Kunstpolitik:Völlig verbaselt

Der Sammler Friedrich Christian Flick zieht mehr als 2000 bedeutende Werke der Gegenwartskunst aus Berlin ab. Schuld an diesem traurigen Verlust sind die Berliner selbst. Sie haben sich nicht darum gekümmert.

Von Jörg Häntzschel

In der Berliner Museumswelt gibt es viel Geld für neue Bauten, aber wenig für den Ankauf von Kunst. Wer der Stadt eine bedeutende Sammlung in Aussicht stellt, dem baut sie schon mal ein Museum. Um so erstaunlicher, wenn auch schon länger erwartet, ist die Nachricht, dass der Schweizer Sammler Friedrich Christian Flick seine Sammlung mit Gegenwartskunst aus Berlin abziehen und in die Schweiz bringen wird. Der Grund: Irgendwie hatte man es in Berlin verschlafen, sich rechtzeitig um die Sicherung der Rieck-Hallen hinter dem Hamburger Bahnhof zu bemühen, in denen die Sammlung ausgestellt war und die Flick selbst für acht Millionen hatte renovieren lassen. Sie werden abgerissen, wenn im nächsten Jahr der Vertrag mit dem Eigentümer ausläuft. Wen wundert es da, dass Flick wenig Interesse hatte, den Leihvertrag für die Sammlung zu verlängern, der ebenfalls 2021 endet?

Der Hamburger Bahnhof immerhin darf stehen bleiben, doch ohne die Sammlung, aus der seine Ausstellungen zum großen Teil bestückt waren, droht ihm die Frühverrentung als Industriedenkmal. Dass der langjährige Direktor der Nationalgalerie, Udo Kittelmann, in diesem Herbst seinen Posten räumt, macht den Vorgang noch brisanter. Immerhin kann er jetzt freier sprechen, während die Verantwortlichen nur beschämt zu Boden sehen: Die Konsequenzen seien für Berlin "in ihrer gesamten Tragweite zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht absehbar", raunte der sonst so versöhnliche Museumsmann. Berlin, eine der weltweit wichtigsten Kunststädte der Gegenwart, hat in seinen Museen künftig kaum Gegenwartskunst zu zeigen.

Man weiß nicht, welche Geschichte deprimierender ist, die der Hallen oder die der Sammlung. Ursprünglich gehörte das Areal rund um den Bahnhof der Bahn. Das Staatsunternehmen gründete nach der Wende für nicht mehr benötigte Liegenschaften wie diese die Tochterfirma Vivico, die 2007 an die österreichische CA Immo verkauft wurde. CA Immo würfelte auf diese städtischen Filetstücke die immer gleichen Büro- und Dienstleistungscluster. So entstand in Frankfurt das "Europaviertel", in München der "Arnulfpark" und in Berlin eben jene "Europacity", deren Metastasen dem Hamburger Bahnhof und seinem rührenden Kurgarten mehr und mehr die Luft abschnürten. Wie anders sah das noch vor 15 Jahren aus: Rund um den Bahnhof blühte ein kleines Kunstviertel mit Galerien und Ateliers. Stars wie Olafur Eliasson, Tacita Dean und Thomas Demand arbeiteten hier. Doch schon Ende der Nullerjahre war es mit der Idylle vorbei.

Von mehr als 2500 Werken bleiben gerade mal 286 da

Auch die Geschichte der Sammlung ist düster. Gekauft hatte sie Flick zum großen Teil mit dem Vermögen seines Großvaters Friedrich Flick, in dessen Rüstungsfirmen im Nationalsozialismus Zehntausende Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge ausgebeutet wurden. Ursprünglich wollte Flick seiner Sammlung ein Museum in Zürich bauen. Nach Protesten gab er den Plan auf und kam 2003 mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ins Geschäft. Die Kritiker beruhigte man mit der Aussicht, die Präsenz der Sammlung in Berlin würde zu historischer Aufarbeitung beitragen. Doch als die 2500 Werke einmal da waren, interessierte das Thema kaum noch.

Der Verlust der Rieck-Hallen führt nun zum Verlust der Sammlung, die in die Schweiz zurückkehrt. Das alles wäre wohl vermeidbar gewesen, hätte man sich nur dahintergeklemmt. Zurück bleiben immerhin 286 Werke von Paul McCarthy, Stan Douglas, Candida Höfer, Isa Genzken, John Cage, Franz West und anderen, die Flick 2008 und 2016 den Berliner Museen geschenkt hat. Die Verantwortlichen in Berlin waren sich in den letzten Jahren offenbar sicher, dass sowohl die Hallen als auch die Sammlung bis in alle Ewigkeit erhalten bleiben würden. So wie Anfang des Jahrtausends auf die Sammlung Flick konzentrierten sie sich nun ganz auf die Sammlungen Marx, Pietzsch und Marzona, mit denen Berlin seine Lücken in der Moderne schließen will. Kaum sind die Verträge unterschrieben, der erste Spatenstich für das neue Museum des 20. Jahrhunderts getan, tut sich nun anderswo ein neues, großes Loch auf.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: