Ramadan:"In Coronazeiten merke ich, wie sehr ich das 'Amin' im Gebet vermisse"

Ramadan während der Corona-Pandemie

Fastenbrechen per Skype: Das gesellige Zusammensein nach Sonnenuntergang fällt beim diesjährigen Ramadan aus.

(Foto: Fabian Strauch/dpa)

Für Muslime ist der Ramadan ein Monat der Begegnung. Doch in der Corona-Krise fällt das Fastenbrechen mit anderen aus. Ein junges Paar setzt daher auf "spirituelle Highlights" und "Koran-Sessions" online.

Von Dunja Ramadan

In diesen Tagen wird der Prophet Mohammed oft als pragmatischer Krisenmanager zitiert. Nicht nur von muslimischen Gelehrten, die sich auf Überlieferungen stützen, auch das US-Nachrichtenmagazin Newsweek beruft sich während der Corona-Pandemie auf den Gründer des Islams, der vor mehr als 1300 Jahren gelebt hat. Obwohl dieser keineswegs ein "traditioneller" Experte für tödliche Krankheiten sei, habe Mohammed dennoch "fundierte Ratschläge" gegeben, um eine Pandemie zu verhindern und zu bekämpfen, schreibt der Autor und führt einen Ausspruch des Propheten an: "Wenn Du von einem Ausbruch der Pest in einem Land hörst, betritt es nicht; aber wenn die Pest an einem Ort ausbricht, während Du dich dort befinden, verlasse diesen Ort nicht." Außerdem habe er für regelmäßiges Händewaschen plädiert, denn Sauberkeit sei "der halbe Glauben".

Bislang haben sich muslimische Staaten streng an die Corona-Beschränkungen gehalten. Auch in den heiligen Städten Mekka und Medina in Saudi-Arabien, wo täglich Millionen Muslime aufeinandertreffen, finden seit Wochen keine Gebete mehr statt. Das letzte Mal fiel die Pilgerfahrt 1798 aus. Damals marschierte der französische General Napoleon in Ägypten ein. Nun ist es ein Virus, das das religiöse Leben der Muslime während des Fastenmonats Ramadan, der Ende der Woche beginnt, weltweit auf den Kopf stellt.

Gottesdienste

In Berlin sind von 4. Mai an wieder Gottesdienste mit bis zu 50 Teilnehmern erlaubt. Das teilte Kultursenator Klaus Lederer (Linke) am Dienstag nach der Senatssitzung zur Corona-Krise mit. Auch in Baden-Württemberg sollen die Gläubigen von Anfang Mai an wieder in die Kirche gehen dürfen. "Sicher zusagen" könne man eine Öffnung "in 14 Tagen", sagte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (CDU) am Dienstag. Er betonte gleichzeitig, dass Gottesdienste "besonders problematisch" seien: Sehr viele ältere Menschen gingen in die Kirchen, es werde viel gesungen und die Gläubigen seien lange zusammen. "Das Singen hat eine sehr starke Exposition von Tröpfchen zur Folge", sagte Kretschmann. In Sachsen sind die Kirchen seit Montag wieder geöffnet, Gläubige müssen sich vorher online für den Besuch anmelden, ab 15 Besuchern gilt der Gottesdienst als "ausgebucht". SZ

In Deutschland leben rund fünf Millionen Muslime. In der repräsentativen Studie "Muslimisches Leben in Deutschland" des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge von 2018 gaben mehr als die Hälfte der Muslime an, dann zu fasten. Sie verzichten damit von Beginn der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang auf Essen, Trinken, Rauchen und Sex. Und in diesem Jahr auch auf die gemeinsamen Abende mit Verwandten und Freunden, auf das Fastenbrechen und die Nachtgebete in der Moschee. Schwangere, Kranke und Alte sind vom Fasten befreit.

Yasmina und Ahmed Sayhi sind gerade erst nach Frankfurt am Main gezogen. Der Fluglotse und die Medienpädagogin haben die letzten acht Jahre in Erfurt gelebt und wollten den Fastenmonat in der Nähe ihrer Familie verbringen. "Endlich mal ein Ramadan, in dem wir uns nicht wie Aliens fühlen", sagt die 30-Jährige und lacht in die Kamera. In Erfurt gab es nur eine Moschee, die wenigen Muslime waren kaum organisiert - und so verbrachte das Paar die meisten Abende zu zweit. "In Coronazeiten merke ich, wie sehr ich das 'Amin' im Gebet vermisse. Ja, sogar die schmucklosen Hinterhofmoscheen", sagt Yasmina Sayhi.

Yasmina und Ahmed Sayhi

Yasmina und Ahmed Sayhi mit ihrer Tochter.

(Foto: privat)

In Frankfurt gibt es rund fünfzig Moscheen. In den vergangenen Jahren hat sich während des Ramadan eine ausgeprägte Open-Air-Kultur in deutschen Großstädten entwickelt. Muslime luden zum Fastenbrechen im Freien oder in Fußgängerzonen ein, jeder, der vorbeischlenderte, konnte Platz nehmen. Auch Moscheeverbände appellierten an die Muslime, der Ramadan sei ein Monat der Begegnung. Man solle seine Nachbarn einladen, um sich besser kennenzulernen. Ein Monat des Aufeinanderzugehens. Das Paar hat sich auf all das "mega gefreut", auf einen Ramadan in der Gemeinschaft.

Das junge Paar setzt nun auf "spirituelle Highlights" und "Koran-Sessions" online

Nun suchen sie diese im Internet. Ahmed Sayhi setzt auf "spirituelle Highlights online", der 30-Jährige hört gerne amerikanische Islamgelehrte, die jeden Abend Vorträge auf Instagram posten. Yasmina Sayhi will sich mit ihrer Schwester regelmäßig zu "Koran-Sessions" online verabreden. Gemeinsam lesen sei schöner als alleine, sagt sie. Der Ramadan wird auch der Monat des Buches genannt, da nach islamischer Auffassung zu dieser Zeit der Koran von Gott herabgesandt wurde. Ahmed Sayhi, der sich die meiste Zeit für viel zu pragmatisch hält, möchte im Ramadan vor allem mehr Spiritualität zulassen. "Ich stelle meinen Glauben auf den Prüfstand und versuche, die Schnelllebigkeit herauszunehmen, die durch Corona sowieso schon ausgebremst wurde", sagt er.

Auch ihre zweijährige Tochter soll die feierliche Atmosphäre spüren, sagen die Eltern. Gemeinsam sitzen sie vor dem Laptop, hinter ihnen schmückt eine Girlande mit Sternen und orientalischen Lampen den Flur. Yasmina Sayhi hält jetzt den Ramadankalender aus Stoff in die Kamera, den ihre Mutter aus Bremen gebastelt und per Post geschickt hat. Eigentlich wollte sie ihn persönlich vorbeibringen, doch ihre Eltern gehören zur Risikogruppe, sagt Yasmina Sayhi. In wenigen Tagen darf ihre kleine Tochter, die statt "inschallah", einer islamischen Redewendung ("So Gott will"), noch "schalala" sagt, Süßigkeiten, Sticker und Spielzeuge aus dem Kalender holen - und Oma und Opa ab und zu per Videokamera zuwinken.

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