Polen:Per Briefwahl zum Machterhalt

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PiS-Chef Jarosław Kaczyński hofft auf einen Wahlsieg, bevor die Corona-Krise Polen voll trifft. (Foto: Slawomir Kaminski/Agencja Gazeta/Reuters)
  • Polens Opposition hat die Änderung des Wahlgesetzes, die am Montagabend mit einer Mehrheit von vier Stimmen beschlossen worden war, scharf kritisiert.
  • Die oppositionelle Präsidentschaftskandidatin Małgorzata Kidawa-Blońska spricht von einem "Staatsstreich" der regierenden PiS.
  • Das neue Wahlgesetz erlaubt das Abhalten der Präsidentschaftswahl am 10. Mai als reine Briefwahl, aber auch eine Verschiebung des Termins.
  • Kritiker sehen darin einen verfassungswidrigen Versuch der PiS, ihren Zugriff auf das Präsidentenamt zu sichern.

Von Florian Hassel, Warschau

Polnische Politiker und Juristen haben scharf eine Änderung des Wahlgesetzes kritisiert, mit der die Regierungspartei PiS die bisher für den 10. Mai geplante Präsidentschaftswahl ausschließlich als Briefwahl abhalten und zudem eine Verschiebung der Wahl ermöglichen will. "Die PiS führt einen Staatsstreich durch", kommentierte die oppositionelle Präsidentschaftskandidatin Małgorzata Kidawa-Błońska nach Annahme des Gesetzes in der Nacht zum Dienstag im Sejm, der unteren Parlamentskammer. Ex-Ministerpräsident Leszek Miller nannte die geplante Briefwahl in der Rzeczpospolita ein "Mai-Attentat" und eine "Wahl-Farce".

Das mit 230 Ja- gegen 226 Nein-Stimmen verabschiedete Gesetz sieht vor, die Wahl ausschließlich als Briefwahl abzuhalten, organisiert von der Post. Dafür müssen im mit Briefwahl unvertrauten Polen gut 30 Millionen Wahlpakete zugestellt und wieder eingesammelt werden. Wahllisten und Wahlkommissionen sollen unter Kontrolle der Regierung und ihrer Wahlkommissare stehen und könnten faktisch kaum kontrolliert werden; auch Wählerbefragungen an den Wahllokalen fielen weg. Zudem soll die von der PiS gestellte Parlamentspräsidentin den Wahltermin verschieben dürfen. Spätestens müsste sie demnach am 20. Mai abgehalten werden, 75 Tage vor Ende der Amtszeit des ebenfalls von der PiS gestellten Präsidenten Andrzej Duda, der erneut antritt.

Doch ist in den sechs Monaten vor einer Wahl jedwede Änderung des Wahlgesetzes verboten, das hat das Verfassungsgericht in einem weiterhin gültigen Urteil vom 3. November 2006 entschieden. Ex-Verfassungsrichterin Ewa Łętowska nannte das Gesetz "einen Bruch aller Rechtsgrundlagen. Wahlregeln werden nicht geändert, wenn die Prozeduren für eine Wahl schon begonnen haben", sagte Łętowska im Fernsehsender TVN24. Zudem sei die Verschiebung eines bereits angesetzten Wahltermins verfassungswidrig. Ein Wahltermin dürfte laut Artikel 228 der Verfassung nur aufgehoben werden, wenn der Kriegs-, Not- oder Katastrophenzustand ausgerufen werde. In diesen Fällen verschieben sich Wahlen automatisch um bis zu mehrere Monate nach Ende eines solchen Ausnahmezustandes.

Opposition, Richterverbände, mehr als 100 Städte und über 700 führende Ärzte fordern seit Wochen die Verschiebung der Wahl und die Ausrufung des Katastrophen- oder Notzustands. Noch unabhängige Richter des Obersten Gerichtes Polens urteilten am 23. März, wegen der Einschränkung des öffentlichen Lebens sei es Präsidentschaftskandidaten nicht möglich, für ihr Antreten notwendige Unterschriften zu sammeln - der Wahlkampf verläuft demnach irregulär. Doch würde die Wahl so um ein halbes oder gar um ein Jahr verschoben, könnten die Wahlchancen Dudas in der sich verschärfenden Krise erheblich sinken, wie PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński am 3. April zugab.

Offenbar gefälschte Unterschriften von PiS-Abgeordneten

Das am Montagabend im Eilverfahren in allen drei Lesungen beschlossene, erst drei Stunden zuvor vorgelegte Gesetz wurde laut dem Abgeordneten Cezary Tomczyk von der Oppositionspartei PO mit offenbar gefälschten Unterschriften abwesender PiS-Abgeordneter eingereicht. Post-Gewerkschafter protestierten gegen die Briefwahl. Nachdem sich der bisherige Post-Chef der Briefwahl im Expressverfahren offenbar verweigerte, ernannte die Regierung bereits am 3. April Vize-Verteidigungsminister Tomasz Zdzikot zum neuen Postchef. Die Rechtsprofessoren Maciej Gutowski und Piotr Kardas nannten in der Rzeczpospolita den Plan, eine Wahl unter Pandemiebedingungen abzuhalten, ein "Verbrechen".

Der Senat, das von der Opposition kontrollierte Oberhaus des Parlaments, kann sich mit seiner erwarteten Ablehnung des Gesetzes bis zum 7. Mai Zeit lassen. Der Sejm könnte ein Veto erst am 8. Mai überstimmen - zwei Tage vor dem geplanten Wahltermin am 10. Mai. Eine Organisation der Wahl wäre dann selbst theoretisch nicht mehr möglich. Doch das neue Briefwahlgesetz erlaubt eine Wahlverschiebung durch einfachen Beschluss der Sejm-Präsidentin, etwa auf den 17. Mai. Zudem ist im neuen Gesetz nur von Wahlen im Jahr 2020 die Rede, ein konkreter Wahltermin fehlt.

© SZ vom 08.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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