Zootiere und Corona:Tierisch allein

Ein Sumatra Orang Utan Weibchen liegt gelangweilt auf dem Boden waehrend ihr Orang Utan KInd Baby s

Das Publikum fehlt: gelangweilte Orang-Utans im Münchner Zoo.

(Foto: imago/Sven Simon)

Ausgangssperren sind für Zoobewohner Alltag. Aber was bedeutet es, wenn plötzlich keine Menschen mehr zu Besuch kommen?

Von Jan Heidtmann

Die Diskussionen rund um Ausgangssperren und Zuhausebüro, sie sind äußerst menschlich. Zootiere jedenfalls würden da nur müde lächeln, würden sie die Debatten überhaupt verstehen. Denn das Home-Office ist für sie Alltag, zehn Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche. Die Ausgangssperre sowieso. Vor drei Jahren, im Winter 2016/2017, hatten viele Zoologische Gärten schon einmal für mehrere Tage geschlossen, wegen der Vogelgrippe, und schon damals tauchte die wiederum sehr menschliche Frage auf: Genießen eigentlich Zootiere ihre Ferien?

An diesem sonnigen Mittwochnachmittag wäre normalerweise Hochbetrieb im Berliner Zoo. Robben würden gefüttert, Kinderscharen tatschten an Ponys oder Schafen herum und würden das Streicheln nennen. Stattdessen knurpseln nun zwei Lamas in großer Ruhe an Ästen, eine Ziege döst in der Sonne, die Paviane hocken in ihren Steinhöhlen, anstatt sich auf einem Felsen zu produzieren. Von irgendwoher ertönen sehr laute Balzrufe. Es herrscht eine gemütlich-entspannte Strandstimmung. Doch das täuscht. Träges Verhalten und zu viel Schlaf könnten auch bedeuten, dass sich die Tiere schlicht langweilten, meint Christiane Reiss vom Zoo Berlin.

Die Vorstellung jedenfalls, die Tiere müssten sich vom Menschen erholen - Tiergartendirektor Wolfgang Peter aus dem bayerischen Straubing hält sie geradezu für absurd. "Es ist definitiv nicht so, dass sich die Tiere wohler fühlen, wenn nichts los ist", sagt er. "Das sollte man nicht so idealisieren." In seinem Tiergarten am Rande des Straubinger Stadtwaldes leben 177 verschiedene Arten, insgesamt 1700 Tiere. Vor einigen Jahren sei unter Tierschützern und Pflegern diskutiert worden, ob Löwen oder Erdmännchen nicht einen Tag frei bräuchten, um sich von den Besuchern zu erholen, eine Art Zoosonntag. "Da ist man von abgekommen, weil das nichts bringt", sagt Peter. Bei ihm im Tierpark sorgten derzeit Pfleger und Gärtner für den Betrieb, den die Tiere einfach bräuchten.

Manche Affen vermissen die Menschen

Andreas Michael Casdorff, Geschäftsführer vom Erlebniszoo Hannover, hat gerade seinen Rundgang in der Anlage beendet. Die Tiere hätten ihr Verhalten bereits verändert, erzählt er. "Schon ein einzelner Mensch löst jetzt Reaktionen bei den Tieren aus." Fluchttiere wie Antilopen seien nervöser als sonst. Damit sie sich nicht erschreckten, sollte sich ein Mensch schon frühzeitig durch Laute bemerkbar machen. Manchem Affen wiederum scheinen die Menschen geradezu zu fehlen. Sie träten sofort an die Scheibe ihres Geheges, sobald einer auftauche, und suchten Blickkontakt.

"Besucher stellen schon einen bestimmten Reiz dar", sagt Casdorff. "Die Dame im knallgelben Kleid, der Geruch eines anderen, das ist positiver Stress für die Tiere." Voraussetzung dafür ist, dass sich die Zoobewohner sicher fühlen, ihr Gehege also respektiert wird. "Dann betrachten sie die Menschen nicht als Bedrohung." In Hannover gehen sie sogar so weit, dass die Besucher Hunde mitbringen dürfen; damit es nicht zu viele werden, kosten aber auch sie Eintritt.

Jetzt, ohne Besuchermassen, sei es besonders wichtig, "dass es immer die gleichen Routinen sind", erklärt Casdorff. Viele Tiere seien nämlich tatsächlich Gewohnheitstiere. Sie bräuchten feste Zeiten zum Beispiel fürs Fressen oder den Ausgang ins Freigehege. "Der Tagesablauf muss weiter durchgehalten werden." Das alles füllt nur noch nicht die vielen Stunden zwischen Frühstück, Mittag- und Abendfressen. Ob das ein Tier stört oder nicht, ist offenbar auch eine Frage des IQ. "Besonders die sehr intelligenten Tiere wie die Menschenaffen oder Papageien brauchen jetzt viele geistige Anreize", sagt Christiane Reiss vom Berliner Zoo.

Dabei können die Pfleger auf einen Trend zurückgreifen, der sich im vergangenen Jahrzehnt auch in den deutschen Zoos durchgesetzt hat: Behavioral Enrichment, zu deutsch Verhaltensanreicherung. Im Kern heißt es, dass die Tiere im Zoo nicht mehr herumlungern müssen, stattdessen wird ihnen die Möglichkeit gegeben, sich ihrer Art entsprechend zu beschäftigen.

Die Tiere sollen ein erfülltes Leben haben

Was das konkret bedeutet, lässt sich gut auf der Website der Zooprofis sehen. Das Unternehmen stellt Spielzeug für Zootiere her. Darunter beispielsweise einen massiven Gummiball für Tiger, in dem Duftstoffe wie Blut oder Gewürze untergebracht werden können, die allmählich austreten. Oder ein Bungeeseil für Affen. In den meisten der Geräte lässt sich jedoch Futter verstecken. "Die Tiere sind es gewohnt, sich ihr Fressen zu erarbeiten", sagt Geschäftsführer Daniel Goosmann. Für Robben gibt es deshalb einen Ball, in dem Fische eingefroren werden können. "Damit beschäftigen sich die Tiere dann stundenlang." Das Unternehmen versorgt Tiere von Mäusen an aufwärts, selbst für Warane gibt es Spielzeug. "Die Tiere sollen einen erfüllten Tag haben", sagt Goosmann.

So kursieren im Internet jede Menge Zoo-Videos, in denen Bären in ihren Gehegen nach Fressen buddeln, das die Pfleger vergraben haben. Oder von Schimpansen, die mit einem Stock Erdnüsse an Barrieren vorbeilenken müssen, um sie fressen zu können. Die Tiere so bei Laune zu halten, hat auch noch einen ganz anderen Effekt: Es ist Frühling, und "bei apathischen Tieren wird das schwierig mit der Paarung", meint Goosmann.

Der Mensch ist es jedenfalls nicht, der das Tier dabei stört. Im Tierpark Straubing gab es ein Paar Schwarzstörche, die einfach kein Nest bauen wollten. Dann mussten sie wegen eines Umbaus umgesiedelt werden, an einen Platz direkt neben einer viel genutzten Tür. Da haben sie sofort begonnen zu brüten.

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