Rechtstaatlichkeit und Demokratie:Von der Leyen darf sich nicht wegducken

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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigt sich im Umgang mit Polen und Ungarn zahm. (Foto: AFP)

Ungarn und Polen hebeln unter dem Deckmantel der Pandemie-Bekämpfung die Demokratie aus. Die EU-Kommissionschefin macht einen schweren Fehler.

Kommentar von Matthias Kolb, Brüssel

Ursula von der Leyen ist ein fragwürdiges Kunststück gelungen. Die Präsidentin der EU-Kommission betont in einer Mitteilung zu den "Notfallgesetzen", die einige Mitgliedstaaten beschlossen haben, die Bedeutung von unabhängigen Medien für die Demokratie und erklärt es zur "allerhöchsten Wichtigkeit", dass die fundamentalen Prinzipien der EU nicht dem Kampf gegen das Coronavirus geopfert werden.

Dies ist absolut richtig, doch leider erwähnt von der Leyen jene Staaten nicht, die das Statement nötig machten: Ungarn und Polen verraten gerade europäische Werte, indem sie unter dem Deckmantel der Pandemie-Bekämpfung die Demokratie aushebeln.

Kommissionschefin von der Leyen macht einen schweren Fehler, indem sie keinen öffentlichen Druck auf Budapest und Warschau ausübt. Die EU-Kommission soll als "Hüterin der Verträge" für die Einhaltung jener Regeln sorgen, auf die sich alle 27 Staaten geeinigt haben. Nur sie kann den Europäischen Gerichtshof anrufen, um mögliche Verstöße gegen EU-Recht zu prüfen - und dies wäre dringend geboten.

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Der rechtsnationale Regierungschef kann nun theoretisch für unbegrenzte Zeit und ohne parlamentarische Kontrolle mit Verordnungen regieren.

Sowohl das ungarische Notstandsgesetz, mit dem Premier Viktor Orbán seit Montag zeitlich unbefristet per Dekret regieren kann, als auch die Änderung des Wahlrechts in Polen, welches einen fairen Ablauf der Präsidentenwahl unmöglich macht, müssen sofort den EU-Richtern vorgelegt werden.

Vor allem im Falle Ungarns ist von der Leyens Zögern beschämend. Die zuständige Kommissarin Věra Jourová hatte Orbáns Justizministerin ihre Bedenken genau dargelegt und ein zeitliches Limit gefordert. Dass die Fidesz-Regierung dies ignorierte und die Opposition lieber als Feind darstellt, darf niemanden wundern: Seit Jahren hat Orbán alles auf seinen Machterhalt zugeschnitten.

Dass Mechanismen fehlen, um das Absinken eines EU-Mitglieds in die Autokratie zu verhindern, kann niemand von der Leyen vorwerfen. Aber Corona-Krise hin oder her: Sie darf sich nicht wegducken, wenn der Kern der EU bedroht ist, nämlich Rechtsstaat, demokratische Kontrolle und Medienfreiheit.

Auch andere Politiker agieren feige im Umgang mit Orbán

Gerade bei Orbàn hat die CDU-Politikerin eine große Verantwortung: Sie ist die ranghöchste Christdemokratin in Europa, weshalb die Europäische Volkspartei (EVP) sie genau beobachtet. Die Mitgliedschaft von Fidesz in der EVP ist suspendiert, und eine Wortmeldung der Kommissionschefin, dass ein solches Vorgehen zum Rauswurf führen müsse, wäre nicht zu ignorieren.

Zur Wahrheit gehört auch: Feige und ausweichend im Umgang mit Orbán agieren auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie die Chefs von CDU und CSU, Annegret Kramp-Karrenbauer und Markus Söder. Wenn sie Orbán ein Ultimatum setzen würden, dann lenkte dieser womöglich ein - oder er fliegt eben raus.

Dass seine Regierung kurz nach von der Leyens Erklärung für einige Stunden einen Gesetzentwurf vorlegte, der Bürgermeister, die in vielen Städten der Opposition angehören, hätte entmachten können, ist eine weitere Provokation.

Das Signal, dass solch autokratisches Handeln inakzeptabel ist, müssen auch die Regierungen aus Berlin, Paris oder Stockholm senden. Orbán darf keine Nachahmer finden. Und wenn klare Worte noch länger ausbleiben, so ist dies auch ein Verrat an allen jenen Bürgern, die sich in Ungarn, Polen und anderswo dafür einsetzen, dass die Grundwerte der EU nicht nur auf dem Papier existieren.

© SZ vom 02.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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