Italien:Als Erstes lebt der Streit wieder auf

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Giuseppe Contes Kurs war lange Zeit unumstritten - nun wächst die Kritik an Italiens Ministerpräsidenten. (Foto: dpa)

Vorsichtig lockert Italien ab Montag die Corona-Beschränkungen. Und plötzlich steht der monatelang unumstrittene Premier Conte in der Kritik.

Von Oliver Meiler, Rom

Harmonie war noch nie ein dauerhafter Wert, schon gar nicht in der Politik. In Italien erfährt nun die Regierung um Premier Giuseppe Conte, dass die große Gunst im Volk sie nicht vor Anwürfen schützt, im Gegenteil. Lange war Contes harter Kurs für die Eindämmung von Corona so unumstritten und breit getragen, dass seine politischen Gegner kaum Spielraum für das Opponieren hatten. Nun aber, beim Übergang in die "Fase due", die am kommenden Montag mit einer minimalen Lockerung des Lockdowns beginnen soll, wächst die Kritik. Manche Medien verhöhnten die vorsichtige Öffnung als "Phase 1,5". Und, ja: Viel ist es nicht.

Die Italiener werden neu etwas länger und großräumiger spazieren gehen und die Liebsten treffen dürfen, unter Auflagen. Einige Wirtschaftszweige gehen wieder in Produktion, fünf Millionen kehren an ihren Arbeitsplatz zurück. Eisdielen, Bars und Restaurants dürfen ihre Ware über die Straße verkaufen. Im Juni sollen sie auch ihre Lokale öffnen dürfen, sofern der Trend zur Besserung hält und die Zahl der Neuinfektionen kein Überdenken erfordert.

Der Mezzogiorno ist glimpflich davongekommen. Nun will der Süden eigene Regeln

Der Gouverneurin von Kalabrien geht das nicht schnell genug. Jole Santelli von der bürgerlichen Forza Italia, erst seit ein paar Monaten im Amt, erließ dieser Tage eine regionale Verfügung, die mit dem Dekret der Zentralregierung bricht. In Kalabrien dürfen Bars und Restaurants auch sitzende Gäste bedienen - draußen auf den Terrassen, mit Abstand. Sie sei schließlich Kalabrierin, sie wisse besser, was ihre Bürger wollten. Tatsächlich? Wie man hört, ist die Initiative ein Flop: Viele Lokalbetreiber öffnen nicht, und jene, die öffnen, haben kaum Kundschaft. Aus Rom gab es eine Mahnung, doch Santelli mochte nicht nachgeben. Es geht um Politik.

Die Italiener haben noch im Kopf, wie Santelli zu Beginn des Notstands im März auftrat: In eindringlichen Appellen am Fernsehen, immer den Tränen nahe, flehte sie alle Kalabrier an, die in der Lombardei und im Veneto leben und arbeiten, doch bitte nicht in die Heimat zurückzukehren. Das regionale Gesundheitssystem, sagte sie, sei viel zu schwach, es würde unter dem Druck einer Ansteckungswelle kollabieren.

Der Kollaps des gesamten Mezzogiorno blieb aus, und das war nicht einem Wunder geschuldet: Dank der einheitlichen, nationalen Verhängung des Lockdowns konnte eine mittlere Völkerwanderung mit womöglich dramatischen Folgen verhindert werden. Nun aber fordern gleich mehrere Gouverneure im Süden, dass Rom ihre Regionen anders behandelt als die stark getroffenen im Norden. Sie wollen auch bis auf Weiteres abgeschottet bleiben vom Rest des Landes. Eine geografische Unterscheidung bei den Maßnahmen leuchtet vielen ein.

Cinque Stelle hätten sich beinahe mit Vertretern der rechten Lega geprügelt

Conte machte sie jetzt von der Entwicklung der Seuche in den kommenden Tagen abhängig, und er entschuldigte sich dafür, dass die Hilfszahlungen des Staates an bedürftige Bürger und Unternehmen verspätet seien. "Ich verstehe den Zorn", sagte er. Man werde bald alle Verspätung wettmachen. Druck erfuhr der Premier auch im Parlament, es tagte am Donnerstag mal wieder wie in normalen Zeiten: laut und voller Theatralik. Herrschaften von den Cinque Stelle hätten sich beinahe mit Vertretern der rechten Lega geprügelt, buchstäblich, von wegen Abstandswahrung. Schutzmasken trugen fast alle im Parlament, außer dem Premier, so war das aber vorab ausgemacht gewesen. Die Bediensteten von Senat und Abgeordnetenkammer setzten die Minister so, dass Conte am Rednerpult genügend weit von ihnen entfernt war. Doch auch darüber ärgerten sich manche Vertreter der Opposition so herzhaft, dass die Sitzung unterbrochen werden musste. Es war eben wie sonst, und diese Normalität allein erwärmte das Herz vieler politischer Chronisten.

Conte war zitiert worden. Die Opposition um Matteo Salvini von der Lega und Giorgia Meloni von den postfaschistischen Fratelli d'Italia findet, der Premier regiere eigenmächtig, fast ohne Parlament. Die so genannten "Dekrete des Präsidenten des Ministerrats", im italienischen Akronym als DPCM bekannt, seien auch nicht verfassungskonform. Salvini, der sich sonst nur selten im Senat sehen lässt, hatte mit den Seinen die Nacht vor der Sitzung im Parlament verbracht - besetzt haben sie es, aus Protest.

Nun, Giuseppe Conte hat in den vergangenen zwei Monaten elf DPCM erlassen, sie waren jeweils sofort wirksam. Er nennt sie ein "elastisches und schnelles Instrument", geeignet für eine "Situation in ständiger Bewegung" wie dieser. Über die Legitimität der Dekrete wird nun heftig diskutiert, auch unter Verfassungsrechtlern. Aber es ist wie immer in Italien bei solchen Debatten: Sie bleibt im Politischen stecken. Besondere Aufregung löste die Rede von Matteo Renzi im Senat aus. Der frühere Premier griff Conte frontal an, obschon seine kleine Partei Italia Viva dessen Regierung mitträgt. Matteo Renzi sagte also, Conte könne nur noch mit seiner Unterstützung rechnen, wenn er sich bald um die Sorgen der Italiener kümmere und den "Pfad des Populismus" verlasse. Die beiden können sich nicht leiden. Doch wie ernst ist es Renzi mit dem Ultimatum? Stürzt bald die Regierung? "Welches Ultimatum?", fragte Renzi beim Verlassen des Senats ganz unschuldig. Alle waren froh, wieder mal im Scheinwerferlicht gestanden zu haben.

© SZ vom 02.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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