Corona in Südkorea:Durch die Desinfektionsdusche ins Theater

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Desinfektion eines Markts in der vom Virus stark betroffenen Stadt Daegu. (Foto: AP)

Kontrollen, Tests und eiserne Disziplin: ein Gespräch über die erstaunliche Konsequenz, mit der Südkorea das Coronavirus in Schach hält.

Interview von Nico Fried

Südkorea ist bislang sehr erfolgreich bei der Eindämmung der Corona-Pandemie. Als wichtige Gründe für die stark rückläufige Verbreitung des Virus gelten die hohe Zahl an Tests und der Einsatz digitaler Technik. Beides strebt man auch in Deutschland an. Rainer Fried ist der Bruder unseres Redakteurs Nico Fried. Er arbeitet derzeit in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul für eine internationale Musical-Produktionsfirma. Nachdem in der Truppe zwei Corona-Fälle nachgewiesen worden waren, musste Rainer Fried für knapp zwei Wochen in seinem Hotelzimmer in Quarantäne bleiben. Mit Nico Fried sprach er über seine Erfahrungen und die Corona-Lage in Südkorea.

SZ: Rainer, du bist am 11. März über den Flughafen Seoul nach Südkorea eingereist. Das ist knapp sechs Wochen her. Wie waren die Kontrollen bei der Einreise, und was hat sich inzwischen geändert?

Rainer Fried: Damals waren die Kontrollen noch nicht so streng. Es gab Schleusen, in denen mit Kameras Fieber gemessen wurde, aber die stehen dort schon seit der letzten Sars-Epidemie vor einigen Jahren. Mittlerweile hat sich das völlig geändert: Es wird nicht nur die Temperatur gemessen, es wird auch bei jedem Einreisenden innerhalb von zwei Tagen ein Corona-Test durchgeführt. Alle Einreisenden müssen auf ihr Mobiltelefon eine App herunterladen, mit der ihr Aufenthalt nachverfolgt werden kann, und alle werden für zwei Wochen in Zwangs-Quarantäne geschickt.

Wie erlebst du die Situation in Seoul im Moment?

Mein Hotel und unser Theater liegen relativ zentral. Die Situation in der Stadt ist größtenteils relativ normal, vielleicht ein bisschen weniger Autoverkehr. Die Leute aus den Büros in der Innenstadt treffen sich recht entspannt in ihrer Mittagspause auf der Straße oder in den Höfen und unterhalten sich. Restaurants und viele Geschäfte sind offen. Es gelten die üblichen Abstandsregeln, und überall stehen Desinfektionsmittel bereit. Schulen sind allerdings noch geschlossen, was für ein Land wie Südkorea, in dem Bildung so einen hohen Stellenwert hat, ein besonders harter Einschnitt ist. Und die Krise mit ihren globalen Folgen hat natürlich auch die Wirtschaft getroffen.

Rainer Fried (Foto: privat)

Gibt es eine Schutzmaskenpflicht?

Es gibt eine Empfehlung, aber keine generelle Pflicht, außer beim Betreten öffentlicher Gebäude. Aber die meisten Koreaner tragen sowieso Masken. Das ist hier völlig normal. Ausländer sind nicht gezwungen, sie zu tragen, obwohl viele Infektionen in den letzten Wochen aus dem Ausland nach Südkorea gebracht worden waren, bevor die Kontrollen verschärft wurden. Wir haben uns in unserer Firma darauf verständigt, schon aus Respekt vor unseren koreanischen Gastgebern Masken zu tragen. Wären sie nicht so erfolgreich darin, die Epidemie unter Kontrolle zu halten, könnten wir ja gar nicht hier sein.

In Deutschland sind Schutzmasken ein rares Gut, werden zum Teil in Handarbeit genäht. Sind die Schutzmasken in Südkorea auch schwer zu bekommen?

Überhaupt nicht. Man kann sie an jeder Ecke kaufen, genau wie Desinfektionsmittel für die Hände. Und zwar zu völlig normalen Preisen. Das ist alles kein Problem. Als ich meinen koreanischen Freunden von den Klopapier-Hamsterkäufen in Deutschland erzählte, schauten die mich mit großen Augen an. Sie konnten es nicht fassen. So etwas hat man hier noch nie erlebt.

Gibt es für den Besuch eures Musicals besondere Sicherheitsvorkehrungen?

Ja. Die Gesundheitsbehörden machen glasklare Vorgaben. Und wir halten uns an jedes Wort davon.

Wie muss man sich den Besuch des Musicals vorstellen?

Jeder Zuschauer geht am Eingang des Theaters durch eine Art Desinfektionsdusche. Man behält die Kleider dabei natürlich an, aber man wird auch nicht wirklich nass. Es ist ein ganz dünnes Spray. Jeder Besucher muss seine Temperatur messen lassen, jeder muss für den gesamten Aufenthalt im Theater eine Schutzmaske über Mund und Nase tragen. Und die Daten jedes einzelnen Zuschauers werden registriert. Nachdem in unserer Truppe zwei positive Fälle aufgetreten waren, haben die Behörden aufgrund dieser Daten mehr als 8000 Menschen kontaktiert, die das Theater in den Tagen zuvor besucht hatten. Soweit wir wissen, wurde aber keine Infektion gemeldet. Die Mitglieder des Ensembles, Bühnenarbeiter und anderes Personal wurden getestet. Die Show wurde ausgesetzt, und wir alle wurden in Quarantäne geschickt, rund 120 Leute.

Das hieß: Zwei Wochen das Hotelzimmer nicht verlassen.

Ja. Aber die Behörden und auch das Hotel haben sich umfassend gekümmert, sehr freundlich. Und sie überlassen nichts dem Zufall. Man bekommt zu Beginn der Quarantäne ein Paket. Da sind Schutzmasken drin, Desinfektionsmittel für die Hände und ein Spray, mit dem ich alles desinfizieren konnte, was in mein Zimmer gebracht wurde. Außerdem Fieberthermometer und eine Broschüre mit den Vorschriften.

Maske, Desinfektionsmittel, Testkit, Plastiksack und Anleitung für die Quarantäne. (Foto: privat)

Kommt Personal ins Zimmer?

Nein. Essen wird vor der Türe abgestellt, ein Angestellter klingelt und verschwindet. Dann öffnet man die Tür und holt die Sachen rein. Mitunter koreanische Küche, köstlich und sehr gesund!

Lebensmittel für die Quarantäne. (Foto: privat)

Aber kein persönlicher Kontakt?

Nein. Nur telefonisch.

Was geschieht mit dem Abfall?

Man bekommt am Anfang der Quarantäne jede Menge Plastiksäcke, in denen man den Müll sammelt. Ich habe also die Plastikschüsseln und andere Behälter ausgewaschen und ineinander gestapelt. Das ist alles in meinem Zimmer geblieben. Nichts, was in den Raum gebracht wurde, durfte ich selbständig wieder vor die Türe bringen. Am Ende der Quarantäne kam dann Personal in Schutzanzügen und hat alles mitgenommen: den Müll, die ganze Bettwäsche und die Handtücher, alles, was von mir eventuell berührt wurde. Laut einer Information, die ich am Anfang gemailt bekommen hatte, hat man alles verbrannt. Und das Zimmer wurde komplett desinfiziert.

Wie wurde die Quarantäne kontrolliert?

Zweimal am Tag, um 10 und um 15 Uhr, musste ich mit den Einweg-Thermometern meine Temperatur messen. Die Werte habe ich sowohl auf einer Webseite eingegeben als auch in der App. Da hätte ich auch angeben müssen, wenn ich irgendwelche Symptome gehabt hätte, also Husten, Halsweh, Gliederschmerzen oder ähnliches.

In Deutschland gilt Südkorea als Beispiel für eine Art Komplettüberwachung per App, was manchen Leuten Angst macht. Wie funktioniert das?

Die App für die Quarantäne registriert fortwährend, wo man sich befindet. Wenn ich mein Zimmer verlassen hätte, um kurz frische Luft zu schnappen, hätte die App das nach spätestens drei Minuten registriert, einen Alarm an mich gesendet - aber auch an die Behörden, und zwar direkt an den für mich zuständigen Sachbearbeiter.

Wie hieß er?

Keine Ahnung, für mich existierte er nur als Code. Aber er hätte sofort Bescheid gewusst, wenn ich mich unerlaubterweise aus dem Zimmer entfernt hätte.

Was wäre gewesen, wenn du das Handy im Zimmer gelassen hättest und heimlich rausgegangen wärst?

Das sollte man nicht riskieren. Wenn man mich erwischt hätte, wäre die Geldstrafe nicht unter 7000 Euro gewesen, und als Ausländer hätte man mich sofort ausgewiesen. Koreanern kann sogar Gefängnis drohen.

Gibt es keine Debatte über den Datenschutz oder die Sorge vor zu viel Überwachung?

Soweit ich das beurteilen kann, hat die ganz große Mehrheit der Menschen die Einstellung, dass jetzt Gesundheit und Leben über Datenschutz gehen.

Woran liegt diese Gelassenheit?

Man hat nach den vergangenen Jahrzehnten eine gewisse Routine im Umgang mit solchen Epidemien. Korea hat einfach seine Erfahrungen mit Sars 2002 und Mers 2015 gemacht und daraus gelernt. So ist es ja auch gelungen, jetzt die Stadt Daegu, wo sich in einer Religionsgemeinschaft sehr viele Menschen gleichzeitig infiziert hatten, unter Kontrolle zu bekommen. Es gab vereinzelte Sperrzonen. Aber es gibt auch ein sehr hohes Maß an Selbstdisziplin unter den Koreanern. Ich nenne das gerne kollektive Vernunft. Entgegen der Wahrnehmung, die vielleicht in Deutschland verbreitet ist, beruht der Erfolg der Koreaner mitnichten auf Zwang und Gehorsam.

In Deutschland informiert das Robert-Koch-Institut offiziell einmal täglich über die Entwicklung der Pandemie. Regionale Recherchen sind eher mühsam und gehen über die Gesundheitsämter. Wie läuft das in Südkorea?

Zunächst über das Mobiltelefon. Jede Person, die eine koreanische Telefonnummer hat, wird sofort mit einer Textnachricht alarmiert, wenn in ihrer Umgebung eine neue Infektion festgestellt wurde. Diese Nachrichten haben absoluten Vorrang, sie unterbrechen durch ihr Signal Telefonate oder schieben sich vor jede Anwendung, die man gerade auf dem Handy geöffnet hat. Zwischendurch kommen auch Nachrichten, die an die Verhaltensregeln erinnern. An ein paar Tagen vor etwa drei Wochen gab es besonders viele Nachrichten. Das kann einen natürlich auch nervös machen, wenn man den Eindruck hat, man befindet sich plötzlich in einem Hot Spot mit vielen Infektionen - besonders wenn man kein Koreanisch versteht. Inzwischen kann man die Nachrichten aber auch auf Englisch nachlesen.

Vieles läuft also über ausgefeilte Technik?

Ja, noch ein Beispiel: Es gibt eine Webseite, sie heißt Coronamap.site. Darauf kann ich mich in jede beliebige Gegend des Landes zoomen, praktisch auf die Straßenecke genau, um mich über die aktuelle Lage zu informieren. Man kann jede einzelne Infektion nach dem genauen Ort in der Stadt aufrufen, wo sie stattgefunden hat und wann. Daran kann man rückblickend erkennen, ob man zu dem betreffenden Zeitpunkt zum Beispiel im selben Restaurant oder Geschäft war. Eine Farbskala, die sich am Zeitpunkt der jeweiligen Infektion bemisst, zeigt außerdem an, wie gefährlich der Ort aktuell noch ist.

Eure Quarantäne ist zu Ende, diese Woche nehmt ihr wieder den Spielbetrieb auf. Was hast du als erstes gemacht, nachdem du das Hotelzimmer verlassen durftest?

Einen kleinen Spaziergang. Dann habe ich mir einen schönen Kaffee geholt. Und dann hatten wir in einem sonnigen Hinterhof ein erstes Treffen der Leitungsebene. Da haben wir uns zum ersten Mal seit zwei Wochen wieder "in echt" gesehen, alle gesund. Das war schon ein bewegender Moment.

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