Gastbeitrag:Solidarisch teilen

Die Bundesregierung sollte jetzt einen sozial-ökologischen Fonds einrichten. In den sollten Gewinner der Corona-Krise und Vermögende einzahlen und so der Gesellschaft etwas zurückgeben - freiwillig. Das würde den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken.

Von Frank Adloff und Tanja Busse

Die Corona-Sperre hat die Menschen überraschend neu sortiert nach Krisengewinnern und -verlierern. Gleich im März hat die Bundesregierung ein Notpaket in Rekordhöhe geschnürt für alle, die der Shutdown in größte wirtschaftliche Not bringt. Aber was ist mit den Krisengewinnern? Mit den Herstellern und Händlern von Desinfektionsmitteln, Atemschutzmasken und Trennscheiben? Mit Lieferservices, Amazon und Insolvenzverwaltern?

Allem Toilettenpapier- und Schutzmasken-Wucher zum Trotz haben die letzten Wochen gezeigt, dass sehr viele Menschen massive Einschränkungen akzeptieren, um andere zu schützen. Die Corona-Sperrzeit wird zu Recht als große Zeit der Solidarität beschworen. Sollten dann nicht alle, die an der Krise gut verdient haben, ihre Gewinne solidarisch teilen? Müssten nicht auch diejenigen, die weiterhin ein festes Einkommen beziehen, etwas vom Kuchen abgeben an jene, die gerade gar nicht am Tisch sitzen dürfen? Und sollten nicht erst recht die Vermögenden jetzt helfen?

Deshalb sollte die Bundesregierung - parallel zu ihrem Notprogramm und in Kooperation mit der Zivilgesellschaft - einen Solidaritätsfonds einrichten. Als freiwilliges Angebot, um die gezeigte Solidarität zu stärken. Das Geld daraus sollte nicht einfach zum Wiederaufbau der bestehenden Strukturen verwendet werden (wie das Geld aus dem Notprogramm), sondern für eine nachhaltige, gemeinwohlorientierte und krisenfeste Wirtschaft. Die gemeinnützigen Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich für Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Resilienz einsetzen, sollten über die Vergabe entscheiden. Der Staat sollte den Fonds aber gut unterstützen, etwa indem er auf jeden gespendeten Euro eine gewisse Summe im Sinne eines Matching Fonds darauflegt. Wer in diesen Fonds einzahlt, sollte das nicht als gönnerhafte Spende verstehen, sondern als Ausdruck der Anerkennung für eine Gesellschaft, die über Jahrzehnte hinweg vielfältige Infrastrukturen bereitgestellt hat, die ihm das Erwirtschaften von Wohlstand erst ermöglicht haben. Es geht beim Solidaritätsfonds also schlicht darum, etwas zurückzugeben.

Diese Solidarität jetzt einzufordern und einzuüben, wäre doppelt wichtig: einmal für den unmittelbaren Zusammenhalt in der aktuellen Krise, zum anderen aber auch, um uns für die kommenden Krisen zu rüsten. Es wäre ein erster Schritt in eine resilientere Gesellschaft, die gelernt hat, in Notlagen zusammenzuhalten. Denn nach allem, was uns Klimaforscher, Ökologen und Erdsystemwissenschaftler über den Zustand unserer Welt sagen, dürfte die Corona-Krise erst der Auftakt einer krisenreichen Zeit sein, in der die Folgen unverhofft oft die einen oder die anderen treffen werden. In den nächsten Jahren müssen wir mit Dürren, Starkregen oder Hochwassern rechnen, mit neuen Plagen, Lieferengpässen, Pandemien, Finanzkrisen und Migrationsbewegungen in nie gekanntem Ausmaß. Mit den ökologischen Verheerungen werden auch soziale Spannungen zunehmen.

Bis zur Corona-Krise hat die Politik diese düsteren Prognosen zwar zur Kenntnis genommen und sich ehrgeizige Ziele gesetzt, um den Gefahren zu begegnen - diese aber regelmäßig verfehlt. Das Klimaabkommen von Paris ebenso wie die europäischen Richtlinien zum Schutz von Wasser, Luft und Biodiversität. Offenbar war die Bedrohung noch nicht spürbar genug. Während sich die ökologischen Probleme verstärkt haben, hat auch die Vermögensungleichheit stark zugenommen. Und noch immer haben Kinder aus sozial schwachen Schichten schlechtere Bildungschancen. Gleichzeitig mit der Widerstandsfähigkeit unserer Ökosysteme ist auch die soziale Resilienz gesunken.

Wir müssen überprüfen, wie wir wirtschaften und Gewinne besteuern

Nun hat die Corona-Krise ans Licht gebracht, wie schlecht wir für Krisen gerüstet sind und dass unsere Infrastruktur - sei es für Atemschutzmasken, sei es für die Spargelernte - von fragilen globalen Lieferketten abhängig ist. Diese Erkenntnis hat viele aufgeschreckt, die auf das freie Spiel der globalisierten Märkte vertraut haben. Deshalb bietet diese Krise die einzigartige Chance, unsere Gesellschaft solidarischer und resilienter zu machen. Es ist an der Zeit anzuerkennen, dass steigende soziale Ungleichheiten und ökologische Krisen massive Probleme für den gesellschaftlichen Zusammenhalt darstellen.

Ein Solidaritätsfonds könnte zeigen, dass nicht nur in der akuten Corona-Krise vieles geht, was vorher unmöglich schien, sondern auch danach: soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit zu verbinden. So könnte der Solidaritätsfonds ein erster Schritt sein, den Problemen mit neuer Entschlossenheit zu begegnen.

Dazu müssen wir die Art, wie wir wirtschaften und Gewinne besteuern, grundsätzlich überprüfen. Für eine sozial-ökologische Reform müssen wir unsere Wirtschaft an Prinzipien des Gemeinwohls ausrichten. Einzelne sollten nicht länger auf Kosten anderer Profite machen können. Dass auch Wirtschaft kooperativer funktionieren kann, zeigen Sozialunternehmen, die Genossenschaftsbewegung oder die Gemeinwohlökonomie. Die Gelder des Fonds sollten Selbständigen, kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie gemeinnützigen Organisationen zugute kommen, die Fairness und Nachhaltigkeit miteinander versöhnen. Statt sich vornehmlich um die Branchen zu kümmern, die zu den Klimakillern zählen - Fluggesellschaften, Reiseunternehmen, Autoindustrie - sollte der Fonds zukunftsgerichtet denjenigen wieder auf die Beine helfen, die keinen hohen CO₂-Ausstoß haben, die nicht soziale Ungleichheiten befördern, sondern Solidarität, Resilienz und Gemeinwohl produzieren.

Insbesondere zivilgesellschaftliche Organisationen könnten vom Fonds profitieren. Sie bilden das Herzstück einer demokratischen und solidarischen Gesellschaft. In den gemeinnützigen Stiftungen, Verbänden und Vereinen sind 3,7 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt. Diese Zivilgesellschaft ist der Garant für soziale Dienstleistungen und Solidarität, für die Sensibilisierung für ökologische Themen, für demokratische Prozesse und Proteste sowie für Innovationen jeglicher Art. Doch als es an das Schnüren der Rettungspakete ging, wurde die Zivilgesellschaft von der Bundesregierung beflissentlich übersehen, für sie gibt es keinen Rettungsschirm.

All dies zeigt: Wir benötigen rasch einen Solidaritätsfonds, in denen Vermögende und Gewinnler freiwillig einzahlen - zugunsten einer sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft. Denn es wäre fatal, wenn wir uns nach der Corona-Krise schutzlos in einer Welt eines erstarkten Autoritarismus, digitaler Überwachung, größerer sozialer Ungleichheiten und ökologischer Krisen wiederfänden.

Frank Adloff ist Professor für Soziologie an der Universität Hamburg und leitet die Kolleg-Forschungsgruppe "Zukünfte der Nachhaltigkeit". 2018 erschien sein Buch "Politik der Gabe. Für ein anderes Zusammenleben." Tanja Busse ist Fellow derselben Kolleg-Forschungsgruppe. Sie arbeitet als Autorin und Moderatorin. Zuletzt erschien "Das Sterben der anderen. Wie wir die biologische Vielfalt noch retten können".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: