Racial Profiling:Datenschützer und Zentralrat der Sinti und Roma kritisieren Berliner Polizei

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Wo geht's lang? Die jüngere Geschichte der Berliner Polizei ist nicht gerade arm an Possen. (Foto: Paul Zinken/dpa)

"Reisende Täter", "Südosteuropäer" oder "häufig wechselnder Aufenthaltsort": Beamte vermerken regelmäßig Angaben zur ethischen Zugehörigkeit von Verdächtigen, obwohl das rechtlich problematisch ist. Das Land Berlin reagiert jetzt auf die Vorwürfe.

Von Verena Mayer, Berlin

86 Trickdiebe. So viele Männer und Frauen sollen 2017 in der Hauptstadt vor allem ältere Menschen bestohlen haben. Sie kamen in deren Wohnungen, indem sie sich als Handwerker oder Verwandte ausgaben - eine Vorgehensweise, die auch als "Enkeltrick" bekannt ist. Diese 86 Personen waren in der Kriminalstatistik der Berliner Polizei unter einem eigenen Punkt aufgeführt mit dem Titel "Trickdiebstahl in Wohnungen". Und nicht nur das: Den Angaben war auch zu entnehmen, dass es sich bei diesen Trickdieben "überwiegend um Angehörige der Volksgruppe der Sinti und Roma" handle. Darunter hieß es: "Diese Familienclans leben mittlerweile seit Jahren in Deutschland und besitzen überwiegend die deutsche Staatsangehörigkeit."

Eine Behörde, die in ihrer offiziellen Statistik Straftaten mit der Minderheit der Roma und Sinti verknüpft: Das ist nicht nur deshalb problematisch, weil die Kriminalstatistik sämtliche Verdächtige eines Jahres erfasst und viele der Täter zu dem Zeitpunkt gar nicht verurteilt sind. Es ist möglicherweise auch rechtswidrig. Davon geht jedenfalls die Berliner Landesdatenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk aus.

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In der Kriminalstatistik werden deutsche und nicht deutsche Verdächtige zwar ausgewiesen, bestimmte persönliche Daten dürfe die Polizei aber nur ganz unter bestimmten Voraussetzungen verarbeiten, etwa wenn sie nach einem Täter fahndet. Die Herkunft aus einer ethnischen Gruppe oder eine "Volkszugehörigkeit" habe hingegen gar nichts in den Akten verloren, heißt es auf Anfrage.

Vorurteile - ein "angeeignetes polizeiliches Fachwissen"

Als Zuständige für die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften hat Smoltczyk daher angekündigt, die Akten der Polizei auf Hinweise zu durchforsten, ob darin womöglich systematisch die ethnische Herkunft von Menschen erfasst wird. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma sieht hier sogar einen "tief verwurzelten Antiziganismus", der in den Polizeibehörden dazu führe, dass Sinti und Roma allein aufgrund ihrer Abstammung pauschal mit Straftaten in Verbindung gebracht würden.

Das Berliner Polizeipräsidium schrieb in einer Stellungnahme dazu, es würden "keine personenbezogenen Daten hinsichtlich der Zugehörigkeit zu den Bevölkerungsgruppen Sinti und Roma verarbeitet". Dass die Tatverdächtigen mehrheitlich Sinti und Roma seien, sei lediglich ein "über viele Jahre angeeignetes polizeiliches Fachwissen".

Das Land Berlin hat inzwischen auf die Untersuchung reagiert. Die Online-Version der Kriminalstatistik 2017 wurde geändert, in den Ausgaben für die Jahre 2018 und 2019 finden sich keine Hinweise mehr auf Sinti und Roma. Innensenator Andreas Geisel (SPD) will zudem veranlassen, dass die Berliner Polizei nicht länger erfasst, ob jemand zur Minderheit der Sinti und Roma gehört. Kriminalität habe schließlich nichts mit Herkunft zu tun, sagte Geisel.

Kategorisierung als üblicher Vorgang

Doch das geht vielen nicht weit genug. Die Juristin Lea Beckmann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die sich für Grundrechte einsetzt und den Fall ins Rollen gebracht hat, sagt, dass es hier keineswegs nur um einzelne Akten von mutmaßlichen Trickdieben gehe. Sondern um ein tiefer sitzendes Problem. Beckmann vermutet, dass es bei vielen deutschen Ermittlungsbehörden bis heute üblich sei, Sinti und Roma in ihren Datenbanken in irgendeiner Weise zu kategorisieren. Sei es durch Vermerke wie "reisende Täter", "Südosteuropäer" oder "HWAO", was für "häufig wechselnden Aufenthaltsort" steht.

Dies sei nicht nur diskriminierend, sondern rufe auch Erinnerungen an eine unselige Tradition wach. So war es etwa bei den Polizeibehörden in Bayern im späten 19. Jahrhundert üblich, Tausende Sinti und Roma in einem sogenannten "Zigeunernachrichtendienst" zu erfassen. Karteien wurden erstellt, Steckbriefe gesammelt, und wer sich darin wiederfand, war ein Leben lang gebrandmarkt. Im Nationalsozialismus bildeten solche Zusammenstellungen die Grundlage für die Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma. Doch auch später in der Bundesrepublik wurden weiter Daten zusammengetragen über Sinti und Roma - die in den Karteien dann etwa "Landfahrer" hießen.

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Markus End ist Lehrbeauftragter am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin. In einer Studie mit dem Titel "Antiziganismus und Polizei" hat der Politologe untersucht, wie Sinti und Roma bis in die jüngste Gegenwart bundesweit ins Visier der Polizei gerieten. Bei seinen Recherchen stieß End unter anderem auf "Zigeuneraufsätze" von Kriminalisten und eine Fernsehdokumentation aus dem Jahr 2014: Ein Polizeibeamter zeigt darin bei einer Präsentation eine Folie zum Täterprofil - eines der aufgeführten Merkmale lautet "Zigeuner".

Adresse: "Bei Mutter (Zigeuner)"

Und dann war da noch das Anschreiben, das die Staatsanwaltschaft 2016 an einen Sinto verschickte. Zwischen der Anrede in der ersten und seinem Namen in der zweiten Zeile stand im Adressfeld: "bei Mutter (Zigeuner)". Ein Hinweis darauf, dass es über den Mann in irgendeiner Kartei, in irgendeiner Geschäftsstelle, einen entsprechenden Ver

merk gegeben haben muss, der dann in den Brief gerutscht war.

End kann nicht sagen, ob es sich dabei um Einzelfälle handelt oder ein System dahintersteckt, er hatte keinen Zugang zu polizeilichen Akten. Aber er weiß sicher, dass die Behörden solche Vorkommnisse hinterfragen sollten. Schon aus Eigeninteresse: Studien würden belegen, dass Ermittler weniger effektiv arbeiten, wenn sie sich bei der Aufklärung von Delikten auf bestimmte Gruppen fokussieren.

Anja Reuss vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma fordert, dass es nicht bei der stichprobenhaften Überprüfung in Bezug auf die 86 Trickdiebstähle bleibt, sondern auch Akten der Folgejahre untersucht werden. "Sinti und Roma werden seit Jahrhunderten stigmatisiert und die gesamte Minderheit wird mit Kriminalität in Verbindung gebracht", sagt Reuss. Dass sich das bis heute nicht geändert habe, sehe man wieder einmal an der Berliner Kriminalstatistik von 2017 - darin seien Sinti und Roma die einzige ethnische Gruppe, die namentlich genannt wurde.

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