Immaterielles Kulturerbe:Neue Bräuche und Traditionen im Landesverzeichnis

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Das religiös-historische Schauspiel des Englmarisuchens verfolgen üblicherweise Tausende Besucher. (Foto: imago)

Darunter ist das Englmarisuchen im Bayerischen Wald. Es thematisiert zwar eine tragische Geschichte, ist aber längst zum Spektakel geworden.

Von Hans Kratzer, München

Zu jenen 13 Bräuchen und Traditionen, die soeben in das Landesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen worden sind, gehört auch das Englmarisuchen, ein populäres Pfingstbrauchtum im Bayerischen Wald. Das seit der Zeit um 1850 gepflegte religiöse Schauspiel prägt alljährlich den Pfingstmontag im Luftkurort Sankt Englmar. Die Akteure, die in historisierende Kostüme gesteckt werden, ziehen mit einem von Ochsen gezogenen Wagen und mit viel Volk zum Kapellenberg hinauf. Der Überlieferung zufolge soll der selige Englmar dort um das Jahr 1100 gelebt haben, und eines Tages ist er wohl ermordet aufgefunden worden.

Allein schon wegen solcher die Zeiten überdauernden Erinnerungen genießt das Immaterielle Kulturerbe in Bayern einen hohen Stellenwert. Das beeindruckt auch den Finanz- und Heimatminister Albert Füracker, der das bei der Vorstellung der neuen Kulturerbe-Liste zum Ausdruck brachte: "Das Bewusstsein für die kulturelle Vielfalt der Traditionen im Freistaat stärkt das Wir-Gefühl und trägt entscheidend zum sozialen Zusammenhalt bei, auf den es gerade in dieser schwierigen Zeit besonders ankommt."

Das Tänzelfest gilt als das älteste historische Kinderfest Bayerns. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Die Pflege des Kulturerbes entbehrt freilich, gerade mit Blick auf das Englmarisuchen, manchmal nicht einer gewissen Ironie. Folgender Vorfall belegt das sehr eindrücklich. Nachdem der Schriftsteller Josef Fendl vor gut 20 Jahren sein heimatgeschichtliches Buch "Meuchelmord im Pröllerwald" veröffentlicht hatte, in dem er unter anderem die tragische Geschichte des Englmar thematisierte, wollte er das Werk bei einer Lesung in Sankt Englmar vorstellen. Der damalige Bürgermeister Hans Fuchs aber untersagte das Vorhaben mit dem Argument, der Roman bedeute eine Rufschädigung für den Ort. "Da täten doch die Leser den Eindruck bekommen, dass wir die Leut' umbringen", schimpfte Fuchs.

Nichts anderes als diesen Frevel aber beinhaltet die Geschichte des Englmarisuchens, das jetzt ganz zu Recht zum Kulturerbe erhoben wurde. Die Umstände dieser Schandtat werden überdies weidlich touristisch vermarktet, das Englmarisuchen ist auch als Spektakel für das breite Volk sehr willkommen. Überhaupt macht den Sankt Englmarern bei der kommerziellen Förderung des Brauchtums auch sonst niemand etwas vor. Jedenfalls stößt sich um des Erfolgs wegen niemand daran, dass bei der Englmarer Raunacht mitten im Dezember durchaus auch eine afrikanische Trommlergruppe und die Pfingstltuscher vom Englmarisuchen mitmischen.

Beim Willibaldsritt in Jesenwang wird durch die Kirche geritten. (Foto: Günther Reger)

Manche Kritiker halten die sich seit der Einführung im Jahr 2015 aufblähende Liste des Immateriellen Kulturerbes für inflationär, doch das Interesse ist gerade in Bayern enorm hoch. Eine Aufnahme wird als höchst attraktiv und erstrebenswert empfunden. Der Freistaat ist, was die Zahl der Bewerbungen betrifft, den anderen Bundesländern weit voraus. Das Heimatministerium teilte dazu mit, in der mittlerweile vierten Bewerbungsrunde zur Erweiterung des Bundes- und Landesverzeichnisses seien bayernweit 25 Bewerbungen eingereicht worden. "Diese im Ländervergleich größte Anzahl ist sehr erfreulich. Sie zeigt die große kulturelle Vielfalt Bayerns und den hohen Stellenwert, den die Pflege und der Erhalt des immateriellen Kulturerbes in Bayern einnehmen." Das Landesverzeichnis umfasst mittlerweile 54 Eintragungen.

Neben dem Englmarisuchen sind aktuell folgende Traditionen aufgenommen worden: Eichensaat und Eichenwirtschaft im Spessart, Familienkurs der Orff-Schulwerk Gesellschaft, Fränkische Passionsspiele Sömmersdorf, Gregorius-Fest in einigen Orten Oberfrankens, Laudenbacher Osternachtsingen, Leipheimer Kinderfest, Marktredwitzer Krippenkultur, Passagierfloßfahrten auf der Isar und Loisach, Tänzelfest in Kaufbeuren, Wässerwiesen in Franken und Willibaldsritt im oberbayerischen Jesenwang.

© SZ vom 07.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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