Berliner Schaubühne öffnet Video-Archiv:Alle so cool und schön und großartig

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Die Schaubühne öffnet während der Corona-Schließzeit ihr Archiv und stellt täglich von 18 Uhr bis Mitternacht eine Inszenierung online. Was für ein Geschenk!

Von Christine Dössel

Neulich Peter Steins "Sommergäste" gesehen, seine berühmte Inszenierung des Stücks von Maxim Gorki an der Berliner Schaubühne, von Stein selbst 1975 verfilmt. Ein echter Meilenstein, noch heute eine eindrucksvolle, tief gehende Seherfahrung. Wie fein das gearbeitet und gespielt ist, wie menschenklug und atmosphärisch dicht! Und wie überraschend modern in der Anmutung. Die Anfangssequenz in der Datsche, wo alle sich drängeln und diskutieren, während Michael Ballhaus' Kamera von außen immer näher und ihnen auf die Pelle rückt - das ist wie die frühe, gedämpfte Vorwegnahme der Castorf-Ästhetik. Und dann diese Schauspieler! Was für ein Geschenk, die großen Schaubühnen-Stars von damals spielen zu sehen. Alle so jung und cool und schön, alle exorbitant genau und großartig.

Zu danken ist diese Seh- und (theaterhistorische) Lernerfahrung der aktuellen Schaubühnen-Leitung, die während der Corona-bedingten Schließzeit ihr Archiv öffnet und täglich von 18 Uhr bis Mitternacht eine Inszenierung online stellt. War in den letzten drei Tagen Peter Steins "Orestie" zu sehen, steht am Ostersonntag seine legendäre Inszenierung von Tschechows "Drei Schwestern" von 1984 auf dem "Ersatzspielplan". Auch das eine funkelnde Theater-Preziose, in den Titelrollen Edith Clever, Jutta Lampe und die junge Corinna Kirchhoff, die als Irina ihr Theaterdebüt gab (Foto). Neben den Fundstücken aus alten Schaubühnen-Tagen gibt es auch jüngere Aufzeichnungen, so etwa an diesem Samstag Yasmina Rezas "Bella Figura" von 2015 in der Regie von Thomas Ostermeier, mit der wunderbaren Nina Hoss.

Die Schaubühne hat die größten Archivschätze, aber Online-Angebote gibt es derzeit an vielen Theatern. Es lohnt sich, auf den Webseiten nachzusehen. Goethes "Faust", der zu Ostern dazugehört wie der Spaziergang, ist am Sonntag und Montag am Hamburger Thalia Theater abrufbar: in der gefeierten Inszenierung von Nicolas Stemann, herausgekommen 2011 bei den Salzburger Festspielen. Das Berliner Ensemble streamt dieser Tage "Die Blechtrommel" nach Günter Grass, inszeniert vom Intendanten Oliver Reese. Und an den Münchner Kammerspielen kann man an diesem Samstag Marieluise Fleißers "Fegefeuer in Ingolstadt" sehen, eine der besten Inszenierungen von Susanne Kennedy. Frohe TheaterOstern!

© SZ vom 11.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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