Informatik:Wann werden Quantencomputer endlich nützlich?

Google meldet Durchbruch mit Quantencomputer

Sundar Pichai, Vorstandsvorsitzender von Google, im Labor in Santa Barbara neben einem der Quantencomputer seiner Firma.

(Foto: dpa)

Wenn die Technologie nicht bald Anwendungen findet, droht der boomenden Branche das Geld auszugehen. Doch der Weg in die Praxis ist weit.

Von Christian J. Meier

Im Foyer lächelt den Besucher der Astronaut Alexander Gerst auf einem lebensgroßen Foto an, daneben hängt ein Modell der Internationalen Raumstation ISS. Etwa 80 Fachleute haben sich im Februar am Kontrollzentrum der Europäischen Weltraumorganisation Esa in Darmstadt versammelt. Sie wollen in unbekanntes Gebiet vorstoßen. Aber statt um Raumfahrt geht es um erste Anwendungen von Quantencomputern, die einige der Experten hier schon in wenigen Jahren erwarten. Potenzielle Nutzer diskutieren mit Entwicklern kommerzieller Quantenchips.

Spätestens seit Google im vergangenen Jahr einen Quantenchip vorstellte, der eine spezielle Aufgabe sehr viel schneller löste, als es der stärkste Supercomputer der Welt könnte, herrscht Goldgräberstimmung in der Branche. Neben Tech-Giganten wie Google oder IBM suchen Start-ups ihr Glück auf dem neuen Feld, meist aus der Forscherszene gegründet und mit Millionen an privatem Kapital ausgestattet. Aber auch traditionelle Konzerne wie BASF oder Merck wollen wissen, ob sie Quantenrechner bald nutzen können. "Die neue Technologie könnte unsere Branche grundlegend verändern", sagt Philipp Harbach vom Darmstädter Pharmaunternehmen Merck.

Die neue Art von Computern nutzt die Regeln der Quantenmechanik, die im Mikrokosmos gelten. Ein Atom oder ein Elektron kann eine Doppelexistenz führen, etwa an zwei Orten zugleich sein. Als Datenspeicher verwendet, speichert es die beiden Werte "0" und "1" simultan. Damit übertrifft dieses "Qubit" die kleinste Speichereinheit eines klassischen Rechners, das "Bit", das nur entweder "0" oder "1" aufnimmt. Mit jedem weiteren Qubit verdoppelt sich die Kapazität. Schon 300 Qubits können mehr Werte speichern, als das bekannte Universum Teilchen enthält. Da sich die Daten potenziell auch simultan verarbeiten lassen, verspricht der Quantenrechner ein Riesentempo in der Informationsverarbeitung.

Noch haben die neuartigen Rechner keine einzige lohnende Anwendung beschleunigt

Doch das klappt noch nicht. Noch haben Quantenrechner keine einzige lohnende Anwendung beschleunigt. Googles Maschine löste mit 53 Qubits ein rein akademisches Problem. Um klassische Computer bei Anwendungen wie Mustererkennung oder bei der Datensuche auszustechen, bräuchte es sehr viel mehr Qubits. Diese reagieren zudem äußerst empfindlich auf Umwelteinflüsse. Schon nach relativ wenigen Rechenschritten verlieren Qubits ihre Fähigkeit, Werte simultan zu verarbeiten. Ob und wie lang sich das hinauszögern lässt, wird derzeit erforscht. Mit einem Durchbruch rechnen Experten frühestens in einem Jahrzehnt.

Noch fließen weltweit Milliarden Euro in die Forschung. Doch ein "Quantenwinter" könnte die Geldströme bald zum Erliegen bringen, wenn greifbare Resultate weiter ausbleiben. Um dem vorzubeugen, wollen manche Forscher eine Art "Quantencomputer light" bauen, der einzelne Aufgaben schon bald lösen und das Interesse wachhalten könnte. Manche Probleme, so die Hoffnung, sind mit 100 oder 200 Qubits und relativ wenigen Rechenschritten zu lösen. Start-ups aus den USA, Großbritannien oder Deutschland pokern hoch. Um ihre Hard- und Software auf Profit auszurichten, brauchen sie konkrete Kundenwünsche. Die dreiköpfige "Quanten-Taskforce" bei Merck, der Harbach angehört, versucht, solche Aufträge zu formulieren.

Für Merck sei Quantenmechanik Alltag, sagt Harbach. Denn chemische Reaktionen folgen deren Regeln. Die "Quantenchemie" zu simulieren ist eine naheliegende Aufgabe für einen Quantenrechner. Heute noch Unrentables ließe sich damit vielleicht verwirklichen, sagt Harbach. Er nennt ein Display aus organischen Leuchtdioden (OLED) als Beispiel. Es besteht aus mehreren Schichten organischen Materials. "Um Kosten zu sparen, wollte ein Kunde eine der Lagen dünner entwerfen." Dafür müsse man aber erst eine passende chemische Verbindung finden, mit einem hohen Brechungsindex etwa. Tausende Kandidaten im Labor zu synthetisieren und zu testen würde zu viel Zeit und Geld kosten. Die Alternative: Im Computer simulieren, wie ein neues Molekül auf elektromagnetische Wellen reagiert. "Die gesamte Prozesssimulation ist quantenmechanisch", sagt Harbach. Mit einer Light-Version des Quantenrechners könne man aber nur einen Teil davon bearbeiten. "Der Einsatz würde sich lohnen, wenn der Mehrwert des Rechenergebnisses signifikant größer wäre", sagt Harbach. "Ob das bald möglich sein wird, wissen wir noch nicht", räumt er ein.

Ein ganz anderes Problem hat Klaus Merz im Blick, der bei der Esa Umlaufbahnen von Satelliten berechnet. "Der Verkehr im Orbit nimmt stark zu", sagt der Mathematiker. Schon heute stören ausgediente Raumfahrzeuge und Trümmer den Betrieb. Ein Satellit muss im Jahr ein bis drei Ausweichmanöver fliegen. "Das könnte in Zukunft auf Dutzende jährlich anwachsen", sagt Merz. Jeder Schwenk würde eine Kaskade von weiteren auslösen. Eine kontinuierliche Optimierung der Flugbahnen durch Computer würde nötig. Jeder zusätzliche Satellit vervielfacht die Zahl der möglichen Abfolgen von Manövern. Um im Übermaß an Varianten diejenige mit dem geringsten Kollisionsrisiko zu finden, brauchen herkömmliche Rechner zu viel Zeit. Quantenrechner hingegen könnten in Zukunft alle Alternativen simultan prüfen und die laufende Optimierung meistern. "Daher haben wir die Entwicklung des Quantenrechners im Blick", sagt Merz. Ein konkreter Test stehe aber nicht bevor: "Wir sind keine Quanten-Leute", sagt er.

"Die Quantenrechner von heute erinnern an die Computer der 1950er-Jahre", sagt ein Experte

In Darmstadt hat Merz Gelegenheit zum Brückenschlag in die Quantenwelt: Fünf Start-ups stellen ihre Entwicklungen vor. Fertige Lösungen haben sie allerdings nicht anzubieten. Sie bilden eher ein Ökosystem, das verschiedene Ansätze für Hardware und die dazugehörige Software ausprobiert. Die Light-Version des neuen Rechners ist noch lange nicht ausgereift. "Die Quantenrechner von heute erinnern an die Computer der 1950er-Jahre", sagt Matthew Hutchings vom US-Start-up SeeQC. Sie werden aus vielen Teilen zusammengesetzt, meist im Labor. Was fehle, sei ein integrierter Chip, ein Baustein, der alle Funktionen versammelt - die Qubits, die Fehlerkorrektur und Zuleitungen für den Datentausch. Das Start-up will nun immerhin Teile der Steuerung in die Kühlvorrichtung integrieren, in der die Qubits stecken. Weniger Kabel führen dann von außen dort hinein, das soll die Störungen verringern.

Andere Start-ups entwickeln Software für Quantenrechner. "Wir passen bestehende Algorithmen für Quantencomputer an", sagt Jan Rainer von HQS Quantum Simulations. Für Kunden wie BASF oder Merck entwickelt die Karlsruher Firma Software zur Simulation chemischer Reaktionen. "Wir testen derzeit, wo man Quantenrechner einsetzen kann und wo nicht", erklärt Rainer. Ob und wie gut das geht, könne er in einem Jahr sagen, meint er. Erste Anwendungen erwartet er in fünf Jahren.

So richtig Feuer und Flamme sind die potenziellen Anwender in Darmstadt allerdings nicht für den Quantenrechner. Noch sehen sie ihn als Studienobjekt, nicht als Werkzeug. Am konkretesten ist das Interesse vonseiten der Chemiebranche. Andere bleiben distanziert: "Das ist weit weg von dem, was wir machen", sagt Thomas Neff von der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt, wo Atomkerne aufeinander geschossen werden. Für die Simulation der Kernreaktionen brauche man eine Quantenmaschine mit 180 000 Qubits - das ist vorerst nicht realistisch. Philipp Harbach erwartet ein langsames Hineinwachsen in die neue Technik: "Es wird eine oder zwei Generationen von Programmierern brauchen, bis Anwender wissen, wie ein Quantenrechner tickt. Das war in den 1960er- und 70er-Jahren auch beim klassischen Computer so."

Dem Einbruch des Quantenwinters mit schnellen Anwendungen zuvorzukommen, dürfte also schwierig werden. Wenn er kommt, dann kommt er.

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