EU-Binnenmarkt:Verbände schlagen Alarm wegen Grenzkontrollen

Coronavirus - Grenzkontrolle Goldscheuer

Im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus haben viele Staaten des Schengen-Raums wieder Grenzkontrollen eingeführt.

(Foto: dpa)
  • Im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus haben viele Staaten wieder Kontrollen an den Binnengrenzen des Schengen-Raums eingeführt - teils auch Deutschland.
  • Interessengruppen und Organisationen sehen die Versorgung mit wichtigen Gütern gefährdet und fürchten um den EU-Binnenmarkt.
  • Das Bundesinnenministerium sieht allerdings keinen Anlass, die Grenzkontrollen infrage zu stellen. Stattdessen ist ihre Ausweitung geplant.

Von Daniel Brössler, Berlin

Anhaltende Grenzkontrollen innerhalb Europas gefährden nach Einschätzung von Wirtschaft, Gewerkschaften und Verbänden die Versorgung mit wichtigen Gütern und längerfristig den Binnenmarkt und die Europäische Union selbst. Das ist das Ergebnis einer Befragung der Europäischen Bewegung Deutschland (EBD) unter seinen Mitgliedsverbänden. "Eine unkoordinierte Schließung von Staatsgrenzen führt zu erheblichen wirtschaftlichen Einbußen und darf keine Dauerlösung werden", warnte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf. "Die Corona-Pandemie ist eine Bewährungsprobe für den europäischen Zusammenhalt. Der bisherige Umgang mit der Krise hat gezeigt, wie fragil die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten in Krisenzeiten ist", betonte EBD-Präsidentin Linn Selle. Die EBD ist ein Netzwerk von 252 Organisationen und Interessengruppen.

Im Kampf gegen die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus haben zahlreiche Staaten wieder Kontrollen an den Binnengrenzen des Schengen-Raums eingeführt, die vielerorts den Reiseverkehr zum Erliegen gebracht haben und auch den Gütertransport massiv behindern. Auch Deutschland hat bis vorerst 14. April Kontrollen an den Grenzen zu Österreich, der Schweiz, Frankreich, Luxemburg und Dänemark angeordnet.

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In den vergangenen Wochen sei hinlänglich deutlich geworden, "dass Grenzkontrollen und Einschränkungen der Personenfreizügigkeit Teil des Problems und nicht der Lösung sind", erklärte der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Holger Bingmann. "Sie verschärfen die Krise, anstatt die Lage zu entspannen", kritisierte er. Mehrtägige Wartezeiten bei der Güterabfertigung führten zu erheblichen Störungen der ohnehin belasteten Lieferketten.

"Jeder Tag zählt"

"Um auch in der Corona-Krise eine breite Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln aufrechtzuerhalten, ist es unerlässlich, die Grenzen innerhalb der Europäischen Union offen zu halten", forderte Bauernpräsident Joachim Ruckwied. Im Kampf gegen die Pandemie müssten "andere Wege gefunden werden als die Binnengrenzen der EU zu schließen und damit möglicherweise Lieferketten zu gefährden". Der freie Warenverkehr innerhalb der EU sei "essenziell für die Sicherstellung der Versorgung durch Medizinprodukte", betonte auch der Geschäftsführer des Bundesverband Medizintechnologie, Marc-Pierre Möll: "Jeder Tag zählt."

Das Bundesinnenministerium sieht derzeit allerdings keinen Anlass, die Grenzkontrollen infrage zu stellen. Am Freitag wurde vielmehr bekannt, dass ihre Ausweitung geplant ist. Die Maßnahmen funktionierten "sehr gut", sagte ein Sprecher. Nach Angaben von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen laufen unter den Staaten derzeit Gespräche, ob bestehende Grenzschließungen über Ostern hinaus verlängert werden sollen.

Sorgen äußerten die Verbände um den Fortbestand des Binnenmarktes. "Der EU-Binnenmarkt ist eine der größten Errungenschaften der EU, dafür werden wir weltweit bewundert. Wir dürfen ihn keinesfalls aufs Spiel setzen", sagte Antje Gerstein vom Handelsverband Deutschland. DGB-Chef Reiner Hoffmann mahnte europäische Solidarität an: "Das Coronavirus kennt keine nationalen Grenzen." Wenn jeder Mitgliedstaat jetzt nur für sich selbst kämpfe, verliere "die EU nicht nur ein Stück ihrer Daseinsberechtigung, sie schafft es auch nicht, die begrenzten Ressourcen denjenigen zur Verfügung zu stellen, die sie am nötigsten brauchen". Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken forderte eine gemeinsame Anstrengung, um humanitäre Katastrophen in den griechischen Flüchtlingslagern zu verhindern. Flüchtlingslager wie Moria könnten sonst "innerhalb kürzester Zeit zu einem Camp des Todes" werden.

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