Handball:Lektion gelernt

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Eine gute Million und dazu die passenden Strukturen: Der Traditionsverein TV Großwallstadt kehrt in die zweite Liga, in den Profisport zurück.

Von Ralf Tögel

An den 8. Juni 2019 kann sich Michael Spatz noch genau erinnern. Was nicht an der 21:31-Heimpleite gegen HBW Balingen-Weilstetten liegt. Auch nicht daran, dass Spatz mit 254 Toren als bester Schütze der gesamten Liga geehrt wurde. Es war der Tag, an dem der TV Großwallstadt seinen Platz in der zweiten Handball-Bundesliga räumen musste: "Wir sind abgestiegen, Balingen aufgestiegen. Das habe ich nicht vergessen." Im Normalfall kommt so ein Abstieg einem Sturz aus der Professionalität gleich, die in vier Staffeln aufgeteilte dritte Liga lässt auch ambitionierten Amateurklubs genügend Luft zum Leben. Dann fallen Mannschaften auseinander, weil die besten Spieler gehen. Doch der unterfränkische Traditionsklub bröselte nicht auseinander, im Gegenteil. An jenem 8. Juni schnappte sich Geschäftsführer Stefan Wüst noch auf dem Parkett das Mikrofon und versprach, dass man umgehend in die Zweitklassigkeit zurückkehren werde. Er hat Wort gehalten, Großwallstadt ist als Meister der Gruppe Mitte zurück in Liga zwei, über die Umstände wird später noch zu reden sein.

In der ewigen Bundesligatabelle liegt der TVG auf Platz drei

Was damals zunächst wie eine typische Durchhalteparole eines Funktionärs klang, war ein wohl überlegtes Statement. Der TVG-Geschäftsführer wusste sehr genau, in welchem Zustand sich sein Verein befand. "Der Aufstieg war eigentlich ein Jahr zu früh gekommen", sagt er nun, die Strukturen für den Profi-Handball mussten während der Saison geschaffen werden. Da hatte der Traditionsklub bereits einen langen Weg hinter sich: Nach der Insolvenz im Sommer 2015 und dem Rückzug in die dritte Liga hatte Wüst sein Werk begonnen, anfangs in einer Projektgruppe, dann als Anteilseigner der Handball-GmbH, seit zwei Jahren als Geschäftsführer. "Bei Null" sei man gestartet, in mühsamer Arbeit wurde der Etat von 350 000 Euro auf nun eine gute Million gesteigert und die passenden Strukturen geschaffen. Vor einem Jahr fehlte noch vieles, angefangen bei Lizenzierungs- oder Medienrichtlinien, Onlineticketing bis hin zu LED-Werbebanden. Die dritte Liga wird vom Deutschen Handballbund (DHB) organisiert, der als Dachverband auch den Breitensport organisiert, die Handball-Bundesliga (HBL) ist eine GmbH und hat ausschließlich den Profisport im Blick. "Dritte Liga im DHB-Modus ist etwas völlig anderes als zweite Liga im HBL-Modus", erinnert sich Wüst, man habe "die Lektion gelernt".

Außerdem gab es weiland wegen einer Strukturreform fünf Absteiger aus der zweiten Liga, das war letztlich der Ausschlag für das knappe Scheitern. Wüst erkannte zudem, dass man die Sache auch sportlich etwas blauäugig angegangen war. Daher wurde nach dem Abstieg nicht etwa abgespeckt, sondern das Engagement sogar hochgefahren. Wir erkannten, dass wir einen Vollzeittrainer, mehr Training und einen sportlichen Leiter brauchen." Alles wurde umgesetzt: "Es lag ja nicht daran, dass die Mannschaft in den letzten Minuten das Zipperlein bekommen hat, sondern es fehlte auch an Substanz und Qualität."

Ralf Bader wurde als Trainer verpflichtet, er wird von Sportleiter Maik Pallach unterstützt, das Training wurde intensiviert, in Barbara Eschbach leitet eine ausgebildete European Handball-Managerin die Geschäftsstelle. Der Kader wurde in der aktuellen Spielzeit bereits mit Torhüter Can Adanir, der von den Rhein-Neckar Löwen kam, und Goran Bogunovic, der in der kroatischen Nationalmannschaft spielte und mit der SG Flensburg-Handewitt die Champions League gewann, verstärkt. Für die kommende Saison sind Juniorennationalspieler Frieder Bandlow (VfL Günzburg) und Pierre Busch (VfL Gummersbach) verpflichtet, sowie der israelische Nationalspieler Snir Natsia. "Zwei, drei weitere Zugänge" wollte Trainer Bader noch holen, dann kam Corona.

Es sah sogar eine Zeit lang danach aus, dass das Virus den TV Großwallstadt auf der Ziellinie noch hätte abfangen können, denn es war angedacht, die drei Zweitligaaufsteiger in einer staffelübergreifende Quotientenregelung zu ermitteln, der TVG wäre Vierter gewesen. Nun steigen alle vier auf, was wohl auch der Lobbyarbeit des Großwallstädter Weltmeisters Kurt Klühspies zu verdanken ist, der TVG jedenfalls habe zahlreiche Glückwünsche erhalten, erzählt Wüst, von Handballikone Heiner Brand über Füchse-Erfinder Bob Hanning bis zum DHB-Präsidenten Andreas Michelmann.

Und nun? "Das weiß niemand", sagt der Trainer. Ziel sei es erst mal, den Verein in der zweiten Liga zu etablieren, dann könne man sich irgendwelchen Visionen zuwenden, erklärt Bader, der TVG ist bekanntlich sechsmaliger deutscher Meister, gewann zweimal den Europapokal der Landesmeister und liegt in der ewigen Bundesligatabelle hinter Kiel und Gummersbach auf Rang drei. Momentan ruht der Trainingsbetrieb, Kurzarbeit, Bader darf seinen Spielern nicht einmal Anweisungen zum Fithalten geben. Es bleibt nur abzuwarten, wann und wie es weitergeht: In diesem oder im nächsten Jahr? Mit oder ohne Zuschauer? Der Aufstieg jedenfalls war verdient, sagt Bader. Sechs Punkte Vorsprung, zu Hause ungeschlagen, es war bis zum Abbruche eine feine Saison.

Michael Spatz pflichtet ihm bei. Er ist mittlerweile 37 Jahre alt, sollte mit großem Tamtam zum Saisonende verabschiedet werden. Er bleibt dem Verein als Teammanager erhalten, der nächste Schritt Richtung Professionalität. Natürlich war er wieder bester Torschütze, seine Karriere beendete Spatz aber mit der Niederlage in Leipzig. Es war der 7. März, der Tag wird ihm in Erinnerung bleiben.

© SZ vom 09.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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