Bund-Länder-Beschlüsse zur Corona-Krise:Tag für Tag, Schritt um Schritt

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  • Angela Merkel verkündet nach gut vier Stunden Schaltkonferenz mit den Ministerpräsidenten die wichtigsten Beschlüsse zur Corona-Krise.
  • Die Bundeskanzlerin bezeichnet das Erreichte als einen "zerbrechlichen Zwischenerfolg".
  • Die wichtigste Maßnahme bleibt: Abstand halten.
  • Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zeigt sich froh, dass sich "die vorsichtigere Linie" durchgesetzt hat.

Von Nico Fried, Berlin

Angela Merkel ist seit mehr als 14 Jahren Bundeskanzlerin, sie muss keine Rücksicht mehr auf ihre Chancen für eine Wiederwahl nehmen, und sie ist ganz grundsätzlich mit einem gewissen charakterlichen Stoizismus ausgestattet. Deshalb dürfte es Merkel nicht besonders beeindruckt haben, am Mittwochmorgen Schlagzeilen zu lesen, die von einem "Tag der Entscheidung" sprachen.

Abgesehen von Wahlterminen, kommen Tage der Entscheidung in Merkels Berufsverständnis sehr selten vor. Vielmehr betrachtet sie Politik als fortwährenden, meist sehr allmählichen und oft mühsamen Prozess. Und genau so geht Merkel den Ausstieg aus den Beschränkungen des öffentlichen Lebens wegen der Corona-Krise an: Sie sieht darin eine kontinuierliche Schritt-für-Schritt-Prozedur, in der es nicht den einen Tag der Entscheidung gibt, sondern noch viele Tage für viele Entscheidungen. Und möglicherweise auch manchen Tag der Korrektur, wenn sich eine Lockerung als kontraproduktiv erweist.

Die Kanzlerin hatte ihre Haltung längst klargemacht

Diese Haltung bestätigt sich auch am Mittwoch, als Merkel nach gut vier Stunden Schaltkonferenz mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer die wichtigsten Ergebnisse verkündet. Denn zunächst gibt sie einen kurzen Abriss, wo das Land vier Wochen nach den ersten Beschränkungen eigentlich steht. Wie immer in der Corona-Krise ist das bei Merkel eine Mischung aus wissenschaftlich erhobenen Zahlen und politischer Bewertung: Man habe etwas erreicht, "was nicht von Anfang an sicher war". Die wichtigen Faktoren der Pandemie hätten sich "in eine gute Richtung entwickelt", Ärzte und Pflegepersonal arbeiteten hart, aber es sei gelungen, das Gesundheitssystem "am Laufen zu halten".

Das Erreichte insgesamt sei "ein Zwischenerfolg", so Merkel, "ich betone: ein zerbrechlicher Zwischenerfolg". Die wichtigste Botschaft ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was die Erwartung an einen "Tag der Entscheidung" insinuiert: Am Grundsatz soll sich nämlich erst einmal nichts ändern. Die rigiden Regelungen zu den Kontaktbeschränkungen sollen vielmehr um weitere zwei Wochen bis Anfang Mai verlängert werden, Fortsetzung: offen. Es kann also auch noch länger dauern.

"Ein Vorpreschen" dürfe es jetzt nicht geben, so die Kanzlerin. Für die wenigen Lockerungen, auf die man sich verständigt hat, wählt sie einen Begriff, der sich gleich noch minimalistischer anhört: "Schritte eines etwas mehr Zulassens."Die soziale Distanz, die Wahrung von Sicherheitsabständen, bleibt vorerst ein gesellschaftliches Charakteristikum.

Niemand kann davon überrascht sein. Merkel hat diese Position schon vor einigen Tagen intoniert. Als große Teile der politischen Klasse schon über Lockerungen spekulierten und einzelne Ministerpräsidenten bereits Kommissionspapiere mit konkreten Vorschlägen verschickten, stellte sich die Kanzlerin am Gründonnerstag vor die Kameras und sagte, sie sei "sehr froh", dass die Politik, entgegen ihrer zeitweiligen Befürchtung, nicht noch schärfere Maßnahmen beschließen müsse.

Merkel hat in dieser Haltung die Ministerpräsidenten am Ende hinter sich. So beschreibt es jedenfalls Markus Söder, der bayerische Regierungschef: Er sei froh, dass sich "die vorsichtigere Linie durchgesetzt habe", die Merkel, Vizekanzler Olaf Scholz und auch Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher vertreten hätten. Und natürlich auch er selbst. Man dürfe "keine Normalität vortäuschen, die es noch nicht geben kann", sagt Söder, und nur wer Böses dabei denkt, kommt an dieser Stelle auf die Idee, dass der bayerische Ministerpräsident damit den Begriff von der "verantwortungsvollen Normalität" seines nordrhein-westfälischen Kollegen Armin Laschet aufs Korn nimmt.

Es ist Olaf Scholz, der nicht selten etwas hölzerne Vizekanzler und Bundesfinanzminister, der die einprägsamste Formel findet: "Wir bewegen uns in eine neue Normalität. Die wird länger dauern." Man müsse die wirtschaftliche und soziale Praxis so verändern, dass mit und trotz Corona "ein gutes Leben miteinander möglich ist". Die Angst vor einem Rückschlag und einem erneuten exponentiellen Anstieg der Infektionszahlen ist die größte Sorge, die Merkel und die Ministerpräsidenten umtreiben muss. In dem Papier, das schließlich verabschiedet wird, heißt es deshalb: Man werde "in kleinen Schritten" daran arbeiten, wieder mehr Freizügigkeit herzustellen. Dies müsse jedoch "gut vorbereitet werden".

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Wie tief sich Merkels Zurückhaltung auch in ihrem Kabinett verbreitet hat, ist schon vor der Schaltkonferenz aus einer Zwischenbilanz des Sprechers von Gesundheitsminister Jens Spahn deutlich geworden. Sein Vortrag, dessen wesentliche Inhalte auch die Ministerpräsidenten am Nachmittag eingangs ihrer Schaltkonferenz zu hören bekamen, ist ein einziges "Ja, aber": Seit vier Tagen seien die Zahlen der Neuinfektionen rückläufig, aber man wisse nicht genau, wie viel dabei auf verzögerte Meldungen der Gesundheitsämter wegen des Osterwochenendes zurückzuführen sei. Auch die Dunkelziffer der Infizierten ohne Symptome sei unbekannt, selbst bei hohen Schätzungen hätten sich bislang allenfalls erst 1,5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland angesteckt. Man stehe also noch am "Beginn der Pandemie". Die sogenannte Reproduktionszahl, die besagt, wie viele Personen ein Infizierter im Durchschnitt anstecke, liege zwischen 0,8 und 1,2. Das Ziel aber ist es, sie dauerhaft unter eins zu halten. Die Kanzlerin persönlich rechnet in der Pressekonferenz später vor, was sonst geschieht: Bleibt die Reproduktionszahl bei 1,1 ist das Gesundheitssystem im Oktober überlastet, steigt die Zahl auf 1,2 ist es schon im Juli so weit, bei 1,3 geht es noch schneller.

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher sagt es so: Die gute Nachricht des Tages sei, dass das Infektionsgeschehen sich verlangsamt habe. Die schlechte Nachricht: "Es ist ganz dünnes Eis." Nun also wird weiter Abstand gehalten, mindestens eineinhalb Meter. Dies sei die "wichtigste Maßnahme auch in der kommenden Zeit", heißt es im gemeinsamen Papier. Infektionsketten sollen schneller entdeckt werden, um sie auch schneller unterbrechen zu können. Dazu soll das medizinische Personal aufgestockt und die Zahl der Corona-Tests erhöht werden.

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Man arbeite mit Hochdruck daran, sagt Merkel, legt sich aber nicht fest, wann die App endlich alle Anforderungen vom Datenschutz bis zu den Bedürfnissen der Virologen erfüllt. Auch Schutzkleidung soll weiter verstärkt bereitgestellt werden, sowohl durch Kauf wie durch Produktion in Deutschland. Für das Tragen von Mund- und Nasen-Schutz im Alltag gibt es eine "dringende Empfehlung", aber keine Pflicht. Und was sind nun die Erleichterungen? Geschäfte mit bis zu 800 Quadratmetern Ladenfläche sollen wieder öffnen, außerdem unabhängig davon Buchhandlungen, Auto- und Fahrradhändler.

Vom 4. Mai an sollen auch Friseure wieder öffnen dürfen - alles unter der Voraussetzung, dass Hygienekonzepte vorliegen, der Zutritt gesteuert wird, aber auch keine Warteschlangen entstehen. Zwei Punkte sind besonders bemerkenswert: Bei den Bildungseinrichtungen geht es sehr langsam. Prüfungen sollen stattfinden, erst Abschlüsse, dann weiterführende Prüfungen. Ab 4. Mai sollen die Schulen allmählich wieder für den Regelbetrieb geöffnet werden. Den Rest soll die Kultusministerkonferenz koordinieren. Weil dieses Gremium nicht gerade als sehr entscheidungsfreudig gilt, werden sich die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin in ihrer nächsten Konferenz am 30. April auch noch einmal mit diesem Thema befassen.

Fest steht: Im Grundsatz bleiben die Schulen erst einmal geschlossen. Übrigens auch Sportstätten und Gotteshäuser. Mit den Religionsgemeinschaften sucht man aber das Gespräch. Der zweite interessante Punkt betrifft die Gastronomie. Hier wird es zunächst keinerlei Öffnungen geben. Zu groß ist die Sorge vor einem neuen unkontrollierten Ausbruch der Epidemie. Markus Söder dürfte als erster Ministerpräsident in die Geschichte Bayerns eingehen, der sich gegen eine Öffnung von Biergärten ausgesprochen hat. Vielleicht kommen erste Lockerungen in der nächsten Schalte Merkels mit den Ländern. Sie soll am 30. April stattfinden. Das ist dann wieder ein Tag der Entscheidung. Und bestimmt nicht der letzte in dieser Krise.

© SZ vom 16.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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