Eingriffe:Virus frisst Grundrechte

Kontaktsperren, Datenschutz und Handyüberwachung: Die Vorschriften der Bundesländer und die Szenarien des Innenministeriums werfen heikle juristische Fragen auf. Was darf der Staat in der Krise?

Von WOLFGANG JANISCH

Aus dem Strategiepapier des Innenministeriums lässt sich ablesen, dass der Kampf gegen Corona vor allem zwei Formen der Freiheitseinschränkung mit sich bringen dürfte. In der ersten, schon angelaufenen Phase sind dies die Ausgangsbeschränkungen, die - als eine Art Breitbandantibiotikum - alle gleichermaßen treffen. In Phase zwei sollen die Sperrverfügungen gelockert und stattdessen großflächig Tests vorgenommen werden. Weil hier die Kontaktwege der Infizierten wichtig sind, kommt das Handytracking ins Spiel. Die Grundrechtskonflikte lassen sich leicht erahnen: Würden die Laufwege der Menschen nachverfolgt, wäre dies ein tiefer Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung. Inzwischen hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof eine einstweilige Anordnung gegen die bayerischen Ausgangsbeschränkungen abgelehnt, freilich nach bisher nur kursorischer Prüfung.

Wie aber wird das Bundesverfassungsgericht, Hüter der Freiheit, die am tiefsten greifenden Freiheitsbeschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik beurteilen? Ausgangsbeschränkungen, Betretungsverbote, Kontaktsperren? Einerseits wird das Gericht sagen, dass Freiheit einschränkbar sein muss, wenn so viel auf dem Spiel steht - Tausende Leben, die Zukunft einer ganzen Gesellschaft. Andererseits: Je länger die Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind, desto drängender werden auch die rechtlichen Fragen. Geben die gesetzlichen Grundlagen das überhaupt her? Sind Ausgangssperren wirklich noch notwendig? Gibt es mildere Maßnahmen? Zielgenauere Alternativen? Juristisch ausgedrückt: Ist der große Shutdown noch verhältnismäßig? Und da fällt zum Beispiel auf: Manche Länder regeln, wie man sich im öffentlichen Raum zu verhalten hat, etwa Baden-Württemberg, das außerhalb der Familie höchstens Zweiergruppen gestattet. Ein Ansatz, der deutlich besser mit dem Infektionsschutzgesetz in Einklang zu bringen ist als die bayerische Linie, die auf eine echte Ausgangssperre setzt, wenngleich mit zahlreichen Ausnahmen. Die Unterscheidung mag kleinlich wirken, aber wenn die Freiheit gekappt wird, ist jeder Zentimeter wichtig. Oder nehmen wir Berlin: Wenn Einzelpersonen nicht mehr zum öffentlichen Sonnenbaden in den Park dürfen, könnte das verfassungsrechtlich zu eng gedacht sein, weil doch der soziale Kontakt riskant ist und nicht so sehr das Draußensein. So etwas könnte beanstandet werden. Was, wenn es irgendwann im nächsten Jahr geschähe, der Corona-Bekämpfung wohl nichts nehmen würde.

Was nun das Handytracking angeht: Der Nutzen für einen zielgenauen Infektionsschutz könnte groß sein, aber alles hängt von der technischen Gestaltung ab. Anfangs dachte man an die Nutzung der Funkzellen, aber das dürfte - weil ungeeignet - verfassungsrechtlich keine Chance haben; damit lassen sich keine genauen Abstände messen. Ein präzises Bewegungsprofil mithilfe von GPS-Daten wäre für Epidemiologen nützlicher, böte aber einen derart tiefen Einblick in das Privatleben, dass ein Veto aus Karlsruhe einigermaßen wahrscheinlich wäre. Sehr viel grundrechtsverträglicher wäre dagegen eine App, wie sie in Singapur eingesetzt worden ist. Sie scannt, welche anderen Handys sich in gefährlicher Nähe befinden, und speichert diese Daten verschlüsselt. Stellt sich heraus, dass der Handybesitzer infiziert ist, werden die anderen per Push-Nachricht informiert. Verordnen ließe sich das derzeit wohl nicht. Aber als freiwillige Maßnahme wäre die Singapur-App denkbar.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: