Hilfen für Künstler:Vor leeren Töpfen

Die von der Kulturstaats­ministerin Monika Grütters angekündigten unbürokratischen Hilfen für Künstler greifen nicht immer. Tausende unterschreiben eine Petition für ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Von MICHAEL STALLKNECHT

Zahllose Streamingangebote geben momentan ein eindrucksvolles Zeugnis davon, dass Künstler auch in Zeiten von Vorstellungsabsagen keine Pause machen. Sondern, dass sie weiter an sich und ihrer Kunst arbeiten und sie unter fast allen Umständen einem Publikum zugänglich machen wollen. Doch Geld verdienen können sie damit nicht, dafür wären sie im Moment wie viele Selbständige aus anderen Branchen vielmehr auf staatliche Unterstützung angewiesen. Tatsächlich hatte Kulturstaatsministerin Monika Grütters bereits zu Beginn der Veranstaltungsabsagen angekündigt, die Kreativszene bei Unterstützungsmaßnahmen und Liquiditätshilfen nicht im Stich zu lassen.

Umso nachvollziehbarer ist die Empörung, die sich dieser Tage vor allem in den sozialen Netzwerken Luft macht. Denn immer deutlicher wird, dass die staatlichen Hilfsmaßnahmen an der Lebensrealität von freischaffenden Künstlern vorbei gehen und deshalb in vielen Fällen gar nicht oder nur begrenzt greifen. Das milliardenschwere Hilfspaket des Bundes wendet sich allgemein an Selbstständige und Unternehmer, denen vor allem Überbrückung bei Liquiditätsengpässen zugesagt, aber auch Steuerstundungen und erleichterte Kredite in Aussicht gestellt werden. Doch in vielen Bundesländern gelten nur solche Verbindlichkeiten als Engpässe, die sich aus Sach- und Finanzaufwand für das laufende Geschäft ergeben, also für Angestellte oder das Büro, für die Abzahlung bereits laufender Kredite oder die Zahlung von Rechnungen an andere Firmen. All das aber sind Kosten, die freischaffende Künstler üblicherweise gar nicht haben. Schriftsteller brauchen kein Personal, Musiker kein Büro und Maler zahlen ihre Farben meistens gleich im Geschäft. Auch Steuerstundungen nützen ihnen wenig, da viele von ihnen ohnehin Geringverdiener sind und kaum Steuern zahlen. Kredite können sie erst recht nicht aufnehmen, da sie sie nie zurückzahlen könnten. Das Ergebnis ist, dass momentan viele Anträge von Künstlern abgelehnt werden. Stattdessen werden sie von den Behörden auf die Grundsicherung verwiesen, also auf Hartz IV, das momentan zu erleichterten Bedingungen ausgezahlt werde.

Dass die Länder Hilfsprogramme aufgelegt haben ist löblich, befördert aber den Flickenteppich

"Da werden die Tatsachen verdreht", sagt David Erler, "wir sind nicht arbeitslos oder arbeitssuchend". Der Countertenor hat sich in einer Petition an das Bundesfinanzministerium gewandt, die inzwischen von mehr als 280 000 Menschen unterschrieben wurde. Sie fordern unter anderem Hilfsfonds zum schnellen Ausgleich entfallender Honorare und unbürokratische Überbrückungsgelder wie zum Beispiel ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die bestehenden Maßnahmen berücksichtigten nicht die für Künstler charakteristische Verquickung von Privatem und Beruflichem, sagt Erler, also dass er sich selbst als Unternehmer seinen Lebensunterhalt zahlen und seine Familie ernähren muss. Dass Künstler nun de facto in die Arbeitslosigkeit abgeschoben werden, sei nicht nur eine Frage der Künstler-Ehre, sondern könne auch die bedeuten, dass man die Grundsicherung von späteren Honoraren teilweise zurückzahlen müsse.

Tatsächlich legen die Bundesländer die Richtlinien für die Bundeshilfen unterschiedlich aus. So fördern Brandenburg und Thüringen nicht nach Liquidität, sondern nach entstandenem Schaden, Hamburg gestattet, sich selbst ein Einkommen von den erhaltenen Mitteln zu zahlen, Bayern und Rheinland-Pfalz decken dagegen nur Betriebskosten ab. Inzwischen haben auch der Landesmusikrat und weitere Verbände in Rheinland-Pfalz gefordert, Einnahmeausfälle bei Künstlern zu berücksichtigen. Sie auf Hartz IV zu verweisen, sei unter den gegenwärtigen Umständen, so Musikratspräsident Peter Stieber, ein "Schlag ins Gesicht eines jeden Freiberuflers". Dazu kommt, dass viele Länder, oft bereits vor den Maßnahmen des Bundes, eigene Hilfsprogramme aufgelegt haben, was an sich löblich ist, aber den föderalen Flickenteppich weiter befördert. So stellt das Land Nordrhein-Westfalen pauschal und mit wenig bürokratischem Aufwand jedem 2000 Euro zur Verfügung, der Mitglied in der Künstlersozialkasse oder bei einem einschlägigen Verband ist. In Berlin hat man versucht, Einnahmeausfälle sogar pauschal mit 5000 Euro abzugelten. Das Ergebnis war freilich, dass die Töpfe innerhalb weniger Tage leer waren, weil in Berlin einfach zu viele freischaffende Künstler wohnen. Nun verweist man Antragsteller dort auf das Hilfsprogramm des Bundes.

Tatsächlich ist es keine Frage, dass der Bund über kurz oder lang mindestens die Austeilung der eigenen Hilfen einheitlich regeln müsste. Bis zu Monika Grütters freilich scheinen die Probleme der Künstler bislang kaum vorgedrungen. In einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung lehnte sie dieser Tage ein eigenes Förderprogramm für sie dezidiert ab. Das Beharren auf einer Sonderrolle der Kunst sei im Augenblick weniger wert als das Anerkennen der großen Solidarität. Doch nicht um eine Sonderrolle geht es hier, sondern um einen alten Gerechtigkeitsgrundsatz: dass man Ungleiches nicht gleich behandeln sollte.

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