"Monchi" im Interview:"Die Zeiten feindlicher Rivalität sind vorbei"

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"Dieses Spiel müssen wir gewinnen", sagt Ramón Rodríguez Verdejo - und meint die Pandemie. (Foto: Kiko Hurtado/Marca/Imago)

Ramón Rodríguez Verdejo, genannt "Monchi", ist Sportchef des FC Sevilla und exzellenter Kenner des Transfermarkts. Er erklärt, weshalb sich bei den Klubs in der Corona-Krise der gesunde Menschenverstand durchsetzen wird.

Interview von Javier Cáceres, München

Ramón Rodríguez Verdejo, genannt "Monchi", war Torwart beim FC Sevilla. Aber erst nach dem Ende seiner aktiven Fußballkarriere 1999 wurde er zu einem internationalen Star: in seiner Funktion als Sportdirektor des andalusischen Traditionsklubs. Er holte für relativ günstige Summen Spieler wie Dani Alves, Júlio Baptista, Adriano, Carlos Bacca, Luís Fabiano, Christian Poulsen und verkaufte sie gewinnbringend weiter. Zu diesen Profis gehören auch Ivan Rakitic, den er beim FC Schalke 04 loseiste, und Clément Lenglet, beide spielen derzeit beim FC Barcelona. Gepaart war Monchis clevere Einkaufspolitik mit einem unvergleichlichen Erfolg des FC Sevilla: Der Verein stieg vom Zweitligisten zu einem Spitzenklub in Spanien auf. Die Andalusier gewannen zwei Mal den spanischen Pokal und fünf Mal die Europa League. Monchi, 51, wurde vom AS Rom abgeworben, nach zwei Jahren kehrte er 2019 zurück zum FC Sevilla. Er ist ein jovialer, sehr zugänglicher Mann. In dieser äußerst schwierigen Lage aber bittet er darum, das Interview mit der Süddeutschen Zeitung ausnahmsweise schriftlich zu führen.

SZ: Aus Spanien kommen erschütternde Nachrichten. Die Zahl der Corona-Toten im Land liegt seit Mittwoch über der Zahl Chinas. Wie steht es um die Fußballfamilie des FC Sevilla?

Monchi: Bislang sind alle gesund geblieben. Aber die Situation ist außerordentlich komplex. Es ist für niemanden einfach, sich in den eigenen vier Wänden zu isolieren, sich selbst wegzuschließen und, als Fußballer, fern des Rasens zu leben.

Wie gehen Sie persönlich damit um?

Fast alle meine Angehörigen leben in San Fernando (sein Geburtsort bei Cádiz, südlich von Sevilla; Anm. d. Red.). Sie in so einem Moment nicht bei mir zu haben, ist schwierig. Ich versuche, allem etwas Positives abzugewinnen, meine Familie zu genießen. Und gleichzeitig die Herausforderung anzugehen, um mein Bestes für diesen Klub zu geben. Auch wenn das natürlich schwer ist, wenn man nicht außer Haus kann.

Wie arbeiten Sie?

Ich glaube, ich habe in meinem Leben nie so viele Videoanrufe gemacht wie jetzt. Aber es hilft ja nichts: So schwierig die Umstände auch sein mögen, wir müssen als Klubexekutive weiter funktionieren.

Spaniens Liga ist bis auf Weiteres gestoppt. In der aktuellen Tabelle steht der FC Sevilla hinter dem FC Barcelona und Real Madrid auf Platz 3. Auch wenn das jetzt natürlich nachrangig ist: Wie hart hat die Aussetzung des Spielbetriebs den FC Sevilla sportlich getroffen?

Wir waren auf einem wirklich guten Weg. Wir hatten einen negativen Lauf beendet, haben in Getafe gesiegt, bei einem echt schwierigen Gegner, dann gegen Osasuna daheim gewonnen und beim Unentschieden bei Atlético Madrid ein gutes Bild abgegeben. Ich glaube, dass wir Chancen auf ein gutes Saisonfinale hatten. Die Unterbrechung hat uns getroffen, keine Frage. Aber der Stopp ist die einzige Form, mit der Gesamtsituation verantwortlich umzugehen. Wir erleben nicht nur einen unheilvollen, sondern einen grausamen Moment. Extrem hart. Hier können sich viele Menschen nicht von ihren Lieben verabschieden. Man schaut auf die Straße und sieht: niemanden. Und doch ist die Reaktion der Menschen großartig. Wir alle wissen: Dieses Spiel müssen wir gewinnen.

Gibt es in dieser beispiellosen Situation beim FC Sevilla irgendeinen Bereich, der auch nur annähernd die Arbeit so wie vorher verrichten kann?

Es gibt ein paar Minimaldienste wie zum Beispiel die Rasenpflege auf den Trainingsfeldern und im Stadion, die wir aufrechterhalten. Aber wir hatten als Verein schon ab dem 13. März, also vor der Verkündung des Alarmzustands in Spanien, jegliche sportlichen Aktivitäten abgesagt, und die meisten unserer Mitarbeiter ins Home-Office geschickt. Das heißt nicht, dass wir ruhen. Überhaupt nicht. Der Alltag ist genauso intensiv wie vorher, er findet nur in einem völlig anderen Kontext statt.

Wenige Klubs haben sich in den vergangenen Jahren so gut durch den Transfermarkt bewegt wie der FC Sevilla. Gibt es diesen Markt überhaupt noch?

Es gibt schon so etwas wie Stillstand, weil in Bezug auf die kommenden Monate eine große Ungewissheit herrscht. Als sportliche Leitung arbeiten wir weiter und versuchen, wie immer ein Profil dessen zu erstellen, was wir für die kommende Saison anstreben.

Wie sieht das konkret aus?

Spieler, die für uns interessant sein könnten, beginnen wir schon mit Saisonbeginn zu scouten. Wir kontrollieren eigentlich alle Profiligen der Welt und geben ihnen eine bestimmte Wertigkeit. Ab März wissen wir im Grunde schon sehr gut, wen oder was wir für die jeweils folgende Saison wollen - und fangen an zu sieben. Was die zeitlichen Abläufe anbelangt, sind wir also bisher im Plan.

Eine Reihe von Dingen kann man angesichts der Ungewissheiten heute noch nicht vorhersehen. Aber man muss wohl voraussetzen, dass Geld fehlen wird. Wird man das eher an den Transfersummen oder an den Gehältern ablesen können?

Ich persönlich würde mich nicht mal trauen, auch nur eine Intuition zu äußern. Man muss mit Voraussagen vorsichtiger sein denn je, denn alles, was vor uns liegt, liegt nicht in den Händen der Welt des Fußballs. Und die Ungewissheiten am Horizont sind immens. Das gilt auch für die Frage, ob es den Spielern leichter fallen wird, den Verein zu wechseln ...

Der Fußball spricht in Schönwetterperioden gern von Werten, darunter Solidarität. Derlei hat es schon gegeben: von Klubs, von Spielern, von Fans. Wie sieht das hinter den Kulissen aus, werden da die Ellbogen ausgefahren?

Ganz aufrichtig: Mein Eindruck ist, dass das Gegenteil der Fall ist. Die Zeiten feindlicher Rivalität sind vorbei. Natürlich ist das Konkurrenzdenken nicht weg. Aber es gibt unter den Klubs Diplomatie, gesunden Menschenverstand und ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer übergeordneten Einheit - zum Ligaverband LFP. Dort ist in den vergangenen Jahren schon gute Arbeit geleistet worden, um den Fußball in vielfacher Hinsicht zu einen. Das Motto, das gilt, lautet: Was gut ist für einen Klub, sollte einem anderen nicht schaden.

Aber es gibt unterschiedliche Interessen, unterschiedlich große Klubs, die sich von den mittleren und kleinen Klubs abgesetzt hatten. Wie groß ist die Gefahr, dass sich diese Tendenz noch verstärkt?

Auch das wage ich nicht abschließend zu beantworten. Meine Überzeugung ist: Die Konsequenzen dieser Krise, egal wie sie am Ende aussehen, werden alle gleich treffen, unabhängig von der Größe der Klubs.

Ist nicht abzusehen, dass die großen Klubs zu billigeren Preisen einkaufen können?

Gegenfrage: Werden nicht auch die großen Klubs ihre eigenen Probleme haben? Ausnahmslos alle Klubs werden Schläge einstecken müssen, das ist offenkundig. Entscheidend ist für jeden Klub, einen adäquaten Notfallplan zu entwickeln. Sich so gut wie möglich auf verschiedene Szenarien vorzubereiten. Das wird die Kunst sein: eine Vereinspolitik zu entwickeln und Antworten auf viele hypothetische Ausnahmesituationen zu finden.

Als der Brasilianer Neymar Jr. im Sommer 2017 von Barcelona nach Paris wechselte, floss eine Ablösesumme von 222 Millionen Euro. PSG-Stürmer Kylian Mbappé war drauf und dran, den Rekord zu brechen. Wird es solche Transfers in naher Zukunft geben? Oder wird es lange dauern, bis dieses Marktsegment sich erholt?

Der Markt ist unvorhersehbar. Vor zehn Jahren galt eine Summe von 222 Millionen Euro als ein Wahnsinn, und doch kam es dazu. Ich halte den Fußball für eine Industrie sicherer Werte, denn es steht außer Frage, dass der Fußball ein soziales Phänomen ist. Hunderte Millionen Menschen lieben und konsumieren Fußball. Wenn wieder Normalität in unser Leben eingekehrt ist, wird es auch in unserer Branche Normalität geben. Wir müssen damit rechnen, dass anfangs gelitten wird. Aber ich glaube nicht, dass wir apokalyptisch sein müssen.

Wird das eher schnell passieren? Oder kommt nun eine Zeit sinkender Transfers, Gehälter, Beraterprovisionen?

Das wird vom Szenario anhängen, das sich uns kurzfristig bietet. Entscheidend ist, ob die Meisterschaften zu Ende gespielt werden oder nicht.

Welche Relevanz werden die festgeschriebenen Ablöseklauseln haben? Gemeint sind nicht die Fantasiesummen, die in den Verträgen von Spielern wie Messi stehen. Sondern beispielsweise von Spielern wie Dayot Upamecano von RB Leipzig: Vor ein paar Wochen galt ein Preis von 60 Millionen als realistisch ...

Die Klauseln existieren jetzt und werden auch in drei Monaten noch Bestand haben. Und dann wird es sich zeigen, welcher Klub eine größere oder kleinere Notwendigkeit hat zu verkaufen. Den Rest regelt der Markt: Die Klubs, die stärker auf Einnahmen angewiesen sind, werden Verhandlungen erleichtern.

Der Markt wurde von den englischen Klubs dominiert. Sie hatten gerade wegen der Fernsehgelder enorme Mittel zur Verfügung. Wird diese Vormacht anhalten?

Die TV-Gelder sind nicht nur für die Premier League, sondern auch für uns in Spanien, für die Bundesliga, die Serie A wichtig. Auch hier gilt: Wir werden alle getroffen werden. Und auch hier sind Prognosen schwierig. Es wird (wegen der noch ausstehenden TV-Geldzahlungen; Anm. d. Red.) einen Riesenunterschied machen, ob die Saison zu Ende gespielt werden kann oder nicht. Bei aller Vorsicht, die wir walten lassen müssen: Durch die Verschiebung der Europameisterschaft ist Zeit gewonnen. Dass die nationalen Meisterschaften zu Ende gespielt werden, ist eine reale Möglichkeit. Das muss unsere Arbeitshypothese sein. Ohne natürlich aus den Augen zu verlieren, dass die Dinge nicht von uns abhängen, sondern davon, wie sich diese Pandemie entwickelt.

Was sind die Werte der Profiklubs, die am Ende der Krise wirklich wichtig sein werden?

Ich weiß nicht, wie es in anderen Klubs aussieht. Aber unser wichtigstes Vermögen sind unsere Fans. Und für die gibt es keine Ablöseklausel.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir Monchi fälschlicherweise den Vornamen "Roberto" gegeben. Er heißt natürlich korrekt "Ramón".

© SZ vom 27.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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