Neues Streamingportal:Genau richtig oder genau falsch

Bilder von Produktionen auf der neuen US-Streamingplattform Quibi

Helferin im Akkord: Sängerin und Schauspielerin Jennifer Lopez verschenkt in ihrer Show "Thanks a Million" Geld an Menschen in Not. Keine Folge dauert länger als zehn Minuten - so das Konzept der neuen Plattform Quibi.

(Foto: Quibi)
  • Das Start-up Quibi, dessen Programm am Montag in den USA startet, hat eine Milliarde Dollar in Inhalte investiert, die exklusiv für Smartphones produziert worden sind.
  • Die Episoden der verschiedenen Formate sind jeweils zehn Minuten lang. Beteiligt sind Stars wie Jennifer Lopez, Reese Witherspoon, Steven Spielberg, Liam Hemsworth und Christoph Waltz.
  • Quibi spekuliert auf ein Publikum, das kurze Wartezeiten oder die Fahrt in der U-Bahn überbrücken möchte. Während der Corona-Krise ist der Bedarf danach allerdings geringer als sonst.

Von Jürgen Schmieder

Kleines Experiment: Was machen Sie, wenn Sie zehn Minuten lang in der U-Bahn sitzen? Oder im Wartezimmer beim Arzt? Oder im Restaurant an der Bar? Die Wette der einstigen Ebay- und HPE-Chefin Meg Whitman und des früheren Disney-Studios-Vorstandes Jeffrey Katzenberg ist, dass die meisten Leute antworten: "Ich zücke mein Telefon." Sie wollen unterhalten werden, aufgrund des kollektiven Aufmerksamkeitsdefizits muss alles schneller, kürzer, kompakter sein, und genau deshalb könnte das Streamingportal Quibi ein Erfolg werden.

Keine Folge dauert länger als zehn Minuten - perfekt geeignet für die Fahrt mit der U-Bahn

Das Start-up, dessen Programm am Montag in den USA startet, hat eine Milliarde Dollar in Inhalte investiert, die exklusiv für Smartphones produziert worden sind: das Versteckte-Kamera-Format Punk'd. Eine Reality-TV-Show, in der Jennifer Lopez gemeinsam mit Promi-Freunden eine Million Dollar an Bedürftige spendet. Den Thriller Most Dangerous Game mit Liam Hemsworth und Christoph Waltz. Chrissy Teigen als Richterin bei Alltags-Zankereien. Dokumentarfilme über Ariana Grande und Ozzy Osbourne. Talkshows. Datingshows. Castingshows. Der Clou: Keine Folge dauert länger als zehn Minuten, perfekt also für die Wartezeit in der U-Bahn.

Dumm nur: Es fährt gerade kaum jemand mit der U-Bahn. Viele Leute sitzen wegen der Coronavirus-Pandemie daheim, es gelten andere Regeln, auch für Langeweile und Aufmerksamkeitsspanne. Quibi (der Name ist die Abkürzung von "Quick Bites", was sich mit "kurze Happen" übersetzen lässt) startet mit insgesamt 50 verschiedenen Formaten, die ersten 90 Tage sind kostenlos (zunächst wollte Quibi nur zwei Wochen anbieten), danach kostet es 7,99 Dollar - oder 4,99 Dollar mit Werbung. Das Unternehmen hat fürs erste Jahr bereits 150 Millionen Dollar von Werbetreibenden wie Google und Pepsi eingenommen.

"Es ist wahrscheinlich die beste und schlechteste Zeit, so ein Portal auf den Markt zu bringen", sagt Rob Fishman, Gründer der Youtube-Produktionsfirma Brat TV: "Wahrscheinlich streamen die Leute gerade mehr Inhalte als jemals zuvor - aber es gibt weniger dieser Momente, auf die Quibi gehofft hat, weil sie einfach weniger unterwegs sind."

Das zweite Problem: Konkurrenten haben ebenfalls einen Anstieg der Sehdauer festgestellt, ihre Angebote ausgeweitet (Disney Plus etwa nahm Frozen 2 ins Programm) oder vorgezogen (ESPN und Netflix zeigen ihre große Chicago-Bulls-Doku schon am 19. April) - oder bieten ebenfalls Sonderkonditionen (Netflix und Hulu sind je einen Monat lang kostenlos).

Ist Quibi womöglich eine gute Idee zur falschen Zeit?

"Natürlich geht es gerade drunter und drüber", sagt Katzenberg. Er habe mit Whitman über die Möglichkeit gesprochen, den Start zu verschieben, sich dann jedoch dagegen entschieden. "Es gibt diese Dazwischen-Momente noch immer: nach dem Beantworten von Emails, nach den Schularbeiten mit den Kindern, nach einer Telefonkonferenz, nach dem Abendessen. Man kann das nicht alles ohne Pausen bewältigen."

Ohnehin ist Quibi, das von namhaften Investoren wie Disney oder Alibaba 1,75 Milliarden Dollar eingesammelt hat, aufgrund der Konzentration auf Zehn-Minuten-Episoden eine riskante Wette. Es gibt das traditionelle Geschichtenerzählen mit Filmen (meist etwa zwei Stunden) und Serien (25 oder 50 Minuten), und es gibt die superkurzen Schnipsel auf Portalen wie Snapchat, Instagram oder Tiktok. Das Programm von Quibi ist zwar mannigfaltig, bei der Dauer aber arg festgefahren. Es wirkt ein bisschen wie der Versuch, allen gefallen zu wollen - doch wer allen gefallen will, der gefällt am Ende niemandem mehr. Und es wirkt wie der Versuch, unbedingt ein neues Format (man kann zwischen Hoch- und Querformat wechseln) zu präsentieren - doch die Technikfirma Eko behauptet, eben dieses Format erfunden zu haben. Sie hat Quibi nun verklagt.

Mit kompletter kreativer Freiheit wurden Stars wie Reese Witherspoon und Steven Spielberg gelockt

Wann es in Deutschland losgehen soll, ist bislang nicht bekannt. In den USA wird es jetzt jedenfalls ein schwieriger Start für Quibi, das Stars wie Reese Witherspoon und Steven Spielberg mit dem Versprechen kreativer Freiheit gelockt hat und der Garantie, dass die Produzenten die Rechte an ihren Inhalten bereits nach sieben Jahren zurückbekommen. Es muss eben alles schnell gehen bei Quibi. Es dürfte allerdings dauern, bis klar ist, ob das Start-up wirklich ein Erfolg ist. Denn entscheidend dürfte nicht sein, wie viele Leute das Portal in diesen Tagen testen - sondern wie viele dann nach den 90 Tagen dafür bezahlen wollen.

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