Psychologie:Wann sind wir endlich da?

Kind im Auto auf Reisen

Eine zu lange Strecke kann für Unmut sorgen. Die Krisenkommunikation zur Verlängerung des Mini-Lockdowns auch.

(Foto: Andrew Rich/iStockphoto.com)

Der Weg zu einem Ziel dauert gefühlt immer länger als die Reise zurück. Wissenschaftler glauben nun, eine Erklärung für dieses Phänomen gefunden zu haben.

Von Sebastian Herrmann

Es gibt einige Dinge im Leben, auf die wirklich Verlass ist. Morgens geht die Sonne auf, nach einem Regen folgt Sonnenschein, und die Kinder beginnen nach wenigen Minuten auf einer Autofahrt immer zu maulen. Die schärfste Waffe im Arsenal der Kleinen ist die bekannte Frage: "Wann sind wir da?" Natürlich vorgetragen in nölend-vorwurfsvollem Ton und mit einem in die Länge gezogenen Aaaaa am Schluss. Es ist sehr gut möglich, dass Eltern auf dem Weg in den Urlaub (oder zu einem anderen Ziel) häufiger sowie dringlicher mit dieser Nerv-Frage konfrontiert werden als auf dem anschließenden Heimweg. Forscher um Zoey Chen von der University of Miami argumentieren im Fachjournal Social Psychological and Personality Science, dass die unterschiedliche Erwartungshaltung auf Hin- und Rückweg das Zeitempfinden beeinflusst - und sich deshalb eine Hinfahrt tendenziell länger anfühlt als eine Rückfahrt.

Die Nervosität auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch kann die Zeit elend in die Länge ziehen

In der Forschung zum Zeitempfinden trägt das Phänomen die Bezeichnung "Return Trip Effect" (RTE) - der Rückweg-Effekt. Beobachtet wurde dieser in Studien unter verschiedenen Bedingungen. So haben zum Beispiel Forscher um Priya Raghubir von der New York University 2011 berichtet, dass Studenten glaubten, ihr Weg in die Uni dauere länger als der zurück nach Hause. Ihre Idee damals, was den Effekt auslösen könnte: Vertrautheit. Die Gegend um den Wohnort sei vertrauter, und deswegen dauere es länger, bis man das Gefühl habe, wirklich unterwegs zu sein. Auf dem Rückweg sei das anders, weil der Aufbruch in weniger vertrautem Gebiet stattfinde. Andere Forscher argumentierten, die Einschätzung vor der Reise sei der entscheidende Faktor. Einen Rückweg trete man in der Aussicht an, dass dieser sehr lange dauern werde - der Hinweg war ja schon zäh. In Erwartung mühsam verrinnender Zeit verfliege der Rückweg dann.

An beiden Ansätzen könnte etwas dran sein, sagen die Forscher um Chen - und bieten mit der aktuellen Studie einen weiteren Ansatz. Zu einem Ziel zu reisen, sei stets mit einer Erwartung verbunden, positiv wie negativ. Wer in den Urlaub fährt, freut sich auf neue Erfahrungen, Entspannung, Abenteuer und unbekannte Orte. Wer zu einem Vorstellungsgespräch oder auf eine Dienstreise geht, tritt diese vielleicht mit Nervosität oder Ängstlichkeit an. In beiden Fällen stellt sich körperliche Erregung ein, Vorfreude oder Angst versetzen den Körper in eine Art Anspannung, was auf einem Hinweg stärker der Fall ist als auf dem Rückweg. Dies, so das zentrale Argument der Forscher um Chen, verlangsame das subjektive Zeitempfinden.

Dass der körperliche Aktivierungsgrad entsprechende Wirkung hat, ist gut belegt: Bei Fieber scheint die Zeit zum Beispiel langsamer zu verrinnen; auch entsprechende pharmakologische Stimulanzien haben in Studien die gleiche Wirkung offenbart. Die aktuelle Arbeit von Chen zeigt nun, dass die Erwartungshaltung eben auch das Zeitempfinden vor und nach Erreichen eines Ziels beeinflusst. Für Eltern bedeutet das: Für sie fühlt sich die Hinfahrt ebenfalls besonders zäh und lang an, alleine wegen des Stresses durch die nörgelnden Kinder.

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