USA:Der Kandidat wehrt sich

Joe Biden

Er hat sich seit Langem für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen engagiert, nun bringen ihn Vorwürfe in Bedrängnis, die sich auf das Jahr 1993 beziehen: Der demokratische Bewerber um die US-Präsidentschaft Joe Biden - hier bei einem Auftritt Ende Februar.

(Foto: Matt Rourke/AP)

Der demokratische US-Präsidentschaftsbewerber Joe Biden sagt, die ihm vorgeworfene sexuelle Nötigung habe es nie gegeben. Ausgestanden ist die Sache für ihn aber wohl noch nicht.

Von Alan Cassidy, Washington

Er hatte lange geschwiegen zu dem gravierenden Vorwurf, der gegen ihn im Raum steht. Nun - endlich - meldete sich Joe Biden erstmals selbst zu Wort. "Ich halte unmissverständlich fest: Das ist nie passiert", sagte der demokratische Präsidentschaftskandidat am Freitag in einem Interview mit dem TV-Sender MSNBC, und er wiederholte den Satz im Interview mehrere Male: "Es ist nie passiert." Das war ziemlich deutlich - aber aus der Welt geschafft ist die Beschuldigung gegen ihn damit wohl noch nicht.

Die ehemalige Mitarbeiterin Tara Reade wirft Biden vor, sie in seiner Zeit als Senator sexuell genötigt haben. Biden habe sie 1993 im Untergeschoss des Kapitols gegen eine Wand gedrückt und sei mit den Fingern in sie eingedrungen. Reade sagt, sie habe damals ihre Mutter, ihren Bruder sowie zwei Freunde davon informiert. Zudem habe sie beim Senat eine Beschwerde über Bidens Verhalten eingereicht. "Ich kann mich an keine solche Beschwerde erinnern" sagte Biden am Freitag, "auch sonst hat niemand je davon gehört."

Die heute 56-jährige Juristin hatte erstmals Mitte März in einem Podcast über den behaupteten sexuellen Übergriff gesprochen. Es dauerte mehrere Wochen, bis auch führende US-Medien darüber berichteten. Weder der New York Times noch anderen Medien gelang es dabei, Reades Beschwerde beim Senat ausfindig zu machen. Dafür zitierten sie mehrere langjährige Mitarbeiter Bidens, die versicherten, keine Kenntnisse von Reades Vorwürfen zu haben. Die Berichte warfen auch Fragen über eine allfällige politische Motivation Reades auf. In den vergangenen Tagen war allerdings der Druck auf Biden gestiegen, sich persönlich zu erklären. Die Washington Post forderte den 77-Jährigen in einem Leitartikel auf, der Öffentlichkeit Zugang zu seinem Archiv aus seiner Zeit als Senator zu geben

Biden lehnt das ab. In dem Archiv, das er der Universität in seinem Heimatstaat Delaware vermacht hat, gebe es keine Personalakten, weder zu Tara Reade noch anderen Mitarbeitern, sagte er am Freitag. Wenn die angebliche Beschwerde von Reade tatsächlich existiere, dann wäre sie im Nationalarchiv in Washington zu finden. Er forderte den Senat auf, dort nach der Beschwerde zu suchen. "Ich habe nichts zu verbergen", sagte er.

Biden sah sich bereits im Frühling 2019 mit Aussagen mehrerer Frauen konfrontiert, die ihm vorwarfen, sie unangenehm berührt zu haben. Eine war Tara Reade. Es ging dabei darum, dass Biden Frauen umarmt oder an ihrem Haar gerochen hatte. Keine der Frauen warf Biden aber einen sexuellen Übergriff vor - auch nicht Reade.

Die Beschuldigung hat Bidens Wahlkampf zuletzt zunehmend überschattet. Kritiker von links und rechts werfen dem Kandidaten und der Demokratischen Partei Doppelmoral vor. Die Moderatorin des Senders MSNBC konfrontierte Biden mit einer Aussage, die er 2018 gemacht hatte, als der designierte konservative Bundesrichter Brett Kavanaugh beschuldigt wurde, sich als junger Mann an einer Studentin vergangen zu haben. Wenn eine Frau bereit sei, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu treten, müsse man davon ausgehen, dass zumindest der Kern ihrer Schilderungen real sei, sagte Biden damals. Auf die Frage, ob das auch im Fall von Reade gelte, sagte Biden am Freitag: "Frauen haben ein Recht, angehört zu werden. Aber letztlich ist es die Wahrheit, die zählt, und die Behauptungen sind falsch."

Trump wurde bereits von 25 Frauen beschuldigt

Vor der Sendung hatte Biden eine Stellungnahme verschickt, in der er auf sein langjähriges Engagement zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen verwies. Als Senator hatte er Anfang der 1990er ein entsprechendes Gesetz eingebracht, "zu einer Zeit, als nur wenige über dieses Thema sprechen wollten". Als Vizepräsident Barack Obamas setzte sich Biden dafür ein, dass die Stellung von Opfern sexueller Übergriffe an Hochschulen gestärkt wurde. Prominente Frauen - von der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, bis zu Vertreterinnen der #Me-Too-Bewegung - haben gesagt, sie glaubten Biden, wenn er sage, dass sich der Vorfall nicht zugetragen habe.

Selbst wenn Biden und seine Unterstützer recht behalten: Für die Demokraten dürfte es schwieriger geworden sein, im Wahlkampf die Verfehlungen seines Gegenspielers zu thematisieren. US-Präsident Donald Trump wurde nach einer Zählung von MSNBC bereits von 25 Frauen beschuldigt, sie gegen ihren Willen geküsst, begrapscht oder sogar vergewaltigt zu haben. Trump hat diese Vorwürfe bestritten, teils mit Sätzen wie: "Sie ist nicht mein Typ". Einen Monat vor seiner Wahl hatte er mit sexueller Gewalt gegen Frauen geprahlt, indem er sagte: "Wenn du ein Star bist, lassen sie dich alles tun."

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