Afrika:Wenn beten nicht reicht

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Händewasch-Hymnen, geschlossene Kirchen und ein Ende der Musik als sozialer Motor: Die Pandemie zeigt die Schwächen der afrikanischen Kulturszene.

Von Jonathan Fischer

Bei vielen Afrikanern hielt sich lange der Irrglaube, das Coronavirus würde vor allem Europäer oder Chinesen betreffen - bis das große Prominenten-Sterben anfing. Denn für den afrikanischen Pop geht es gerade Schlag auf Schlag: Erst der Tod des an Covid-19 erkrankten kamerunischen "Soul Makossa"-Predigers Manu Dibango. Fünf Tage zuvor hatte eine Meldung Musikfans in ganz Afrika geschockt. Der kongolesische Superstar Aurlus Mabélé starb in einer Klinik in Paris an einer Corona-Infektion. Ausgerechnet der gefeierte "König des Soukous". Dabei verkörperte der in ganz Afrika populäre Soukous Optimismus. Was ließ sich nicht alles zu seinen klingelnden Gitarren und Engelsgesängen wegtanzen: Depression, Armut, ja selbst der von Gewalt und Korruption geprägte Alltag. Afrikanischer Pop war schon immer mehr als Unterhaltung.

Musik und Tanz gelten überall in Afrika als Mittel der Motivation und Aufklärung. Zumindest in dieser Hinsicht bieten die sozialen Netzwerke in Zeiten der Quarantäne eine Ersatzbühne. Noch sind die bekannten Fälle von Infektionen in Afrika relativ niedrig. Doch die afrikanische Pop-Szene hat bereits reagiert. Viele Künstler reagieren auf ihre Weise - mit Corona-Songs. So haben die kongolesischen Sänger Koffi Olomide und Fally Ipupa jeweils von daheim aus Hygiene-Botschaften in Umlauf gebracht. "Les bisous stop!" (Schluss mit Küsschen) singt Ipupa in seiner Händewasch- und-Daheimbleib-Hymne.

So avancierte ein Song des südafrikanischen Ndlovu Youth Choir in kürzester Zeit zum Twitter-Hit. "Es gibt bereits so viele gefährliche Mythen und Missverständnisse ... wir erklären einige grundsätzliche Handlungsrichtlinien", steht im Untertitel des Tanzvideos. Der Songtext ist in Englisch und Zulu gehalten. Der hoffnungsvolle Refrain des Songs: "Wascht euch die Hände, fasst euch nicht ins Gesicht, habt keine Panik und verbreitet keine Gerüchte - so werden wir Corona schlagen."

Viele auf dem Kontinent verkennen die Gefahr der Situation oder ignorieren sie

Wahrscheinlich gibt es inzwischen in jeder afrikanischen Sprache Händewasch-Songs. Selbst Hip-Hop-Stars sind mit von der Partie: So hat etwa Bobi Wine, der als Parlamentsabgeordneter und Polit-Rapper die Opposition in Uganda anführt, zusammen mit Sänger Nubian Li einen Song lanciert, der die Wichtigkeit persönlicher Hygiene unterstreicht: "Jeder ist ein potenzielles Opfer ", singt er zu einem Reggae-Rhythmus, "aber die gute Nachricht ist: Jeder kann auch zur Lösung beitragen."

Ganz ähnliche Botschaften schickt der positiv getestete tansanische Hip-Hopper Mwana FA aus der häuslichen Quarantäne an seine Fans. Während sein Landsmann Rayvanny in "Corona - Magufuli" zusammen mit einem Mundschutzmasken tragenden Chor eine Ansprache des tansanischen Präsidenten John Magufuli sampelt und singt: "Lasst uns alle beten." Magufuli hatte zuletzt eine Kontroverse ausgelöst: So begründete das christliche Staatsoberhaupt die Öffnung der Moscheen und Gotteshäuser damit, dass "das Coronavirus satanisch sei und nicht im Körper Jesu Christi überleben kann".

Afrikanische Musiker stehen also an der vordersten Front der Aufklärung. Wovon aber sollen sie in diesen Zeiten leben? Wie im Westen betreffen die Versammlungsverbote in den meisten afrikanischen Ländern auch die Restaurants und Clubs und damit die Einnahmequellen für örtliche Musiker. Ebenfalls abgesagt: Festivals wie Femua in der Elfenbeinküste, das südafrikanische Cape Town Jazz Festival oder das Festival Gnaoua et Musiques du Monde in Marokko, Musikmessen, die als wichtige Schaufenster der afrikanischen Popszene zur westlichen Welt dienten.

Städte wie Abidjan, Rabat, Fes oder auch Bamako haben bisher wirtschaftlich massiv von ihren Festivals und dem damit verbundenen Musiktourismus profitiert. An der örtlichen Livemusik-Szene hängen nicht nur die Künstler, sondern auch Veranstalter, Grafiker, Bühnentechniker, Handwerkermärkte, Straßenhändler und viele mehr. Oft bedeutete ein Konzert - wie etwa im Fall der abgesagten Auftritte von Reggae-Star Tiken Jah Fakoly in Burkina Faso - die einzige Möglichkeit, Geld für soziale Zwecke aufzutreiben. In diesem Fall zur Finanzierung eines Dialysezentrums und eines Heims für Witwen und Waisen.

Afrikanische Superstars wie Davido oder Burna Boy werden die Ausfälle leichter wegstecken - auch dank Millionen Klicks auf Streamingdiensten und Online-Plattformen. Einige von ihnen spenden sogar. So hat Youssou N'Dour umgerechnet gut 150 000 Euro aus seinem Privatvermögen für den Kauf medizinischer Güter und die Gesundheitsinfrastruktur zur Verfügung gestellt. Andere prominente senegalesische Sänger wie Wally Seck und Pape Diouf folgten seinem Beispiel. Der Kongolese Fally Ipupa kündigte Hilfen für die Ärmsten aus den Mitteln seiner Stiftung an. Aber was ist mit dem Rest? Den vielen hochkarätigen, aber finanziell weniger abgesicherten Musikern? Welche Alternativen bleiben ihnen angesichts des Zusammenbruchs des Musikbusiness?

"In Lagos sind Versammlungen von mehr als 50 Personen untersagt", erzählt der deutsch-nigerianische Musiker Adé Bantu aus seinem Studio in der nigerianischen Hauptstadt. Eigentlich sollte demnächst sein neues Album erscheinen. Aber nun kann er die restlichen Aufnahmen und Videodrehs erst einmal vergessen. "Ich brauche für meine Art von Afrobeat mindestens acht bis zehn Musiker im Studio. Das ist mir wegen der Ansteckungsgefahr zu riskant." Er habe schon jetzt durch die Quarantäne und Konzertabsagen viel Geld verloren. Als einer, der selbst regelmäßig Festivals in Lagos veranstaltet, weiß er: Die Tourbooker und Festivalveranstalter sind - nach monatelanger unbezahlter Arbeit - die größten finanziellen Verlierer der Krise.

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Auch viele Kollegen befänden sich in einer hoffnungslosen Lage: "Die Kirchen, in denen die meisten Musiker ihren Lebensunterhalt verdienen, sind leer, die üblichen Jobs auf Hochzeiten und Geburtstagspartys alle abgesagt. Und das in einer Situation, wo die Hälfte der Nigerianer mit weniger als zwei Dollar pro Tag überleben müssen." Gibt es eine Diskussion darüber, wie man freischaffende Künstler entschädigen könnte? "Da wird auch von Seiten der Regierung nichts kommen."

Ähnliches berichten Künstler aus ganz Afrika: Wenn die staatlichen Kassen nicht sowieso leer sind, dann steht Kulturförderung auf der Rangliste der Prioritäten weit hinten. So weit, dass schon die Frage nach Hilfen vom Staat als absurd empfunden wird. "Wir Musiker", sagt Wassa Kouyate, eine junge Kora-Spielerin und Sängerin aus Mali, "sind auf uns selbst gestellt. Im Moment überleben wir nur, weil alle ihre Ersparnisse miteinander teilen. Aber das reicht nicht für lange."

Am 12. März war Kouyate für eine zweimonatige Tour ihrer Band durch Frankreich von Bamako nach Paris geflogen. Der Soundcheck für das erste Konzert am 13. März fand noch statt, Stunden später kamen die neuen Notstandsregelungen, die Versammlungen von mehr als 50 Personen verbieten. "Ich bin am nächsten Tag zurückgeflogen - ohne die Einnahmen, die ich im Kopf schon auf die ganze Familie verteilt hatte. Die Lage ist verzweifelt: Wie lange kann ich mittellos daheimsitzen und nur üben?"

Gunman Xuman gehört zu den bekanntesten Rappern Senegals. Mit seinem "Journal Rappé" einer wöchentlichen gerapten Nachrichtensendung mit politisch kritischen Inhalten, ist er speziell unter Jugendlichen populär. Ende Mai sollte er das Format auch in Deutschland vorstellen. Doch ob er bei der Münchener Biennale auftreten wird, ist noch unklar. Möglicherweise wird es nur einen Livestream aus Dakar geben. "Die Musiker hoffen, dass die Notstandsmaßnahmen nach drei Wochen wieder aufgehoben werden. Aber das ist unrealistisch." Ohne Liveauftritte aber keine Einnahmen, die Streamingdienste brächten höchstens ein paar Cent extra.

Im Gegensatz zu Europa stelle er bei seinen Landsleuten die Neigung fest, die Gefahr zu bagatellisieren. Und all die staatlichen Warnungen zu ignorieren. "Der Musikszene fehlte es schon vorher an einer funktionierenden Infrastruktur", sagt Xuman. "Nun zeigt das Coronavirus nur einmal mehr, wie fragil unser Metier in Afrika ist." Andererseits sieht er das Ganze nicht nur pessimistisch. Gerade Afrikaner würden in einem permanenten Zustand der Resilienz leben. Die Menschen dort hätten nie das Gefühl gehabt, Korruption, Armut, Pandemien entfliehen zu können. Corona fühle sich da nur wie ein neues Kapitel an.

© SZ vom 31.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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