Radverkehr:So kommt das Fahrrad auch in Deutschland ins Rollen

Best-Practise-Beispiele zu Radverkehrs-Infrastruktur in anderen Ländern für das Projekt "InnoRad"

Die Idee der "Protected Bike Lane", der geschützten Radstrecke, stammt aus den USA, seit einiger Zeit wird sie in Berlin erprobt.

(Foto: ADFC)

In vielen Städten weltweit gibt es bereits eine fahrradfreundliche Infrastruktur. Diese Ideen würden auch hierzulande funktionieren.

Von Marco Völklein

Beispiel 1: Geschützte Wege

Wie sieht die Idee aus? Ursprünglich kommt der Ansatz aus den USA - eigentlich ja kein Fahrrad-Land. Dort wurden "Protected Bike Lanes" entwickelt, also Radfahrstreifen, die auf bestehenden (Auto-)Fahrbahnen verlaufen, von diesen aber klar abgeschirmt sind durch farbige Markierungen, Randsteine, Blumenkübel oder Poller. Aus den Niederlanden stammt das Konzept der geschützten Kreuzungen, das in Kanada, Großbritannien und den USA adaptiert wurde: Die Verkehrsteilnehmer sind an (für Radfahrer und Fußgänger) gefährlichen Kreuzungen klar baulich getrennt. Gleiches gilt für die Ampelphasen: Geradeaus fahrende Radfahrer und abbiegende Autos haben getrennte Grünphasen. An Einmündungen ist der Radweg in Holland oft farbig durchgezogen und ein paar Zentimeter erhöht, um zu zeigen: Hier haben Radler Vorfahrt.

Warum wäre sie sinnvoll für Deutschland? Die Bundesregierung hat mit ihrem Klimapaket das Ziel ausgegeben, den Radanteil am Gesamtverkehr deutlich zu steigern. "Das erreichen wir nur, wenn mehr Menschen aufs Rad umsteigen", sagt Melissa Gómez vom Radfahrerverband ADFC. "Das heißt aber, dass sich auch Kinder und Senioren oder Menschen mit eingeschränkter Mobilität sicher fühlen müssen." Und das gehe eben nur mit entsprechend sicher gestalteten Wegen, Einmündungen und Kreuzungen - denn diese sind laut Gómez nach wie vor Unfallschwerpunkte.

Wo liegen die Probleme in Deutschland? Die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) steht geschützten Wegen und Kreuzungen nicht im Wege, aber bislang sehen laut ADFC die technischen Regelwerke, an denen sich kommunale Straßenplaner orientieren, solche Umbauten nicht vor, etwa die ERA (steht für "Empfehlungen zum Bau von Radverkehrsanlagen") oder die RASt ("Richtlinien für die Anlagen von Stadtstraßen"). Diese müssten daher angepasst werden, fordert Gómez.

Beispiel 2: Ein dichtes Streckennetz

Wie sieht die Idee aus? Wer schnell mit dem Rad von A nach B kommt, der nutzt es auch öfter - gerne auch für längere Strecken. Entsprechend arbeiten Städte wie Paris oder New Orleans an einem engen Radwegenetz. Zum Teil werden ehemalige Stadtautobahnen oder Schnellstraßen entwidmet und dem Radverkehr zur Verfügung gestellt, andernorts fallen Parkplätze entlang großer Straßen oder ganze Kfz-Fahrstreifen weg, um breite Radwege anzulegen - wenn es nicht anders geht, auch im Zweirichtungsverkehr.

Warum wäre sie sinnvoll für Deutschland? Melissa Gómez vom ADFC verweist erneut auf das Klimaschutzpaket der Bundesregierung, Diese stellt 900 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung, um in den Kommunen "geschlossene Radverkehrsnetze mittels geschützten Radfahrstreifen und Fahrradstraßen" zu errichten - also Netze, die es in anderen Städten auf der Welt schon gibt. "Daran kann man sich orientieren", sagt Gómez. "Wir müssen das Rad nicht noch einmal neu erfinden." Beim ADFC läuft deshalb noch bis April 2021 das Projekt "InnoRad" (gefördert mit 130 000 Euro vom Bundesumweltministerium). Gómez und zwei weitere Kolleginnen tragen dafür Best-Practice-Beispiel aus aller Welt zusammen und prüfen, inwieweit diese sich auf Deutschland übertragen lassen.

Wo liegen die Probleme? Auch hier fehlen in den herkömmlichen Regelwerken aus Sicht vieler Fachleute die Bestimmungen, sodass sie vielerorts nicht geplant werden. Viele Genehmigungsbehörden wollen sie nur als Modellprojekte zulassen. "Und ohne den klaren politischen Willen geht es nicht", ergänzt Gómez. Denn wo beispielsweise Parkplatzflächen oder breite Kfz-Fahrspuren weichen sollen für eine bessere Radinfrastruktur, da ist der Widerstand vieler Autofahrer mitunter groß.

Beispiel 3: Modaler Filter

Best-Practise-Beispiele zu Radverkehrs-Infrastruktur in anderen Ländern für das Projekt "InnoRad"

Ein Bild aus London: Poller fungieren in einer Wohnstraße als „modale Filter“, lassen also nur bestimmte Verkehrsteilnehmer durch.

(Foto: ADFC)

Wie sieht die Idee aus? Stadt- und Verkehrsplaner haben manchmal eine komische (Fach-)Sprache: Was sie "modale Filter" nennen, kennen viele Verkehrsteilnehmer aus dem Alltag als Poller oder Blumenkübel. Die werden so aufgestellt, dass eine Straße oder ein Platz zwar für Fußgänger und Radfahrer sowie Menschen mit Rollatoren, Kinderwägen oder Rollstühlen passierbar bleibt, Autofahrer aber nicht durchkommen - also die verschiedenen Verkehrsarten ("Modi") gefiltert werden. So lassen sich Wohnviertel beruhigen und von Autos und Lkw wenig befahrene Radrouten schaffen. Modale Filter können auch helfen, kleinräumige Fußgängerzonen in Stadtvierteln anzulegen, etwa vor Schulen, Rathäusern, Theatern oder Bibliotheken. Diese Orte ließen sich so aufwerten, Händler und Läden siedeln sich dort unter Umständen (wieder) an, die Nahversorgung wird verbessert - und damit, wenn alles gut läuft, die (Auto-)Fahrt zum weit entfernten Supermarkt am Ortsrand unnötig.

Warum wäre sie sinnvoll für Deutschland? "Einfach und preiswert" seien die modalen Filter, sagt Melissa Gómez vom ADFC. Viele kleine Projekte fänden sich bereits in deutschen Städten und Gemeinden, es könnten aber aus ihrer Sicht noch deutlich mehr werden - vor allem auch in Kommunen im ländlichen Raum.

Wo liegen die Probleme in Deutschland? Noch setzen deutsche Stadtplaner die modalen Filter aus Sicht des ADFC zu zögerlich ein - wenngleich diejenigen Städte und Gemeinden, die es machen, mitunter auch ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Geschäftsleute zum Beispiel drängen oft darauf, dass ihre Läden weiterhin mit dem Auto erreichbar sein müssen. Und andere Kritiker finden, dass die ungeregelte Freigabe großer Flächen für Fußgänger wie Radfahrer kritisch werden könnte - insbesondere schnelle, auch rücksichtslose Radler könnten querende Fußgänger gefährden.

Beispiel 4: Der Superblock

Wie sieht die Idee aus? Wer die "modalen Filter" in größerem Maßstab einsetzt, kann einen "Superblock" schaffen - damit meinen Stadt- und Verkehrsplaner eine größere Zone oder gar ein ganzes Viertel, aus dem der Kfz-Verkehr weitgehend ausgesperrt wird. Der Durchgangsverkehr wird somit draußen gehalten, es entsteht eine verkehrsberuhigte Zone, in der der öffentliche Raum ganz anders genutzt werden - zum Beispiel für "Pocket Parks", kleine Grünflächen inmitten von urban geprägten Quartieren. In Londen, sagt ADFC-Expertin Melissa Gómez, seien so in manchen Stadtteilen auch ehemals "dunkle Ecken", in denen sich mitunter Drogendealer tummelten, "aufgewertet" worden - und das nur, weil einstige Asphaltflächen bepflanzt oder mit hellem Pflaster umgestaltet wurden.

Warum wäre sie sinnvoll für Deutschland? Unter anderem in Berlin und Hamburg wird bereits über Superblocks diskutiert. Wichtig sei, sagt Gómez, dass deutsche Kommunen eine Art "Ausprobierkultur" entwickeln müssten - also mit wenig Aufwand einfach mal ein Stadtviertel weitgehend autofrei gestalten, etwa indem Blumenkübel als modale Filter aufgestellt werden. So könne man sehen, wie die Menschen darauf reagieren. "Wenn man die neue Situation mal erfahren hat, will man es vielleicht gar nicht mehr anders."

Wo liegen die Probleme? Bis vor Kurzem erstickten zahlreiche Vorschriften in der StVO solch eine "Ausprobierkultur". Nach einer Änderung der entsprechenden Verordnung, die der Bundesrat vor Kurzem beschlossen hat, ist das nun nicht mehr gegeben - nun seien die Kommunen gefordert, die Möglichkeiten zu nutzen, findet Gómez. Wichtig sei dabei eine umfangreiche Bürgerbeteiligung vor und während der Umgestaltungs- und Ausprobierphase, um etwa Vorbehalte bei Anwohnern und Gewerbetreibenden auszuräumen.

Beispiel 5: Sonntags autofrei

Best-Practise-Beispiele zu Radverkehrs-Infrastruktur in anderen Ländern für das Projekt "InnoRad"

In Bogotá sind jeden Sonntag die Radler und Fußgänger unterwegs auf der „Ciclovia“.

(Foto: ADFC)

Wie sieht die Idee aus? Eigentlich ganz einfach: In Bogotá, der Hauptstadt von Kolumbien, werden 120 Kilometer Straße jeden Sonntag zwischen sieben Uhr in der Früh und 14 Uhr für den Autoverkehr gesperrt - die Straße gehört dann den Radfahrern und Fußgängern. Händler offerieren auf der "Ciclovia" Erfrischungen und Snacks, Familien sind mit ihren Kindern unterwegs, Vereine bieten Yoga-Kurse oder andere Mitmach-Aktionen an. Andere Städte wie Stockholm oder Edinburgh verfolgen mit den "Summer Streets" ein ähnliches Konzept: Sie sperren einzelne Straßen nur in der warmen Jahreszeit für den Autoverkehr, dann aber über einen längeren Zeitraum. In Hamburg und München wurden Summer Streets 2019 ansatzweise umgesetzt.

Warum wäre sie sinnvoll für Deutschland? Auch wen n solche Sperrungen dem Alltagsradler kaum nutzen, spricht aus Sicht der gebürtigen Kolumbianerin M elissa Gómez vom InnoRad-Projekt des ADFC viel dafür: "Vielen Leuten wird durch solche Aktionen klar, dass Straßen ein Ort sind, wo man auch etwas anderes machen kann als nur Auto zu fahren." In Bogota etwa habe die allsonntägliche Ciclovia-Sperrung, die dort seit 1974 praktiziert wird, dazu geführt, dass die Radverkehrsförderung "auf die politische Agenda gesetzt wurde". Nach und nach sei so eine "Transformation der gesamten Stadt" in Gang gekommen.

Wo liegen die Probleme in Deutschland? Bevor eine Stadtverwaltung einen autofreien Sonntag einführen kann oder Straßen im Sommer sperrt, sind umfangreiche Planungen nötig - insbesondere zu Umleitungen des Autoverkehrs. Zudem muss man sich Gedanken darüber machen, wie Anwohner und Gewerbetreibende in den gesperrten Abschnitten versorgt werden können. Wichtig sind daher aus Gómez' Sicht eine umfangreiche Kommunikation sowie die frühzeitige Einbindung aller Beteiligten in den Planungsprozess.

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