Nachruf:Seine Botschaft bleibt

Nachruf: Heinz Hermann Niemöller hat 2010 in Erinnerung an seinen im KZ Dachau inhaftierten Vater die Friedenstaube entgegengenommen.

Heinz Hermann Niemöller hat 2010 in Erinnerung an seinen im KZ Dachau inhaftierten Vater die Friedenstaube entgegengenommen.

(Foto: Privat)

Er galt als wichtiger Zeitzeuge für die Rolle der Kirche während der NS-Zeit - jetzt ist Heinz Hermann Niemöller gestorben

Bis vor wenigen Jahren pflegte Heinz Hermann Niemöller ein Ritual: Jeden Donnerstag fuhr er mit der S-Bahn von seinem Wohnort Gauting nach Dachau, um dort in der evangelischen Versöhnungskirche auf dem Gelände der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Orgel zu spielen. Dieses Orgelspiel war für ihn mehr als nur eine Begegnung mit der Musik. Sie sei auch eine Erinnerung an eine schlimme Zeit, sagte Niemöller einmal.

Nun ist Heinz Hermann Niemöller, Sohn des evangelischen Theologen und NS-Widerstandskämpfers Martin Niemöller, tot. Er starb am vergangenen Donnerstag im Alter von 96 Jahren nach mehrwöchigem Leiden in Gauting im Kreis seiner Familie. Das teilte Björn Mensing, Pfarrer der evangelischen Versöhnungskirche, mit.

Heinz Hermann Niemöller wuchs in einem nationalprotestantischen Elternhaus mit sechs Geschwistern in Münster und später in Berlin-Dahlem auf, wo sein Vater eine Gemeindepfarrstelle antrat. Martin Niemöller war führend in den oppositionellen Leitungsgremien der Bekennenden Kirche (BK) tätig und in ganz Deutschland als Redner und Prediger unterwegs. 1936 hatte er eine Denkschrift an Hitler gemeinsam mit anderen Pfarrern unterschrieben, in der ein Ende von antisemitischer Hetze, der Verfolgungspraxis der Gestapo und der Konzentrationslager gefordert wurde. Während der Zeit des Nationalsozialismus war Martin Niemmöller einer der profiliertesten kirchlichen Gegner des Regimes. Er wurde am 1. Juli 1937 verhaftet und für mehrere Jahre in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau inhaftiert. "Jedes Mal, wenn die Gestapo kam, hatten wir Kinder große Angst. Die Gefahr, in der mein Vater schwebte, hat uns ständig beschäftigt", sagte Heinz Hermann Niemöller einmal der SZ.

Als Jugendlicher durfte er seinen von 1941 bis 1945 in Dachau inhaftierten Vater im Konzentrationslager besuchen. "Aus dem Bewusstsein der damaligen schlimmen Verhältnisse habe ich die Lehre gezogen, für andere da zu sein", sagte Niemöller einmal.

Nach dem Krieg studierte Niemöller Medizin, ging für einige Jahre in die USA und kehrte erst in den Sechzigerjahren nach Deutschland zurück. 1969 wurde Niemöller Chefarzt und Leiter des Instituts für Pathologie am Klinikum München-Pasing. Im Ruhestand trat Niemöller immer häufiger als Zeitzeuge in Erscheinung und informierte bei Vorträgen über das Wirken seines 1984 verstorbenen Vaters. Als dessen Arbeitszimmer in Berlin-Dahlem etwa im Sommer 2007 am 70. Jahrestag der Verhaftung Niemöllers zum Erinnerungsort ernannt wurde, hielt Heinz Hermann Niemöller zur Eröffnung eine Rede.

2009 erzählte er bei einem Zeitzeugengespräch in Dachau ein Erlebnis, das ihn in seiner Kindheit am meisten prägte. Es war der Tag, an dem er einen Korb Apfelsinen zu einem "Judenhaus" bringen sollte. Als er dort klingelte, so erzählte er damals, öffnete eine völlig verunsicherte, erschrockene Frau die Tür. "Fünfzehn Leute standen am Rand des Wohnzimmers aufgereiht und atmeten tief durch. Sie hatten die Gestapo erwartet, und da stand ich mit meinem blöden Körbchen", erzählte Niemöller. "Ich wusste: Diese Menschen sehen ihrem Tod ins Gesicht." Aus diesem Erlebnis ergab sich ein Leitspruch für sein Leben: "Auch wenn es um andere geht, muss dir klar sein, dass es im Grunde deine eigene Sache ist." Mit diesem Satz schloss er damals das Zeitzeugengespräch ab.

Im vergangenen Jahr - Heinz Hermann Niemöller war damals 95 Jahre alt - kam er auf Bitten der Versöhnungskirche noch einmal für ein Gespräch nach Dachau. Das Thema damals: "Kirche und Konzentrationslager". Björn Mensing, Pfarrer der evangelischen Versöhnungskirche, hat diesen Abend noch gut in Erinnerung. Er weiß noch genau, wie er und das Publikum Niemöllers Erinnerungen lauschten, als er davon erzählte, wie er als 21-Jähriger im Oktober 1945 noch einmal ins KZ Dachau fuhr. Er musste feststellen, dass sich im Keller des Krematoriums die Asche verbrannter Leichen meterhoch türmte.

"Ich habe den Zorn auf mein Heimatland kultiviert", sagte Niemeier an diesem Abend. "Dazu gehörte auch mein Entschluss, für ein Jahr in die USA zu gehen. Daraus wurden dann neun."

Wegen der Corona-Krise können an Niemöllers Bestattung nur die engsten Angehörigen teilnehmen. Später soll allerdings eine öffentliche Gedenkfeier stattfinden, kündigte Björn Mensing an.

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