Nepal:Erst das Erdbeben, dann Corona

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Sozialunternehmerin Nasreen Sheikh 2015 kurz vor dem Erdbeben in ihrem Laden "Local Women's Handicrafts" in Nepals Hauptstadt Kathmandu (Foto: Veronika Wulf)

Vor fünf Jahren starben bei einem schweren Erdbeben in Nepal fast 9000 Menschen. Viele im Land leiden bis heute unter den Folgen.

Von Veronika Wulf

Nasreen Sheikh hat viel erlebt für ihr Alter. Wobei sie gar nicht so genau weiß, wie alt sie ist, niemand hat den Tag dokumentiert, an dem sie in einem abgelegenen Dorf in Nepal an der Grenze zu Indien zur Welt kam. Ungefähr 28 Jahre alt ist sie nun, das hat sie irgendwann so festgelegt. Sie musste als Kind in einer Textilfabrik arbeiten, hat sich einer arrangierten Ehe widersetzt, hat gegen viele Widerstände ein Nähkollektiv für benachteiligte Frauen gegründet. Doch auf das, was am 25. April 2015 passierte, war sie nicht vorbereitet.

Das erste große Beben kam kurz vor Mittag, Nasreen Sheikh verkaufte mit Kolleginnen und Freunden selbstgenähte Taschen, Schals und Kleider auf einem Markt in der Hauptstadt Kathmandu. Plötzlich grummelte es, wie ein entfernter Donner, dann begann der Boden zu wanken. Menschen eilten umher, schrien, in den Himmel stoben Staub und Tausende Vögel. Hunderte Nachbeben folgten. "Mein Kopf funktionierte nicht, ich wusste nicht einmal, wo ich hinlaufen sollte, was ich tun sollte."

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Später zeigten die Zahlen das Ausmaß der Katastrophe: 7,8 auf der Richterskala, das stärkste Beben seit 80 Jahren, knapp 8800 Tote, mehr als 20 000 Verletzte, etwa 800 000 eingestürzte Häuser. Auch Nasreen Sheikh kannte Menschen, die starben oder Gliedmaßen verloren durch herabstürzende Trümmer. Die ersten Nächte schlief sie im Freien, weil das Haus beschädigt war, in dem sie ihre Wohnung und ihren Laden hatte. Später zog sie in ein Dorf etwas außerhalb von Kathmandu, wo die Nähinitiative "Local Women's Handicrafts" gerade ein Ausbildungszentrum für benachteiligte Frauen aufbaute und wo es mehr Freiflächen gibt als im "Betondschungel Kathmandu". In der Hauptstadt stehen hohe, schmale Gebäude dicht an dicht, den Vorgaben der Regierung zur Erdbebensicherheit entsprechen sie meist eher nicht. "Alle hatten Angst vor den hohen, massiven Häusern, wir wollten nicht einmal daran vorbeigehen", sagt Nasreen Sheikh.

Im Zentrum von Kathmandu zerstörte das Erdbeben 2015 viele Häuser. Manche sind noch immer nicht wiederaufgebaut. (Foto: Veronika Wulf)

Heute, fünf Jahre nach dem großen Beben, hat sich viel getan in dem Himalaja-Land, das zu den ärmsten der Welt gehört. Die meisten Gebäude wurden wieder aufgebaut. Wie vor dem Beben ist es aber noch lange nicht. Etwa 20 Prozent aller Gebäude, die 2015 beschädigt wurden, sind der Hilfsorganisation Plan International zufolge noch immer kaputt. Geldmangel und administrative Hürden erschweren den Aufbau, auch kulturhistorische Auflagen, weil manche Gebäude zum Unesco-Weltkulturerbe zählen.

Viele Kinder lernen noch immer in temporären Schulen

Einige Betroffene hätten sich beim Wiederaufbau verschuldet, sagt ein Sprecher von Caritas International. Das Gleiche gelte für Tausende verarmte Familien, die durch das Erdbeben ihre Einkommensquelle verloren hätten, etwa kleine Shops oder Kioske. Außerdem sind viele Schulgebäude nach wie vor zerstört. Noch immer lernen 32 000 Kinder in 900 temporären Lernzentren, die nach der Katastrophe erdbebensicher aufgebaut wurden. Und das sind nur die, die Unicef unterstützt, in Nepal sind viele weitere Hilfsorganisationen und private Initiativen aktiv.

Nasreen Sheikh macht sich Sorgen um die Zukunft. Weil unsichere Betongebäude weiterhin gebaut würden. Weil das Bewusstsein fehle, um eine "nachhaltigere, umweltfreundlichere Infrastruktur" aufzubauen. Und weil bekannte Kulturstätten und Straßen in entlegenere Regionen noch immer nicht vollständig wiederaufgebaut wurden. "Dadurch kommen weniger Touristen, die unsere Wirtschaft unterstützen", sagt die Unternehmerin. Sheikh muss es wissen: Auch ihr eigenes Geschäft hängt stark von der Kaufkraft der Reisenden ab.

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Nun aber leidet das Land, wie viele andere, auch noch unter der Corona-Pandemie. "Wir konnten kaum Atem holen vom Erdbeben", sagt Nasreen Sheikh. Unicef zufolge können viele Kinder nicht zur Schule gehen, die Gefahr bestehe, dass sie, wie nach dem Erdbeben, auch danach nicht mehr zurückkehrten. Außerdem steige das Risiko des sexuellen Missbrauchs.

Wegen der nationalen Ausgangssperre war auch Nasreen Sheikh gezwungen, ihren Laden zu schließen. Stattdessen verteilt sie Essen, das sie von Spendengeld kauft, an Tagelöhner, die unter Hunger leiden, weil sie keine Beschäftigung mehr haben. In Nepal gibt es die Redensart "Ke garne", was soll man machen! Also macht Nasreen Sheikh einfach weiter und versucht, der Krise auch etwas Positives abzugewinnen: Der Smog sei verschwunden, von ihrem Ausbildungszentrum aus könne man nun den Himalaja sehen. "Das ist einfach magisch."

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