Kommunalwahl in München:Ein Wahlkampf, der nur im Internet stattfindet

OB-Kandidatencheck des KJR in München, 2020

Ein Bild aus einer anderen Zeit: Dieter Reiter (links) und Kristina Frank bei einer Podiumsveranstaltung im Februar - nun mussten beide ihren Wahlkampf ins Internet verlegen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und seine Herausforderin Kristina Frank von der CSU sind wegen der Corona-Krise pausenlos beschäftigt. Um Wähler werben sie allein in den sozialen Medien.

Von Heiner Effern und Dominik Hutter

Wer Kristina Frank in diesem Stichwahlkampf persönlich erleben will, benötigt nicht viel Zeit, muss die Beine nicht bewegen. Wer die Oberbürgermeister-Kandidatin der CSU treffen will, benötigt nur flinke Finger und ein paar Online-Accounts. Einen zum Beispiel für Instagram, dort muss man dann nur noch die Heimat von kristina.munich finden und schon gibt es mit Wischen und Drücken so viel Wahlkampf, wie man es sich nur vorstellen kann.

"Hallo München" beginnt Frank zum Beispiel jede Folge ihres virtuellen Video-Tagebuchs, in dem sie persönlich und politisch plaudert. Zwischen den Filmen tauchen im Kampagnen-Blau der CSU die politischen Botschaften auf, Klima und Umwelt, Verkehr, Wirtschaft. Auf Facebook dasselbe Bild. Ein gemeinsamer Video-Auftritt mit Parteichef Markus Söder verzeichnet mehr als 90 000 Zugriffe. Wer die OB-Kandidatin der CSU treffen will, muss das auf Knopfdruck schaffen.

Denn dieser Wahlkampf vor der Stichwahl am Sonntag ist ein Wahlkampf, wie es noch nie einen gegeben hat. In der ersten Folge ihres Tagebuchs sagt Kristina Frank. "Die nächsten zwei Wochen werden jetzt natürlich geprägt sein von der Stichwahl. Die nächsten zwei Wochen werden aber vor allem aber auch davon geprägt sein, wie München mit Corona umgeht." Wie wahr, vor allem Letzteres.

Die Verbreitung des Virus hat das öffentliche Leben weitgehend lahm gelegt. Seit dem Montag nach der Wahl sind die Schulen geschlossen, der Katastrophenfall ist ausgerufen und in Bayern sind verschärfte Ausgangsbeschränkungen erlassen worden. All das fällt in die 14 Tage des Stichwahlkampfs. Die Folge: keine Info-Stände, keine Haustürbesuche, keine Diskussionsrunden, keine Auftritte der Kandidaten.

In der SPD-Zentrale am Oberanger lagern noch stapelweise die Aufkleber. "Jetzt gilt's" steht darauf, und eigentlich sollten die Zettel in dieser Woche als letzte Aufmunterung auf die vorhandenen Dieter-Reiter-Plakate gepappt werden. Die SPD hat darauf verzichtet, berichtet Vize-Parteichef Roland Fischer. Wie auf so vieles, was eigentlich zwischen erstem und zweitem Wahlgang noch auf die Münchner einprasseln sollte. Ursprünglich war eine große Postkartenaktion geplant, an Infoständen und über die Briefkästen sollte Wahlwerbung verteilt werden.

Was die Genossen mit Rücksicht auf die aktuelle Situation ebenfalls abgeblasen haben. Infostände gibt es ohnehin keine mehr, vieles muss nun digital über die sozialen Medien laufen. Nur die neueste Plakatwelle hat die SPD noch durchgezogen, das Konterfei des Kandidaten lächelt nun von beleuchteten Werbekästen herab. Damit Reiter, der gerne noch eine zweite Amtszeit antreten würde, überhaupt im Wahlkampf präsent ist. Schon vor dem Corona-"Shutdown" war der Amtsinhaber eher Oberbürgermeister als Wahlkämpfer. Jetzt aber dreht sich alles nur noch um die Krise. Die SPD muss einen Wahlkampf ohne Kandidaten machen.

Normalerweise, sagt Frank, würde sie jetzt raus auf die Straße - aber das geht gerade nicht

Dafür fallen auch alle Angriffe auf den Amtsinhaber und obersten Krisenmanager Reiter aus, Frank hat eine der Hauptwaffen einer Herausforderin gestrichen. "Es ist ein Zeichen der Zeit, jetzt nicht gegeneinander Wahlkampf zu machen", sagt Frank. Was nun im Zentrum stehe, sei der "Wettbewerb der politischen Ideen". Doch die üblichen Instrumente, diese den Wählern nahezubringen, fallen weg. "Es ist so anders, als man sich eine Stichwahl vorgestellt hat. Normalerweise würde man alles raus und auf die Straße bringen, morgens Brezen verteilen, sich noch mal persönlich den Münchnern vorstellen. Man ist schon extrem eingeschränkt." Gerade für die Herausforderin sei das schwierig.

Reiter hetzt derweil von einem Corona-Termin zum nächsten. Täglich trifft sich der städtische Krisenstab, der aus Vertretern der Verwaltung und - je nach Anlass - weiteren Fachleuten besteht. So eine Sitzung kann schon zweieinhalb bis drei Stunden dauern. Reiter bespricht sich mit dem Ministerpräsidenten oder den Fachministern des Freistaats, nimmt an der Kabinettsrunde teil. Es ist eine Art Standleitung zu Markus Söder, dem Münchner Polizeipräsidenten, dem Kreisverwaltungsreferenten und anderen Verantwortlichen. Zwischendurch muss besprochen werden, was denn nun mit dem Frühlingsfest, den European Championships und natürlich der Wiesn passieren soll.

Viele Kontakte laufen über Telefon- oder Videokonferenzen, Reiter ist aber oft auch physisch präsent. Im Kuppelsaal der Staatskanzlei beispielsweise. In der Feuerwache an der Heimeranstraße, wo er die Mitarbeiter des Corona-Krisentelefons besucht hat. In der Notaufnahme des Klinikums Schwabing bei Gesprächen mit den zuständigen Ärzten und Pflegern. Viele Termine werden ungewöhnlich kurzfristig vereinbart, Reiter weiß oft nicht so genau, wie sein Tag im Detail ablaufen wird.

Und dann gibt es auch noch eine Vielzahl von Bürgeranfragen. Die Bürgersprechstunde, zu der man normalerweise in den Räumen des Rathauses erscheint, ist zwar coronabedingt eingestellt worden. Das heißt aber natürlich nicht, dass die Münchner keine Fragen mehr an den Rathaus-Chef haben. In schwierigen Zeiten steigt ihre Zahl sogar sprunghaft an. Mehr denn je Einzelschicksale werden per Brief oder Mail übermittelt und werden bearbeitet.

Das Coronavirus hat den Wahlkampf an den Rand gedrängt, an den virtuellen Rand. Diesen hat Frank jedoch von Anfang an als ein Standbein ihrer Kampagne genutzt. Nun konzentriert sich alles auf die sozialen Medien. "Es ist ein Vorteil, dass wir da vorher schon gut aufgestellt waren", sagt Frank. Trotzdem geht es auch an die Nerven. Frank hat zum Beispiel ein Live-Video-Gespräch mit vier Vertretern der Wirtschaft auf Facebook gestreamt, die an vier verschiedenen Orten gesessen sind. Zwei Minuten vor Beginn ist nicht klar gewesen, ob es technisch funktionieren würde. "Das hat noch nie jemand so gemacht." Es ist gelaufen und gut geklickt worden.

Dieser völlig andere Wahlkampf hat Frank ein Maximum an Flexibilität abverlangt. Schließlich ist sie als Kommunalreferentin auch in die Krisenbewältigung eingebunden. Gleichzeitig gilt es für die OB-Kandidatin und ihren Mann, sich Berufs- und Kinderbetreuungszeit zu teilen. "Am Abend davor haben wir abgesprochen, wer wann Präsenzzeit hat."

Am nächsten Morgen ist schon gegen acht Uhr ein Termin fix: Tagesbesprechung mit dem Wahlkampfteam. Anschließend erledigt Frank in der Regel im Kommunalreferat das Tagesgeschäft, das auch bei ihr wegen Corona längst kein Tagesgeschäft mehr ist. Zu ihren Aufgabengebieten gehören die Märkte und die Müllabfuhr, die täglich mit der Krise umgehen müssen. Um zehn Uhr tagt der Krisenstab der Stadt, danach setzt es statt Business-Lunch eher eine Leberkässemmel vor dem Computer im Büro.

Nachmittags steht dann alternativ weiter Büro oder Kinderbetreuung an, bevor am frühen Abend Wahlkampfzeit ist. Formate werden gedreht, Fragen online beantwortet, und noch vieles mehr. Ein Leben vor dem Rechner und der Kamera. "Ich musste das lernen und bin auch noch nicht am Ende der Fahnenstange", sagt Frank. Danach muss sie nochmals an den Referentenschreibtisch in der Stadt oder Zuhause. Für den Sonntag der Stichwahl hat sie dann neben dem politischen Traum einen privaten Wunsch. "Morgens ein paar Minuten die Augen länger zulassen können."

Für den ganz normalen Rathaus-Alltag bleibt wenig Zeit, und erst recht nicht für Wahlkampfaktivitäten. Vergangene Woche hat es noch einmal eine Fraktionssitzung der SPD gegeben. Vieles aber ist abgesagt: Die routinemäßigen Referentenrunden fallen aus, der Stadtrat tagt nur noch selten und in einer Sparbesetzung, die eigentlich für Ferienzeiten vorgesehen ist. Fachausschüsse gibt es vorerst gar nicht mehr, und wie die für den 4. Mai geplante Vereidigung der neugewählten Stadträte ablaufen könnte, ist noch immer unklar. Reiter hat aber schon die neuen Mandatsträger der SPD begrüßt - in einer Videokonferenz. Irgendwann soll es schließlich normal weitergehen, in neuer Formation.

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