Kundenmanagement:Grantige Kunden

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„Customer Centricity“ ist das Zauberwort im Kundenmanagement. Doch viele Beschwerdestellen treiben die Verbraucher zur Weißglut.

(Foto: Antonio Guillem / Imago Images)

Verbraucher werden immer anspruchsvoller und beschwerdefreudiger. Das belastet Dienstleister und Geschäfte - gerade im Moment. Wie eine wertschätzende Ansprache bei der Akquise überzeugen kann.

Von Viola Schenz

Kennen Sie die Geschichte von Joshie, der Giraffe? Ein kleiner Junge hatte 2012 bei einem Aufenthalt im Ritz Carlton in Amelia Island, Florida, seine Stoffgiraffe im Zimmer der Eltern vergessen. Wieder daheim bemerkte er den Verlust, die Trauer war groß. Seine Eltern trösteten ihn, erzählten ihm, Joshie sei noch auf Reisen und komme sicherlich bald nach. Derweil hatten Hotelmitarbeiter das Kuscheltier gefunden.

Statt es jedoch in einen Umschlag zu stecken, schickten sie es tatsächlich auf Reise: zum Swimmingpool, zum Concierge, ins Spa, an die Bar. An jeder Station schossen sie Fotos von Joshie und bauten sie zu einer Geschichte zusammen. Den Mini-Bildband "Joshie auf Reisen" verschickten sie zusammen mit dem Stofftier an die Adresse des Jungen. Erwartungsgemäß konnte der sein Glück kaum fassen. Und: Zeit seines Lebens wird er die Hotelkette wohl in bester Erinnerung behalten.

Zugegeben, der Einsatz der Ritz-Carlton-Mitarbeiter mag übertrieben sein. Der Joshie-Einsatz fiel unter die damalige 2000-Dollar-Aktion der Hotelkette: Angestellte durften diesen Betrag für angemessene Sonderwünsche ausgeben, ohne ihre Vorgesetzten um Erlaubnis fragen zu müssen. Der Wow-Effekt beim Gast sollte den Aufwand lohnen. Doch nur wenige Unternehmen können sich eine individuelle Luxusbehandlung ihrer Kunden leisten, sie haben weder das Budget noch das Personal für derartige Sperenzien.

Bewertungsportale laden dazu ein, die kleinste Unzufriedenheit mitzuteilen

Der Wow-Effekt täte derzeit aber vielen Unternehmen gut, stehen sie doch vor der Aufgabe, ihren Kundenbestand wieder aufzubauen. Durch die Schließung der meisten Geschäfte, Restaurants und Dienstleister gehen Klienten verloren - da sie inzwischen übers Internet einkaufen oder das Geld jetzt zu knapp ist fürs Fitnessstudio-Abo oder den Bio-Metzger.

Kunden zu halten, zu gewinnen, sie zufriedenzustellen oder gar zu begeistern, ist ein beinharter Job. Schon lange vor der Corona-Krise wurde das schwieriger, auch weil Kunden immer schwieriger wurden. Mit dem Wohlstand wuchsen die Erwartungen an Produkte und Dienstleistungen. Wer sich mehr leisten kann, verlangt mehr - Leistung, Service, Qualität.

Auch die Palette an Produkten und Dienstleitungen ist größer, somit der Wettbewerb. Die Menschen haben mehr Auswahl, sie werden pingelig und preisbewusst. Vielleicht ist Schimpfen auf die "Servicewüste" ein sehr deutsches Ding, so wie "Beschwerdestelle" ein sehr deutsches Wort ist. Deutsche gelten als kritisch, brüsk, rechthaberisch.

Die Digitalisierung macht ihnen das einfach: Firmen-Websites bieten neben ihren Produkten auch die Möglichkeit zum Kundendialog. Der Mensch, und damit der Kunde, kritisiert aber lieber, als zu loben. Debattenforen und Bewertungsportale laden dazu ein, der Welt selbst die kleinste Unzufriedenheit mitzuteilen und so zu einem Dauerklima des Meckerns und Regressforderns beizutragen. Eine Beschwerde erfordert oft nicht mehr als ein paar Mausklicks und rudimentäre Rechtschreibkenntnisse. Gschaftlhuber, Querulanten und Viel-Zeit-Haber sind in ihrem Element.

Kunden blieben oftmals ein abstrakter, geisterhafter Faktor

Hersteller und Dienstleister steuern längst gegen: Die Customer-Relations-Abteilungen wurden aufgestockt, Warenlager in Hotline- und Callcenter verwandelt, neue Berufe wie der Social Media Manager entstanden. Der Customer Touchpoint, die Schnittstelle zwischen Firma beziehungsweise Marke und Kunden, wurde zum Lieblingskind von Change Managern. Selbsterklärte Customer Consultants sind zur Stelle und werfen schicke Anglizismen ("Customer Centricity") an die Powerpoint-Wand.

Sie predigen, vom Kunden her zu denken, fordern die "komplette Ausrichtung eines Unternehmens auf den Kunden, auf seine Erwartungen und Bedürfnisse auf allen Ebenen, offline wie online, und alles mit der geringsten Zeitverzögerung", wie es etwa im gerade erschienenen Sammelband "Touchpoint Culture" (Haufe Verlag, 2020) heißt. Manche übertreiben das, so wie jener Mode-Versand, der es erlaubt, jeden Artikel grundlos und portofrei zurückzusenden. Entsprechend verwöhnte Kunden erwarten solchen Service auch von anderen Anbietern. So fördert man Anspruchsdenken.

Bringt Customer Centricity, zu Deutsch Kundenzentrierung, etwas? Fördert es die Zufriedenheit des Kunden? Ist er endlich König? Bei uns nicht wirklich, meinen Skeptiker, vieles passiere zum Schein. Die wenigsten deutschen Unternehmen handelten tatsächlich kundenzentriert und stellten deren Bedürfnisse in den Fokus, sagen die Marketingforscher Franz-Rudolf Esch und Daniel Kochann. "Sprechen Manager vom Kundenwert, so geht es meist darum, den Wert des Kunden für das Unternehmen zu optimieren", schreiben sie in ihrem Buch "Kunden begeistern mit System" (Campus Verlag, 2019). Und weiter: "Man spart, wo immer möglich, und zwar meist im Marketing- und Servicebereich und somit am Kunden."

Kunden blieben oftmals ein abstrakter, geisterhafter Faktor. Customer Centricity werde zwar gelobt, aber nicht gelebt. Klassische wie neue Organisationen hätten den Kunden nicht einmal im Organigramm, kritisiert Business-Coach Anne Schüller im Buch "Touchpoint Culture". "Selbst bei Firmen, die sich Kundenorientierung groß auf die Fahnen schreiben, fehlen die Kunden im Schaubild der Organisation." Das zeigt sich zum Beispiel in der Konfiguration so mancher Software oder in Gebrauchsanleitungen. Hier agierten Ingenieure für andere Ingenieure, nicht aber für den eigentlichen Adressaten, den oftmals technikfernen Konsumenten.

Aus Sicht von Anbietern sind Kunden undankbar und unberechenbar

Wie man es umgekehrt und somit sehr erfolgreich machen kann, bewies ein kalifornischer Technik-Nerd bereits in den 1970er-Jahren. Eine Devise von Apple-Gründer Steve Jobs lautete: "Wir müssen mit einem Kundenerlebnis beginnen und uns dann zurückarbeiten zur Technologie." Mit diesem Ansatz entstand maximal anwenderfreundliche Hard- und Software, Produkte, die so simpel wie schick sind - und hochpreisig. Ausgerechnet ein Misanthrop wie Jobs, der mit den wenigsten Menschen auskam, dachte erst an den Nutzer und dann an das Produkt. Auch so kann man zum Guru werden.

Doch schlägt sich Kundeneinsatz auch in einem Mehrwert für die Firma nieder? "Ich weiß, die Hälfte meiner Werbung ist hinausgeworfenes Geld. Ich weiß nur nicht, welche Hälfte", lautet ein berühmter Spruch des Autoproduzenten Henry Ford. Mit Investitionen ins Kundenmanagement verhält es sich offenbar ähnlich.

Dem internationalen Marktforschungsunternehmen Forrester Research zufolge werden nur drei Prozent der sogenannten Kundenerlebnisse als exzellent bewertet, 33 Prozent empfinden ihre allgemeinen Erfahrungen mit Herstellern, Produkten, Dienstleistungen als schlecht oder sehr schlecht. "Es reicht nicht, faktisch gut zu sein, Kunden müssen dies auch wahrnehmen und erleben", erklären Esch und Kochann. Doch weil dieses Erleben subjektiv ist, ist es schwer mess- und übertragbar.

Man muss sich wohl damit abfinden, dass Investitionen, Anstrengungen und Strategien ins Leere laufen können. Viele Unternehmen stehen unter Preis- und Konkurrenzdruck, schon deshalb stößt Kulanz an ihre Grenzen. Kunden sind unberechenbar, aus der Warte von Anbietern und Dienstleistern oft auch ungerecht und undankbar.

Die meinen oft, etwas Besonderes zu bieten, die Kunden halten es aber für normal. Vielleicht führen Lockdown und Social Distancing am Ende ja zu einem Bewusstseinswandel - zu mehr Gelassenheit und Geduld, mit Gütern wie Menschen.

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