Neues Album von Bobby Conn:Der Derwisch von Absurdistan

Bobby Conn, Recovery

"I don't even need to be defended / even Jesus Christ pretended / to be a man." - Bobby Conn.

(Foto: Bobby Conn/Bandcamp)
  • Bobby Conn hat noch einmal ein neues Album veröffentlicht, "Recovery".
  • Es ist ein Alterswerk, an dem er vier Jahre gearbeitet hat. Zeit für einen Anruf und ein paar Erinnerungen.

Von Juliane Liebert

Bobby Conn dachte lange, er sei der Antichrist. Dann, endlich, kam die Jahrtausendwende. Er hoffte, er würde besondere Kräfte erhalten, irgendetwas. Aber nichts passierte. Er war ein wenig enttäuscht. Statt die Apokalypse einzuleiten, nahm der Chicagoer Musiker also eine Reihe großartiger Alben auf. "The Golden Age" erschien 2001. Minutiös ausgearbeiteter Glamrockpop mit bösartigen Texten, etwa ein Liebeslied auf Sexarbeiterinnen namens "Whores", in dessen Verlauf er entdeckte, dass er selbst die Nutte war - und stolz darauf! "I don't even need to be defended, even Jesus Christ pretended / to be a man" intonierte er mit Mädchenstimme, "and after all I'm a stahahahaar!"

Bobby Conn trug meist Glitter und viel Farbe. 1997 trat er bei Chic-A-Go-GO auf und sang seinen größten Hit, "Never Get Ahead", in einem roten Trainingsanzug. Chic-A-Go-GO war eine Kindertanzshow, "Never Get Ahead" ein Song darüber, dass man seinem Boss keinen blasen sollte, um voran zu kommen. Ungewiss, ob das den Produzenten der Show klar war, als sie ihn einluden. Das Video dieses Auftritts findet sich noch heute, in mieser Qualität, aber zeitlos wundervoll, auf Youtube. Die tanzenden Teenager wippen im Hintergrund freundlich überfordert hin und her und klatschen im Rhythmus. Bobby Conn verwandelt sich derweil in einen Derwisch, verausgabt sich derart, dass die freundlich-befremdete Moderatorin sich hinterher ernsthaft um ihn sorgt. "An astonishing performance, wow, are you. . . okay?"

Das Einzige, das fast noch unterhaltsamer war als seine Musik, waren seine Interviews. Er erzählte oft und gerne, er hätte "keinerlei Selbstvertrauen". Er sagte, Tom Cruise sei sein böser Zwilling. Und schon damals erkannte er, dass das Internet nicht dafür da ist, Menschen zusammenzuführen, sondern dazu, sie zu trennen. Deswegen erschuf er ein "antisoziales Netzwerk" namens "Bobby's FacePlace".

Irgendwann schenkte er sein Vertrauen den Aliens

Davon berichtete er 2013 hinter der Bühne, nach einer Show im Privat Club in Berlin. Atemlos, das Gesicht mit Schweiß und verschmiertem Make-Up überzogen. Bobby's FacePlace funktioniere wie Facebook, nur, dass man Menschen direkt in Kategorien einteilte. Zum Beispiel "LANGWEILIG": ",LANGWEILIG' ist für Leute, die immer nur Fotos von ihrem Essen oder Haustieren oder Kindern posten." Und "COMPLAINING" sei entsprechend für Leute, die sich gerne beschweren. "Es gibt ,MY OWN SHIT' für Leute, die nur über sich reden. Es gibt ,ASSHOLES' für Leute, die einfach totale Arschlöcher sind. Es gibt ,PARANOID RANTING' für all die Freunde, die an Verschwörungstheorien und so was glauben. Für Leute, die in einer schicken Welt leben und denken, sie seien Superhelden, und von Celebrities und so was besessen sind, gibt es eine Kategorie. Es gibt ,SEX' für Leute, die die ganze Zeit über Sex reden. Und es gibt eine für Leute, die Vocoder Musik lieben. Wenn du allerdings einmal in einer Kategorie bist, bleibst du da für immer." Also ist "VOCODER MUSIC" der letzte Ausweg? "Ja." Aber was soll man sagen? Es war eine Idee, die ihrer Zeit voraus war. Doch Bobby's FacePlace ging offline, weil er keine Lust hatte, sich mit der technischen Seite zu befassen. Außerdem musste er ja Alben machen.

2004 hatte er "The Homeland" veröffentlicht. Die Reiter der Apokalypse hatten sich immer noch nicht blicken lassen, also schenkte Bobby Conn sein Vertrauen den Aliens. Die Nullerjahre berauschten sich an sich selbst, alle hörten entweder Achtziger-Sachen oder The Notwist. Bush war Präsident.

Dem stellte sich ein winzig kleiner Chicagoer Musiker mit einem Album entgegen, das eher eine Oper war, ach was, ein Opus. Auf dem Cover von "The Homeland" strahlte eine Pyramide mit einem allsehenden Auge auf der Spitze. Dollars, Dreifaltigkeit und Illuminaten - das notorische Auge ruft die wildesten Verschwörungstheorien auf. Aber Conn beamte sie mit seiner Coverversion des "Eye Of Providence" unverzüglich nach Absurdistan, mutmaßlich mitsamt der Regierung der Vereinigten Staaten. Umkränzt von lilanen Tentakelwimpern blickt das Sinnesorgan eines Comic-Außeridischen mit einem erhabenen Lichtkegel - halb Sonne, halb Traktorstrahl - auf die Welt herab, die in Gestalt saftig grüner Gedärmewiesen zu seinen Füßen liegt. "We Come In Peace", ein Track über die amerikanische Außenpolitik, begann mit einem Psychedelic-Rock-Intro, dazu sang Conn "We are your friends, we come in peace / we brought our guns to set you freee-heeheheee". Um dann in Kopfstimme über den sich weiter überschlagenden Gitarren zu beschwören "Success! Come to our side! You know we're right!" und "Say goodbye to all your history! Come and join our family!"

"The Homeland" birgt genug fantastische Songtexte für Dekaden

Es gibt kaum niedergeschriebene Songtexte von Conn in den Weiten dieses doch für gewöhnlich alles verdauenden und wieder ausspuckenden Internets, was eine Schande ist, denn allein "The Homeland" birgt genug fantastische Songtexte für Dekaden. In den letzten Sekunden lässt er das Album langsam ersticken. Man kann es kämpfen hören wie ein verwundetes Tier, das sich aufrappelt, fällt, aufrappelt, verendet. Aliens waren aber auch nicht die Lösung.

Inzwischen ist 2020. "Vielleicht kennst du das aus Science-Fiction-Filmen, wenn ein Charakter einem schwarzen Loch sehr nahe kommt und zurückkehrt und dann. . . ist er nicht älter geworden, aber es sind 7000 Jahre vergangen. So fühle ich mich. Es kommt mir vor, als ob ich genau das Gleiche mache wie schon immer und dann blicke ich auf und acht Jahre sind vergangen. Vielleicht gibt's in meiner Nähe ein schwarzes Loch", sagt Conn am Telefon. Er gibt Interviews anlässlich des Erscheinens seines neuestes Albums, "Recovery". Ursprünglich wollte er es "Beating A Dead Horse" nennen: "Weil die grausameren Kritiker das eh sagen werden." Es ist Freitag Abend, als er das erzählt, die Verbindung in die USA ist ungewohnt störungsfrei. Die Primaries 2020 sind im vollem Gange.

Bernie oder Biden? "Meine persönliche Meinung ist, wenn jemand Trump schlagen kann, bin ich voll dafür. Trump ist definitiv der gefährlichste politische Charakter, den wir jemals in Amerika hatten. Wenn ihm die Wiederwahl gelingt - ich scherze nicht, wenn ich das sage - dann könnte das die letzte demokratische Wahl in den Vereinigten Staaten gewesen sein."

Conn hatte immer auch zart klingende, hinter der Süße jedoch stets fiese Songs

Conn hat inzwischen Kinder, arbeitet neben der Musik als Kunstlogistiker. "Das ist mein komischer Job. Es ist seltsam, da ich sozusagen sehen kann, was die Bazillionäre dieser Welt mit ihrem Geld machen. Und das ist immer interessant." Was machen sie? "Sie kaufen Kunst! Sonst ist ihr Leben nicht besonders interessant."

An "Recovery" hat er vier Jahre gearbeitet. Die Tracks vom neuem Album hat er im Promotext erklärt. Jeden einzeln. "Recovery" ist ein Alterswerk. Musiker wie Bobby Conn werden nicht oft alt. "Alle verrückten Leute, die ich in meinen Zwanzigern kannte. . . manche von Ihnen haben aufgehört, verrückt zu sein. Manche sind als Verrückte erfolgreich geworden. Und dann gibt es noch eine Menge, die wirklich ernsthafte Probleme bekamen, mit Drogenmissbrauch und ihrer psychischen Gesundheit. Ein Verhalten, das in deinen Zwanzigern lustig und verrückt war, wird in deinen Vierzigern und Fünfzigern schwerer und schwerer zu. . . " . . überleben? "Ja. In der Zeit als ich das Album schrieb, haben sich zwei Freunde das Leben genommen und zwei sind an einer Überdosis gestorben.

Conn hatte immer auch zart klingende, hinter der Süße jedoch stets fiese Songs. "Home Sweet Home" etwa, in dem er davon singt, dass er "einen Teppich auf dem Boden, eine Waffe an jeder Tür" hat. Immer wieder sind auf den älteren Alben Zeilen eingestreut, die klingen, als seien sie gerade erst geschrieben worden: "I got food in my garage / My garage is very large / My kingdom, my kingdom will survive a thousand years".

"Ich habe einen mittlerweile 18-jährigen Sohn", erzählt er, "im Vergleich zu meinem 18-jährigen Selbst ist er so viel deprimierter, was die Zukunft angeht. Als ich 18 war, hab ich nicht mal über die Zukunft nachgedacht. Ich habe nur im Moment gelebt. Er und seine Generation sind gezwungen zu kämpfen. Damit, dass es schwierig ist, einen Job zu finden. Schwierig, ihn zu behalten. Dazu geht das Klima den Bach runter. Ich glaube, junge Menschen sind um einiges pessimistischer, als sie es früher einmal waren. Das tut mir leid für sie. Sorry. Sorry, liebe Jugend. Wir haben euch richtig in die Scheiße geritten!", sagt er und lacht, laut und böse, aber auch ein wenig bitter. "Ich bin ein weißer Mann in seinen frühen Fünfzigern und ich sehe wirklich nichts Gutes, was meine Generation für die Generationen nach uns getan hat."

Wäre Bobby Conn der Antichrist gewesen, in was für einer Welt lebten wir? Hätte er das Rad herumreißen können?

Im Video zu "Disaster" spielt er zwei Rollen - einen Geschäftsmann und einen Stricher. Sie treffen sich in einem Hotelzimmer. Bei Minute zwei schlägt der Geschäftsmann-Bobby in ein Kissen. Es ist ein kurzer, energieloser, frustrierter Schlag.

Als hätte er Mitleid mit dem Kissen. Oder Angst, dass es zurückschlägt.

Zur SZ-Startseite
Morrissey

Neues Album von Morrissey
:Wenn wieder einer sagt, er hüte die Wahrheit

Morrissey inszeniert sich seit Jahren als rechter Kreuzritter. Auf seiner neuen Platte singt er argen Unsinn. Man muss sie nicht hören, es schadet aber auch nicht. Oder?

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: