Corona-Krise in Deutschland:Wenn Virologen zwischen Expertise und Spekulation schwanken

Coronavirus - Virologe Christian Drosten

Christian Drosten gilt weltweit als einer der führenden Virologen und sagt: Ein Wissenschaftler ist kein Politiker.

(Foto: dpa)
  • Nicht alle Fachleute bleiben bei dem, was Wissenschaft sagen kann.
  • So wird einem Berater von NRW-Ministerpräsident Laschet eine immer prominentere Rolle in der Debatte um Handlungsanweisungen zuteil.
  • Dabei sollten solche und auch Spekulationen über ein Ansteckungsrisiko nicht Sache von Virologen sein.

Von Kathrin Zinkant

Es gibt eine Kategorie von Fragen, die Deutschlands bekanntester Virologe seit Beginn der Krise immer gleich beantwortet. Sobald es um die Bewertung politischer Entscheidungen geht, sagt Christian Drosten sinngemäß: Ein Wissenschaftler ist kein Politiker. Er hat kein Mandat für politische Entscheidungen. Sofern er seriös ist, spekuliert er nicht.

Der Leiter der Virologie an der Berliner Charité hält sich ziemlich eisern an dieses Prinzip. Wenn der Berater der Bundesregierung über seine persönliche Sicht auf einzelne Maßnahmen spricht, dann dezidiert als Privatmensch - zum Beispiel, wenn es um das Tragen von Masken im Supermarkt geht.

Doch Drosten ist neben dem Präsidenten des Robert Koch-Instituts, dem Mikrobiologen Lothar Wieler, schon lange nicht mehr der einzige Wissenschaftler, der in der politischen Beratung aktiv ist und sich öffentlich äußert. Der Trend geht auch in den Bundesländern hin zur persönlichen Beratung der Landesregierungen durch den eigenen Virologen oder Fachmann, wenn nicht gar durch ein ganzes Expertenteam.

So kündigte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder am Freitag auf einer Pressekonferenz an, die "spezifische Situation" im besonders stark betroffenen Freistaat künftig auch durch ein bayerisches Wissenschaftlergremium bewerten lassen zu wollen. Man werde damit auch den Bund unterstützen. Die Virologin, die dafür nun maßgeblich Verantwortung übernimmt, stand während der Ankündigung neben Söder.

Ulrike Protzer von der Technischen Universität München hat zwar kein so ausgeprägtes Profil als Coronavirus-Experte wie Drosten, der weltweit zu den führenden Fachleuten für diese Gruppe von Erregern gehört. Doch als erfahrene Wissenschaftlerin äußert sich auch die 57-Jährige lieber vorsichtig - und zieht eine klare Linie zwischen fachlicher Beratung und politischen Maßnahmen. Ob sie eine Prognose wagen würde, wann in der Fußball-Bundesliga wieder an einen normalen Betrieb zu denken sei? "Das können wir Virologen nicht entscheiden", antwortete Protzer.

Wie Protzer bleiben auch andere Experten zurückhaltend und beziehen sich auf das, was wissenschaftlich belegbar ist, anstatt der Politik Handlungsanweisungen zu erteilen oder nahezulegen. In Hessen steht Gesundheitsminister Kai Klose etwa der Virologe Stephan Becker zur Seite. Becker ist neben Drosten einer der wenigen deutschen Wissenschaftler, die schon während des Sars-Ausbruchs vor 17 Jahren Erfahrungen mit Coronaviren sammelten. Derzeit ist er an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das neue Virus beteiligt. Öffentlich ist der versierte und bescheidene Leiter des virologischen Instituts an der Universität in Marburg aber lieber jemand, der erklärt, anstatt die Politik zu bewerten.

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Doch es gibt Experten, die es mit der klaren Trennung zwischen Wissenschaft und Politik weniger genau nehmen. In Thüringen lässt sich Ministerpräsident Bodo Ramelow gelegentlich vom Berliner Hygienefachmann Klaus-Dieter Zastrow beraten. Gleichzeitig befördert Zastrow die immer heftiger geführte Debatte um Gesichtsmasken: Obwohl sowohl RKI-Präsident Wieler als auch andere Experten darauf hinweisen, dass es keine Belege für eine Schutzwirkung von gekauften oder selbstgenähten Masken für den Träger selbst gibt, behauptet Zastrow das Gegenteil. Als "physische Barriere" könnten selbst Stoffmasken schützen, sagte er der Bild-Zeitung.

Und nicht nur Zastrow liefert politischen Sprengstoff. So wird dem Leiter der Virologie an der Universität Bonn als Berater von Ministerpräsident Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen eine immer prominentere Rolle in der Debatte um die Maßnahmen zuteil. Hendrik Streeck hat mit einer Studie im extrem stark betroffenen Landkreis Heinsberg begonnen. Sie soll neue Handlungsanweisungen für die Landesregierung erbringen. Zugleich übte Streeck im ZDF öffentlich Kritik an den bundesweit eingeführten Kontaktsperren und tat im Interview mit der FAZ kund, dass es in Restaurants und Supermärkten "kaum" ein Ansteckungsrisiko gebe. Das muss nicht einmal falsch sein, genau lassen sich die Risiken derzeit aber nicht beziffern. Solche Aussagen bleiben darum, was nicht Sache der Virologen sein sollte: Spekulation.

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