In eigener Sache:Veränderung im Zeitraffer

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Rasante Nachrichtenlage, verlassene Redaktionsräume und Korrespondenten unter Quarantäne: Wie sich die Corona-Krise gerade auf die "Süddeutsche Zeitung" auswirkt.

Von Fabian Heckenberger

Die Meldung, erschienen am 4. Januar in den digitalen und gedruckten Ausgaben der Süddeutschen Zeitung, ist überschrieben mit drei Worten: "Lungenkrankheit in China". Auf wenigen Zeilen geht es darin um 44 Erkrankte in der chinesischen Metropole Wuhan. Fast niemand in Europa ahnte damals, welch globale Krise sich aus diesem knapp beschriebenen Sachverhalt entwickeln würde. Der kleine Text der China-Korrespondentin Lea Deuber nahm seinen Weg durch das meist schnelle, manchmal hektische Brummen des Newsdesk im 22. Stock des Verlagsgebäudes im Münchner Osten. Normales Nachrichtengeschäft. Business as usual. Das ist zwölf Wochen her. Gefühlt jedoch viel länger.

Heute arbeiten im 22. Stock der Redaktion nur noch kleine Gruppen, neudeutsch: Kernteams. Sie koordinieren die Nachrichten zu den Ereignissen, die sich stündlich entwickeln, manchmal minütlich überschlagen. Sie planen, wann welche Reportage auf der Homepage veröffentlicht wird, welche Texte in der digitalen Ausgabe im Ressort mit dem Namen "Corona-Krise" stehen und dass über das Wirtschaftspaket aus Berlin auf der Titelseite der gedruckten Zeitung berichtet wird. Es geht um Informationen, Hintergründe, Analysen, die gesellschaftlich derzeit so wichtig sind wie wahrscheinlich selten zuvor.

Die Redaktion organisiert sich neu - so schnell wie noch nie in 75 Jahren SZ

Persönliche Treffen finden nur noch im kleinen Kreis statt: Chefredaktion, Nachrichtenchefs und Ressortleiter besprechen sich am Konferenztisch, Mindestabstand zwei Meter. An einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden Passierscheine ausgegeben, mit denen sie im Falle von Ausgangssperren bei Polizeikontrollen nachweisen können, dass sie sich auf dem notwendigen Weg in die Redaktion befinden. Auf den Stockwerken ist es still. Die Kantine steht leer, die Cafeteria bietet Suppe, Eintopf, viel Kaffee - überreicht von weiß behandschuhten Händen.

Fast alle Redakteurinnen und Redakteure haben schon am Montag vergangener Woche als Schutzmaßnahme ihren Arbeitsplatz nach Hause verlegt. Sie sitzen im Arbeitszimmer, am Küchentisch oder im Wohnzimmer vor dem Bildschirm, recherchieren, schreiben oder redigieren Texte, wo sie ansonsten zu Abend essen. Sie schneiden Podcasts, Videos oder verschicken Newsletter, wo sie üblicherweise Bücher lesen oder fernschauen. Treffen für Interviews? Nicht mehr möglich. Kulturveranstaltungen? Abgesagt. Sportereignisse auch. Mancher schreibt mehr darüber, wie das alles die Gesellschaft verändert, das direkte Umfeld oder auch einen selbst.

Zwischendurch wählt man sich telefonisch oder per Videocall in Konferenzen ein und drückt die Stumm-Taste (mit dem durchgestrichenen Mikrofon!), damit die Runde nicht hört, wie im Hintergrund der Staubsauger dröhnt oder Geschirr klappert. Diskutiert wird weiter, kürzer, prägnanter. Manchmal fehlt die ausführliche Debatte zur Ideenschärfung, oft können alle einfach schneller weiterarbeiten.

Eine Redaktion ist ein lebendiger Organismus. Die SZ-Redaktion, so würden Wohlmeinende vielleicht sagen, ist ein besonders lebendiger. Das Leben dieses Organismus musste sich nun sehr schnell neu sortieren, so schnell wie noch nie in der 75-jährigen Geschichte dieser Zeitung. Die Vorbereitungen darauf begannen vor Wochen, als die ersten Meldungen über abgesperrte Gebiete in Italien die Runde machten. Notfallpläne wurden geschrieben, zusätzliche Notebooks mit Lieferwagen aus Lagern in das Verlagsgebäude gebracht. Die IT-Abteilung stockte die Zugänge zu den gesicherten Leitungen und die Bandbreite auf. Mancher Mitarbeiter packte kurzerhand seine beiden Monitore unter den Arm, wickelte das Kabel darum und baute zu Hause alles wieder auf.

Oftmals ungewohnt, manchmal anstrengend

Schnelle Absprachen finden jetzt immer häufiger über Messenger-Programme wie Slack oder Teams in sogenannten Channels statt, in thematisch sortierten, digitalen Kommunikationskanälen. Dort postet der Datenjournalist ebenso seine Ideen wie die Ressortleiterin oder der Bildredakteur. Der am häufigsten genutzte Channel heißt momentan: #coronavirus. Es gibt Channels für große Digitalreportagen, für technische Notfallfragen, und die Seiten der gedruckten Zeitung werden um 17 Uhr nicht mehr per Zu- oder Anruf am Newsdesk freigegeben und dann an die Druckerei geschickt, sondern in der digitalen Gruppe mit dem Namen #seiten-abgabe: "Sport 3 kann weg", "Titelseite fertig!". Das ist oft noch ungewohnt, manchmal anstrengend. Aber es funktioniert.

Der Organismus lebt gerade nicht unter einem Dach im Münchner Osten. Er lebt in Dutzenden Wohnungen und Häusern in München und den umliegenden Landkreisen, in ganz Bayern, den deutschen Großstädten. Er lebt in Rom, Peking, London und New York, überall dort, wo sich die Korrespondenten der SZ auch in Zeiten von Reisebeschränkungen vor Ort ein Bild von den Auswirkungen der Pandemie auf das jeweilige Land und die Gesellschaft machen können. Manche von ihnen befinden sich in Quarantäne, ihre Texte verfassen sie weiterhin. So versucht die Redaktion Tag um Tag, ein differenziertes und fundiertes Bild der Krise zu zeichnen, für alle, die die SZ auf einem Smartphone durchwischen, auf einem Notebook durchscrollen oder auf Papier durchblättern.

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© SZ vom 26.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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