Künstler in der Krise:Zurück zum Bettler-Status

Coronavirus - Musikerprotest

Musikerprotest in Schwerin: Warum rücken die Musiker so spät ins Blickfeld?

(Foto: Jens Büttner/dpa)

Aus lauter Verzweiflung verschenken Musiker in diesen Krisenzeiten ihre Arbeit im Internet. Das verstärkt eine ungute Entwicklung.

Kommentar von Helmut Mauró

Nun, da die ersten Lockerungen der Corona-Maßnahmen anstehen, wird darüber nachgedacht, ob man nicht auch den freischaffenden Musikern helfen könne. Beschlossen wurde eine 5,4-Millionen-Hilfe für freie Orchester und Ensembles. Klingt nicht schlecht, erweist sich bei näherer Betrachtung aber vor allem als ein Förderprogramm für neue Präsentationsformen von Musik in Zeiten der Pandemie. Musik ist aber nicht nur Präsentation, sondern ein komplexes gesellschaftliches Miteinander. Das frische Geld für die Unterstützung stammt aus einem alten Förderkonzept, das nun zum Corona-Hilfsprogramm umetikettiert wurde. Doch wird man mit 5,4 Millionen den musikalischen Teil unserer Kulturlandschaft retten können? Warum rücken die Musiker so spät ins Blickfeld, warum geht es in den Diskussionen um gesellschaftliche Relevanz so viel um die Bedeutung der Friseurin und so wenig um die Geigenlehrerin? Wie kann man denn erklären, dass - wie nun in Salzburg - die Kneipen geöffnet werden und die auf analogen Unterricht angewiesenen Studenten der Musik-Universität vor verschlossenen Türen stehen?

Sosehr die staatlichen Hygienevorschriften den Sachzwängen geschuldet sind, sosehr greifen, wenn es um Zuschüsse geht, traditionelle Mechanismen wie der Einfluss von Lobbyisten und Verbandsfunktionären. Dabei scheint es um die freien Musiker schlecht zu stehen. Interessensvereinigungen gibt es zwar auch hier, aber die individuellen Belange erscheinen diffus, das Spektrum der Ich-AGs vielfältig. Dazu kommt eine Tendenz, die sich während der Corona-Krise maximal verstärkt hat: Künstler verschenken ihre Arbeit kostenlos im Netz. Das verstärkt den Eindruck, dass es sich hier um ein Hobby handelt. Sie tun es ja gern und jeder darf teilhaben. Leidenschaft ist zwar durchaus der Kern der Musik, aber einen unschuldigen und selbstlosen Zustand der Kunstproduktion gibt es schon lange nicht mehr. Wenn jede Leistung in Vergütung gemessen werden muss, wie das in unserem Wirtschaftssystem der Fall ist, dann dürfen sich auch Musiker nicht umsonst hergeben.

Musiker ziehen sich wieder zurück auf einen Bettler-Status, der längst überwunden war

Es war ein langer Weg vom fast vogelfreien Status des Wandermusikers in die beheizten Räume der Fürstenhöfe und schließlich in die stolze Eigenständigkeit. Dass Orchestermusiker noch heute Frack tragen, ist auch ein Zeichen dieser Emanzipation - Joseph Haydn musste noch Bediensteten-Uniform tragen - und ein Symbol der Angst, in alte Verhältnisse zurückzufallen. Vorkämpfer wie Richard Strauss und Hans Sommer haben mit der Gründung der heutigen Gema gezeigt, wie man existenzielle Interessen durchsetzen kann und sich nicht mit Applaus abspeisen lassen muss.

Doch all dies gerät in Gefahr, wenn Musiker aller Sparten und Genres ihr Tun kostenlos anbieten. Und zwar mit großem Eifer, einer Mischung aus Idealismus und Angstneurose, man könne gar nicht mehr wahrgenommen werden. Wohin das führt, kann man den inzwischen üblichen Plattenverträgen entnehmen, bei denen das Label mehr als je an der Arbeit der Künstler verdient, ohne sich selber etwa mit Marketing-Investitionen an der geleisteten Arbeit zu beteiligen. Was die momentane Situation betrifft, ziehen sich die Musiker plötzlich wieder zurück auf einen Bettler-Status, der längst überwunden war. Die Akquise von Trinkgeldern über Plattformen wie Patreon oder Bandcamp, wo sich Musiker für lau ins Zeug legen, sind verzweifelte Beispiele für die persönliche Krisenbewältigung. Streaming-Auftritte oder Beiträge auf Video- und Streamingportalen bringen höchstens Minimalbeträge ein. Das ist weder zukunftsträchtig, noch passen sie zu einer Gesellschaft, in der viele dazu beitragen, dass Kunst und Kultur einen wesentlichen Teil unserer Identität ausmachen. Deshalb müssen die performativen Künste auch in Krisenzeiten aktiv bleiben und sich nicht durch ein kostenloses Überangebot selbst demontieren.

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