur Abwechslung auch mal mit dem Mountainbike durch die umliegenden Wälder. Er wäre nicht Michael Teuber, wenn er nicht noch ankündigen würde, dass er wieder topfit zu den Straßenrennen zurückkehren wird. An ein Leben ohne Wettkämpfe denkt der 52-Jährige ohnehin nicht. Auf die Frage, ob er denn nun im kommenden Jahr seine paralympische Karriere beendet, sagt er: "Ich will mich da noch nicht festlegen."

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