Deutscher Filmpreis:Keine Gäste, kein Applaus

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Die elfjährige Helena Zengel spielt die Hauptrolle in "Systemsprenger". Sie wurde ebenfalls ausgezeichnet. (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Der Deutsche Filmpreis fand live im Fernsehen und in den Wohnzimmern der Nominierten statt. Das Sozialdrama "Systemsprenger" und der Schauspieler Albrecht Schuch waren die großen Gewinner.

Von Tobias Kniebe

Eine Show ohne Gäste, ohne Applaus für die Gewinner, ohne Lacher für die Witze. Die Nominierten als Webcam-Bildchen in ihren Wohnzimmern, wie derzeit in jeder Videokonferenz. Und Sieger, deren Bild im Moment des Triumphs auch mal einfror, während der Ton einen Schluckauf bekam.

Alles war anders als je zuvor beim 70. Deutschen Filmpreis - und doch war es schön und ermutigend, trotz allem, die Vergabe live in der ARD zu sehen. Denn das Glück der Gewinner, der Zusammenhalt der Filmszene, die Lust zur Improvisation waren spürbarer als bei so manchem hochpolierten Galaabend.

Der große Sieger mit acht Lolas wurde das Sozialdrama "Systemsprenger", über ein Heimkind, das all seine Betreuer überfordert. Man sah die elfjährige Hauptdarstellerin Helena Zengel beim sehr langen Glückskreischen in einer engen Familienküche, man sah die Regisseurin Nora Fingscheidt bei Tag, vor Hochhaustürmen in Vancouver, wo sie gerade dreht, während die Nachricht von ihrem Regiepreis noch ein paar Sekunden lang in den Transatlantik-Netzen festhing.

Und man sah, sehr bewegt, den Schauspieler Albrecht Schuch. Es war, mit zwei unvergesslichen Performances, sein Jahr. Und es wurde sein Abend. In seiner Rolle in "Systemsprenger" ist er perfekt als geradliniger, still entschlossener Sozialarbeiter, dem ein Kind seine Grenzen aufzeigt.

Alle Kategorien sprengt er dagegen in "Berlin Alexanderplatz" nach dem Roman von Alfred Döblin, als Dealer und Zuhälter Reinhold. Da schafft er es, alles auf einmal zu sein - treuer Freund und brandgefährlicher Psychopath, schwach und stark, spielerisch, verführerisch, ehrlich und falsch, Opfer und Täter. Sehr zu Recht gewann er für beide Rollen, einmal als Haupt-, einmal als Nebendarsteller, was hier allerdings eine sinnlose Unterscheidung ist. Denn eigentlich gewann er dafür, dass er offenbar alles kann - an der Zimmerwand hinter ihm hing dann auch, als kleine Erinnungsstütze, jeweils das richtige Filmplakat.

"Berlin Alexanderplatz" von Burhan Qurbani, der mit den meisten Nominierungen ins Rennen ging, wurde mit fünf Lolas der zweitplatzierte Film. Er gewann Silber in der Hauptkategorie, beim Preis für die beste Kamera krabbelte der Sohn des Bildgestalters Yoshi Heimrath auf Papas Schoß, beim besten Szenenbild gab der Hund der Gewinnerin Silke Buhr eine denkwürdige Hintergrund-Performance auf dem Sofa, und bei Dascha Dauenhauers Preis für die beste Filmmusik erkannte man, dass das komplette Team offenbar seine eigene Zoomparty laufen hatte.

Das war der Spirit des Abends - wir lassen uns von der Krise die Stimmung nicht kaputtmachen. Die Lola in Bronze ging an "Es gilt das gesprochene Wort" von Ilker Çatak, ein Drama über eine deutsch-türkische Zweckehe. Den Preis für den besten Dokumentarfilm sicherte sich "Born in Evin", in dem die Schauspielerin Maryam Zaree ihre eigene Vergangenheit erforscht, beim Kinderfilm gewann Caroline Links "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl".

Ein unbezahlbarer Livemoment zum Schluss

Beim Ehrenpreis für den 87-jährigen Edgar Reitz schließlich, den Schöpfer des Monumentalwerks "Heimat", gab es zum Schluss einen tollen Moment, als seine Frau Salome Kammer zum Anstoßen mit ins Webcam-Bild rückte. Sie hatte, mehr als dreißig Jahre nach den Dreharbeiten für "Die zweite Heimat", noch immer das Strahlen aus jener Zeit, als die beiden ein Paar wurden. Dennoch hängt Reitz nicht in der Vergangenheit fest: "Wenn das Kino wieder eröffnet wird, muss es ein Kino der Zukunft werden", forderte er.

Am Ende der Show blieb das Gefühl, die Filmschaffenden des Landes einmal fast ungeschminkt erlebt zu haben - jenseits der Roten Teppiche und der einstudierten Texte, die Filmpreis-Galas oft so zäh und unpersönlich machen. Wahrscheinlich war das gar nicht so geplant, aber der oft intime Einblick in Wohn- und Arbeitsräume ließ erkennen, dass Film in diesem Land eben kein Geschäft des Glamours mehr ist, sondern meist wahre, manchmal nicht gerade lukrative Leidenschaft. Das gab den vielen Appellen, all die momentan arbeitslosen Künstler nicht zu vergessen, zusätzliche Überzeugungskraft.

Energie war dennoch reichlich zu spüren - allen voran beim unermüdlichen Moderator Edin Hasanović, der die Show in einer dunklen leeren Studiohalle voller Videoscreens am Laufen hielt, unterstützt nur von wenigen Gästen aus Fleisch und Blut, die allesamt auf Distanz bleiben mussten. Während der Abspann schon lief, sah man ihn völlig fertig zusammensinken und über einen Kuchen herfallen, während zwei Hunde auf ihn zustürmten, um das zu tun, was Menschen gerade nicht dürfen - ihn ganz körperlich und nah zu beglückwünschen. Ein unbezahlbarer Livemoment, wie es ihn auch nur in Coronazeiten geben kann.

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