Senioren:"Das Pflegesystem ist nicht coronagerecht"

Pflegeheim

Die Kontakte der Bewohner in bayerischen Altenheimen sind seit mehr als vier Wochen auf ein Minimum reduziert.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Der Aufnahmestopp in Altenheimen stellt Angehörige vor große Probleme. Doch die Einrichtungen sind Hotspots der Pandemie.

Von Matthias Köpf, Dietrich Mittler und Olaf Przybilla

Kornelia Schmid fühlt sich "alleingelassen, hilflos". "Ständig", wie die 60-jährige Ambergerin sagt, quält sie die Angst. Die Angst, selbst krank zu werden. Was wird dann aus Erich, ihrem pflegebedürftigen Mann? Diese Frage stellen sich augenblicklich viele Angehörige in Bayern, die durch den von der Staatsregierung verhängten Aufnahmestopp für Altenheime und Einrichtungen der Behindertenhilfe vor großen Problemen stehen. Etliche haben für die Pflege ihrer Lieben längst ihren Urlaub und die zehn Tage Pflegezeit verbraucht. "Das Pflegesystem ist nicht coronagerecht", sagt Schmid in einer Mischung aus Sorge, Humor und Sarkasmus.

Die 60-Jährige ist Vorsitzende des Vereins "Pflegende Angehörige", und viele ihrer mehr als 200 Mitglieder haben Kornelia Schmid von ähnlichen Sorgen berichtet. An diesem Mittwoch will sie in der BR-Sendung "Jetzt red i" Klartext reden. Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) sieht indes keinen Grund zur Kritik: "Der Aufnahmestopp war unerlässlich, um den Schutz dieser besonders gefährdeten Menschen vor einer Corona-Ansteckung zu verstärken", sagt sie. Zugleich habe die Staatsregierung im Interesse der Betroffenen und ihrer Angehörigen ein Vorgehen ermöglicht, das den jeweiligen Einzelfall berücksichtige. "Neuaufnahmen in Pflegeeinrichtungen sind mit Zustimmung des zuständigen Gesundheitsamts auch weiterhin möglich, wenn die neuen Bewohnerinnen und Bewohner für einen Zeitraum von 14 Tagen in Quarantäne untergebracht werden können", betonte Huml.

Doch das allein löst aus Sicht des Sozialverbands VdK Bayern nicht die derzeitigen Probleme. Ulrike Mascher, die dem Landesverband vorsteht, sagt: "In den Zeiten der Corona-Krise brechen jetzt die jahrelang verschleppten Probleme in der Pflege auf - sei es in der stationären, in der häuslichen oder in der ambulanten." Insbesondere gehe das nun zu Lasten pflegender Angehöriger. Bei den Service-Stellen des VdK häufen sich die Anrufe. Da ist etwa der Fall von Johanna Geisler (Name geändert), deren pflegebedürftiger Vater derzeit nach einem Sturz mit einer Oberschenkel-Fraktur im Schrobenhauser Krankenhaus liegt. Er soll zuhause gepflegt werden, aber "es ist bislang noch kein Pflegedienst verfügbar", wie es seitens des VdK heißt. "Wir haben unseren Vater seit sieben Wochen nicht mehr gesehen, nur noch am Telefon gesprochen", sagt Johanna Geisler.

Auch bei Peter Bauer (Freie Wähler), dem Patienten- und Pflegebeauftragten der Staatsregierung, laufen Hilferufe betroffener Angehöriger ein. "Viele wären bereit, Eltern oder Partner zu Hause zu pflegen, schaffen das aber nicht alleine", sagt er. Hinzu komme das Problem, dass die ambulanten Pflegedienste auch aufgrund der verstärkten Nachfrage unter Druck stünden. Zwar sei es absolut richtig, dass die Staatsregierung die Corona-Schwerpunkte schütze - und dazu zählten neben den Einrichtungen für Menschen mit Behinderung auch die Altenheime. Aber: "Pflegende Angehörige oder auch Betreuer dürfen jetzt nicht allein gelassen werden", sagt er.

Deutlicher noch wird Ruth Waldmann, die sozialpolitische Sprecherin der Landtags-SPD: "Wenn pflegebedürftige Menschen sowie auch Menschen mit Behinderung durch den Aufnahmestopp nicht mehr in Einrichtungen unterkommen, muss die Staatsregierung sofort dafür sorgen, dass eine menschenwürdige Lösung gefunden wird." So ließen sich doch Rehakliniken und Hotels als möglichen Ersatz personell und technisch so ausstatten, dass dort die Pflege und Betreuung gewährleistet werden könne.

Claus Fussek, der seit Jahren Missstände in Heimen kritisiert, stellt sich in dieser Frage jedoch vor Ministerin Huml. "Woher das Pflegepersonal für solche Ersatz-Einrichtungen nehmen?", fragt er. Angesichts der vielen Todesfälle in den Einrichtungen habe die Staatsregierung schnell handeln müssen. Anfangs war es allein das Würzburger Seniorenheim St. Nikolaus, das mit vielen Corona-Toten - inzwischen sind es dort 25 - in die Schlagzeilen geriet.

Mittlerweile gibt es in allen Regierungsbezirken Frankens Seniorenheime mit ähnlich hohen Zahlen. In einem zweiten Würzburger Heim sind 19 Bewohner nach einer Corona-Infektion gestorben. Im oberfränkischen Bad Steben sind es in einem Heim 14. In Mittelfranken ist die Fürther Gegend besonders hart getroffen: Im Kreis Fürth ist ein Heim in Langenzenn schwer in Mitleidenschaft gezogen, dort starben 23 Bewohner nach einer Corona-Infektion. Auch in einem Heim in Fürth-Stadt sind 18 Tote zu beklagen. Wer nach den Gründen fragt, bekommt ähnlich klingende Antworten. Wie genau das Virus in Heime gelange, sei kaum zu rekonstruieren, sagt ein Sprecher vom Bürgermeisteramt in Fürth. Dass es in Franken viele Awo-Heime sind, die hart getroffen sind, hält er für Zufall: "Es kann jedes Heim treffen, es hätte genauso andere treffen können." Die Staatsanwaltschaften reagieren unterschiedlich: In Würzburg sind Vorermittlungen eingeleitet worden, in Hof wurden solche nach Kurzem eingestellt, die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ermittelt nicht.

Auch in der Region Rosenheim, einem der Corona-Hotspots in Bayern, richten sich viele Blicke auf die Alten- und Pflegeheime. Aus einem Seniorenheim in Aschau im Chiemgau wurden in der vergangenen Woche 15 Bewohner gemeldet, die nachweislich an Covid-19 gestorben sind. Bei mehreren weiteren Toten besteht zumindest dieser Verdacht, ohne dass sie nach ihrem Ableben noch getestet worden wären. In dem Heim herrscht ein eklatanter Mangel an gesunden Pflegekräften, laut lokalen Medienberichten waren nur noch 24 statt 80 Mitarbeiter im Dienst. Die Region ist von der Pandemie insgesamt schwer getroffen, bis Montagmittag starben dort nach offizieller Zählung 133 Menschen, von denen mehr als die Hälfte älter waren als 83 Jahre. Nur sechs der Corona-Toten waren dort jünger als 60 Jahre.

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